Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 66
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Als normaler Kauf resp. Verkauf wird der Kauf bzw. Verkauf eines finanziellen Vermögenswerts bezeichnet, dessen Vertragsbedingungen die Lieferung des Vermögenswerts innerhalb einer gewissen Zeitspanne erfordern. Die Zeitspanne ist durch eine für den betreffenden Markt bestehende Regulierung oder Konvention vorbestimmt, wobei "Markt" als Platzhalter für das geografische Umfeld verstanden wird, in welchem sich die Transaktion ereignet; es ist also nicht zwingend ein organisierter Handelsplatz vonnöten (vgl. IFRS 9 Appendix A iVm. IG.B.28). Sieht ein Vertrag keine zwingende physische Erfüllung vor, sondern gestattet einer oder beiden Vertragsparteien eine Erfüllung durch Nettobarausgleich, handelt es sich nicht um einen normalen Kauf/Verkauf iSd. Vorschrift. Solche Geschäfte sind als Derivat zu bilanzieren (vgl. IFRS 9.B3.1.4).
Die Definition erlangt ihre Bedeutung dadurch, dass es sich bei derartigen Geschäften regelmäßig um solche handelt, die nicht Zug um Zug erfüllt, gleichwohl aber als Kassageschäft aufgefasst und entsprechend abgebildet werden. Das bedeutet, dass für den Zeitraum zwischen Abschluss und Erfüllung üblicher Käufe oder Verkäufe von finanziellen Vermögenswerten kein Derivat angesetzt wird, auch wenn dessen Abgrenzungsmerkmale erfüllt sind: Es wird allein das Kassageschäft bilanziert, wobei Bilanzierer die Wahl zwischen einer Bilanzierung zum Abschluss-/Handelstag (trade date accounting) oder zum Erfüllungstag (settlement date accounting) besitzen (vgl. IFRS 9.3.1.2 iVm. BA.4 und B3.1.5f.; vgl. Tz. 121ff.). Das Wahlrecht kann für jede Bewertungskategorie eigenständig und abweichend ausgeübt werden; dabei werden Handelsgeschäfte und Geschäfte, für die die Fair Value Option ausgeübt wurde, für diese Vorschrift als eigenständige Kategorie behandelt (vgl. IFRS 9.B3.1.3). Von Bedeutung ist ferner, dass die Vorschrift nur für finanzielle Vermögenswerte einschlägig ist; finanzielle Verbindlichkeiten werden nach den allgemeinen Ansatzvorschriften in IFRS 9.3.1.1 und 3.3.1 bilanziert (vgl. IFRS 9.IG.B.32).
Tz. 67
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Die Vorschrift über normale Käufe und Verkäufe von finanziellen Vermögenswerten stellt faktisch ein Korrektiv zur weiten Abgrenzung derivativer Geschäfte dar: Nicht jedes Geschäft, bei dem Abschluss und Erfüllung zeitlich auseinanderfallen, soll für den dazwischenliegenden Zeitraum durch eine Derivatebilanzierung abgebildet werden. Der IASB knüpft diese Ausnahme aber daran, dass der zur Erfüllung erforderliche oder eingeräumte Zeitraum von den Vertragsparteien nicht individuell und abweichend von etwaig bestehenden Handelsusancen für den Marktplatz vereinbart wird. Die Usancen sollen die ordnungsgemäße Abwicklung des Geschäfts sicherstellen und Zeit geben, die administrativen Erfordernisse zu erfüllen (vgl. IFRS 9.IG.B.28). Verdeutlicht sei dies anhand eines Aktienkaufs an der Frankfurter Wertpapierbörse: Nach dem Regularium dieses Marktplatzes werden Aktiengeschäfte mit Valuta zwei Tage erfüllt. Kommen zwei Vertragsparteien in Frankfurt überein, einen Aktienerwerb resp. -verkauf vierzehn Tage nach Abschluss zu erfüllen, so liegt kein normaler Kauf oder Verkauf vor, weil der maßgebliche Markt in diesem Fall die Börse ist und diese eine Abwicklungsdauer von zwei Tagen vorsieht. Bestehen im Ausland an einem Markt andere Usancen, kann die Abwicklungsdauer dagegen durchaus kürzer oder länger ausfallen (vgl. IFRS 9.IG.B.29ff.; s. a. Deloitte LLP 2018, S. 590ff.)