Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 50
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Gemäß der Definition in IFRS 10 Appendix A sind im Konzernabschluss das Mutterunternehmen und seine Tochterunternehmen so darzustellen, als ob es sich bei dem Konzern um eine einzige wirtschaftliche Einheit handelt; die rechtliche Eigenständigkeit der einzelnen Unternehmen tritt in den Hintergrund. Diese Definition des Konzernabschlusses kann als Einheitsgrundsatz der Konzernrechnungslegung nach IFRS 10 angesehen werden.
Der Einheitsgrundsatz spiegelt sich auch im Rahmenkonzept zur Berichtseinheit wider: Konzernabschlüsse informieren über die Vermögenswerte, Schulden, Eigenkapital, Aufwendungen und Erträge von Mutter- und Tochterunternehmen, als seien sie eine einzige Berichtseinheit (RK 3.15). Dies ist für die Adressaten des Konzernabschlusses bei der Beurteilung ihrer Einschätzung in Bezug auf die zukünftigen Nettozahlungszuflüssen zum Mutterunternehmen entscheidungsnützlich (RK 3.15).
Tz. 50a
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Der Einheitsgrundsatz ist grundsätzlich neben der Einheitstheorie auch mit dem interessentheoretischen Ansatz bei Vollkonsolidierung vereinbar; beide Theorien können im Konzernabschluss – von möglichen Abweichungen im Ausweis abgesehen – zu gleichen Werten führen, nämlich durch die Vollkonsolidierung der Tochterunternehmen (vgl. Baetge/Kirsch/Thiele, 14. Aufl., S. 20). Die in IFRS 10 Appendix A formulierte Einheitsgrundsatz kann somit nicht per se der Einheitstheorie zugeordnet werden, sie ist vielmehr auch Gedankengut der Interessentheorie mit Vollkonsolidierung (zur Einheitsfiktion als Grundlage der Konzernrechnungslegung vgl. ausführlich Ebeling, 1995).
Tz. 51
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Die Einheitstheorie und die Interessentheorie stellen die zwei Konzerndarstellungskonzepte innerhalb der Erwerbsmethode dar. Die beiden Konzepte unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Definition der Anteilseigner und damit der Eigenkapitalgeber des Konzerns. Während nach der Einheitstheorie sowohl Gesellschafter mit beherrschendem Einfluss als auch Gesellschafter ohne beherrschenden Einfluss Eigenkapitalgeber des Konzerns sind, sind nach der Interessentheorie nur die Gesellschafter mit beherrschendem Einfluss, dh. die Anteilseigner des Mutterunternehmens, Eigenkapitalgeber des Konzerns. Bei der Interessentheorie können wiederum drei Darstellungsalternativen unterschieden werden, das proprietary concept, das parent company concept und das parent company extension concept. Während das proprietary concept ausschließlich die beherrschenden Anteilseigner des Mutterunternehmens als Eigenkapitalgeber des Konzerns betrachtet und damit die strengste Form der Interessentheorie darstellt, berücksichtigen die anderen beiden Alternativen mit zunehmendem Maße auch Elemente der Einheitstheorie (zu einer ausführlichen Darstellung der Konzepte vgl. Baxter/Spinney, 1975, S. 35).
Tz. 52
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Mit der Veröffentlichung von IFRS 3 (rev. 2008) und IAS 27 (amend. 2008) haben der IASB und der FASB den in der ersten Phase des Projekts Business Combinations eingeschlagenen Weg zur einheitstheoretischen Orientierung der Konzernrechnungslegungskonzeption konsequent fortgesetzt (vgl. bereits Hayn, S., BFuP 2005, S. 433–436). Auch die Veröffentlichung des IFRS 10 in 2011 und des Rahmenkonzepts in 2018 des IASB folgen dieser Linie. Der IASB hat sich mit den geänderten Standards inhaltlich zur Einheitstheorie bekannt, ohne dies allerdings explizit hervorzuheben (so zB IFRS Foundation, Education Session zum Conceptual Framework: The Reporting Entity im November 2012, S. 8). Für ein einheitstheoretisches Grundkonzept spricht, dass das Ziel der Finanzberichterstattung nach IFRS laut Rahmenkonzept (RK 1.2) darin besteht, sowohl allen Eigen- als auch den Fremdkapitalgebern entscheidungsnützliche Finanzinformationen bereitzustellen (vgl. RK BC3.10; IASB/FASB: AP2 Perspective of Financial Reporting zum Projekt Conceptual Framework: Phase A für die Sitzung am 21.4.2008, Rz. 19). In den Arbeitspapieren des Staff des IASB findet sich der Hinweis, dass das IASB bei seiner Entscheidung davon überzeugt war, dass die meisten Unternehmen von ihren Kapitalgebern mittlerweile klar abgetrennt sind und daher die Interessentheorie kein realistisches Bild der Finanzberichterstattung mehr wiedergeben würde (vgl. IASB Staff: AP 10E Reporting Entity – Perspective zum Projekt Conceptual Framework zur Sitzung im Mai 2014, Rz. 7).
Tz. 52a
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Bilanzielle Auswirkungen des einheitstheoretischen Grundsatzes zeigen sich im Rahmen der Vollkonsolidierung darin, dass sämtliche Bilanz- und GuV-Posten unabhängig von der Beteiligungshöhe vollständig in den IFRS-Konzernabschluss zu übernehmen sind (IFRS 3.10; zur Erstkonsolidierung der übernommenen Vermögenswerte und Schulden vgl. IFRS-Komm., Teil B, IFRS 3, Tz. 150 ff.). Damit wird unterstellt, dass das Mutterunternehmen – unabhängig von evtl. vorhandenen Gesellschaftern ohne beherrschenden Einfluss – vollständig über die Vermögenswerte und Schulden ...