Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 160
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
In den Anwendungsleitlinien äußert sich der IASB sehr detailliert und mit veranschaulichenden Beispielen zu zwei Geschäftsmodellen, von denen das erste der Zielsetzung folgt, finanzielle Vermögenswerte zu halten und deren vertragliche Zahlungen über die Laufzeit der jeweiligen Instrumente zu vereinnahmen. Diese Art der Steuerung grenzt der IASB gegen eine ab, bei der das Vermögen bewusst auf Gesamtrenditebasis gemanagt und regelmäßig durch eine Mischung aus Halten und Veräußern realisiert wird (vgl. IFRS 9.B4.1.2C).
Tz. 161
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Die Halteabsicht mit dem Ziel, die vertraglichen Zahlungen über die Laufzeit eines Instruments zu vereinnahmen, bedeutet nicht, dass (Teil-)Verkäufe per se unzulässig sind und bilanziell sanktioniert werden (vgl. IFRS 9.B4.1.3 iVm. BC4.144). Im Gegensatz zur Bewertungskategorie "bis zur Fälligkeit gehaltene Anlagen" in IAS 39 ist das hier angesprochene Geschäftsmodell somit deutlich weniger restriktiv. Insbesondere existiert keine Strafvorschrift bei mehr als nur insignifikanten Verkäufen (vgl. dazu IFRS-Komm., Teil B, IAS 39, Tz. 86; s. a. IFRS 9.BC4.45; Berger/Struffert/Nagelschmitt, WPg 2014, S. 1079).
Tz. 162
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Verkäufe determinieren für sich genommen noch kein Geschäftsmodell und müssen stets kontextabhängig beurteilt werden. Kommt es zu Verkäufen von eigentlich als zu Haltezwecken klassifiziertem Finanzvermögen, sind die Gründe für diese Veräußerungen zu eruieren. Auch sind die Häufigkeit, die wertmäßige Höhe und der Verkaufszeitpunkt zu untersuchen und die Erwartungen hinsichtlich einer möglichen zukünftigen Veräußerungstätigkeit in die Erwägung einzubeziehen (vgl. IFRS 9.B4.1.2C iVm. BC4.145). Ob der Verkauf von außen induziert sei – bspw. durch eine Gesetzesänderung oder einen Gerichtsentscheid – oder im eigenen Ermessen erfolge, spiele für die Beurteilung keine Rolle (vgl. IFRS 9.B4.1.3B sowie B4.1.4, Beispiel 4). Als möglichen (und nicht das Geschäftsmodell infrage stellenden) Grund nennt der IASB stellvertretend die Veräußerung eines Vermögenswerts infolge einer Erhöhung seines Kreditrisikos, weil mit einer abnehmenden Solidität des Schuldners eine Vereinnahmung der vertraglich vereinbarten Zahlungsströme zusehends schwieriger würde. Ein aktives Kreditrisikomanagement sei integraler Bestandteil eines Geschäftsmodells, dessen Zielsetzung im Halten von Vermögen zum Zwecke der Vereinnahmung vertragsgebundener Zahlungen bestehe. Ergo seien Verkäufe nicht zu beanstanden, wenn diese durch Vorgaben aus dem Kreditrisikomanagement ausgelöst würden. Auch wenn der IASB nicht zwingend eine dokumentierte Risikorichtlinie als Nachweisgrund für einen Verkauf verlangt, so muss ein Unternehmen dennoch nachvollziehbar belegen können, warum der Anstieg des Kreditrisikos als nicht mehr vereinbar mit der Zielsetzung des Geschäftsmodells angesehen wurde (vgl. IFRS 9.B4.1.3A iVm. BC4.146f.).
Tz. 163
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Interessant ist die Aussage des IASB, wonach Vermögensverkäufe selbst dann noch im Einklang mit dem Geschäftsmodell stehen können, wenn sie selten, aber in wertmäßiger großer Höhe ("infrequent [..]even if significant in value") oder wertmäßig einzeln und in toto unbedeutend, jedoch häufig ("insignificant in value both individually and in aggregate [..]even if frequent") aufträten (vgl. IFRS 9.B4.1.3B). An keiner Stelle in den Anwendungsleitlinien zeigt sich der Unterschied zwischen dem Geschäftsmodell "Halten zwecks Zahlungsstromvereinnahmung" und der alten Bewertungskategorie "bis zur Fälligkeit gehaltene Anlagen" aus IAS 39 deutlicher, galten doch mehr als insignifikante Veräußerungen unter der Vorgängerregelung als grundsätzlich schädlich! Und selbst wenn ein Unternehmen mehr als nur seltene und insignifikante Verkäufe tätigt, ist auch dies für sich genommen noch kein hinreichender Grund für eine Negierung des Geschäftsmodells. Entscheidend ist vielmehr, dass die herangezogene Begründung für die vorgenommenen Verkäufe nicht im Widerspruch zur generellen Zielsetzung stehen darf, vertragliche Zahlungen durch Halten vereinnahmen zu wollen. Wenn die Verkäufe bspw. in zeitlicher Nähe zum Fälligkeitszeitpunkt vorgenommen würden und die dabei erzielten Erlöse in etwa dem entsprächen, was das Unternehmen aus einer Vereinnahmung der restlichen Zahlungen unter dem Vertrag erzielt hätte, könne dies durchaus weiter im Einklang mit der Zielsetzung des Geschäftsmodells "Halten zwecks Zahlungsstromvereinnahmung" stehen (vgl. IFRS 9.B4.1.3B und 4.1.4, Beispiel 1; s. a. Berger/Struffert/Nagelschmitt, WPg 2013, S. 218f.).
Tz. 164
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Nicht letztendlich klar aus den Anwendungsleitlinien wird, ob synthetische Verkäufe über Derivate eine Klassifizierung der zugrunde liegenden Finanzinstrumente als zum Zwecke der Vereinnahmung vertraglicher Zahlungen gehalten negieren (in diese Richtung scheinen PricewaterhouseCoopers zu argumentieren, vgl. PricewaterhouseCoopers LLP 2018, Tz. FAQ 42.31.5; s. a. KPMG I...