Prof. Dr. Jens Wüstemann, Dr. Sonja Wüstemann
Tz. 77
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Für einen zeitraumbezogenen Kontrollübergang muss ein Unternehmen neben der Schaffung eines Vermögenswerts ohne alternativen Nutzen außerdem einen durchsetzbaren Zahlungsanspruch für bereits erbrachte Leistungsverpflichtungen besitzen (IFRS 15.35(c)). Der Zahlungsanspruch muss dabei nicht in Höhe eines festen Betrags bestehen (IFRS 15.37), sondern orientiert sich an dem jeweiligen Verkaufspreis der gelieferten Güter und erbrachten Dienstleistungen (IFRS 15.B9; IFRS 15.BC143). Um bereits erfüllte Leistungsverpflichtungen zu kompensieren, umfasst dies neben den entstandenen Kosten auch eine angemessene Gewinnmarge, die nicht der vereinbarten Marge bei Vertragserfüllung entsprechen muss (IFRS 15.B9; IFRS 15.BC143 f.). Die Höhe der Gewinnmarge bemisst sich entweder als Anteil an der erwarteten Gewinnmarge, die den Umfang der erbrachten Leistung widerspiegelt, oder für den Fall, dass die vertragsspezifische Marge höher ist als bei vergleichbaren Verträgen, anhand einer angemessenen Rendite für die Kapitalkosten bzw. der unternehmenstypischen operativen Gewinnmarge ähnlicher Verträge (IFRS 15.B9; IFRS 15.BC144; vgl. Baur et al., KoR 2016, S. 401 f.).
Tz. 78
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Bei der Beurteilung der Durchsetzbarkeit des Zahlungsanspruchs sind sowohl die Vertragsbedingungen als auch die dem Vertrag zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen zu berücksichtigen (IFRS 15.37). Demnach ist ein Zahlungsanspruch trotz fehlender vertraglicher Vereinbarung durchsetzbar, wenn er dem Unternehmen aufgrund entsprechender Rechtsvorschriften oder der Verwaltungspraxis zusteht (IFRS 15.B12(a)). Die Übertragbarkeit von Präzedenzfällen sowie die Geschäftspraxis eines Unternehmens, auf die Durchsetzung bestehender Ansprüche zu verzichten, sind ebenfalls zu überprüfen; maßgeblich ist jedoch die Durchsetzbarkeit im vertraglichen bzw. rechtlichen Sinne (IFRS 15.B12(b) und (c)). Ein vereinbarter Zahlungsplan, der zwar den Zeitpunkt und die Höhe der Zahlung festlegt, stellt daher jedoch nicht notwendigerweise einen Nachweis für einen durchsetzbaren Zahlungsanspruch dar (IFRS 15.B13).
Tz. 79
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Für das Vorliegen eines Zahlungsanspruchs für erbrachte Leistungen ist zu prüfen, ob ein durchsetzbarer Anspruch im Fall einer vorzeitigen Kündigung durch den Kunden besteht (IFRS 15.B10). Bei der Beurteilung ist davon auszugehen, dass die Kündigung aus einem anderen Grund als der Schlechtleistung des Unternehmens erfolgt (IFRS 15.37; IFRS 15.B10). Das Unternehmen kann auch dann einen Anspruch auf Zahlung innehaben, wenn ein Kunde einen Vertrag kündigt, obwohl ihm kein Kündigungsrecht zusteht oder dieses nur zu bestimmten Zeiten ausgeübt werden könnte, sofern beide Vertragsparteien vertraglich oder gesetzlich verpflichtet sind, ihre Leistungen vollständig zu erfüllen (IFRS 15.B11; IFRS 15.BC 147). In vielen Fällen hat ein Unternehmen ein unbedingtes vertragliches Recht auf den Erhalt der Zahlung erst bei Erreichen bestimmter Meilensteine oder bei vollständiger Erfüllung der Leistungsverpflichtungen, so zB bei Beratungsleistungen, deren Vergütung an die Erstellung eines abschließenden Gutachtens geknüpft ist (IFRS 15.B10; IFRS 15.BC145). Für das Vorliegen eines Zahlungsanspruchs nach IFRS 15 ist dieses gegenwärtige Recht jedoch nicht notwendig; es ist ausreichend, dass ein Anspruch für bereits erbrachte Leistungen im Fall einer vorzeitigen Kündigung besteht (IFRS 15.B10; IFRS 15.BC145), was bei den meisten Werkverträgen zu einer zeitraumbezogenen Umsatzerfassung führen sollte (vgl. Heintges et al., Erfahrungen aus der Anwendung, WPg 2015, S. 582; Baur et al., KoR 2016, S. 402).
Tz. 80
Stand: EL 31 - ET: 3/2017
Die Anknüpfung des Kriteriums an das formale Vertragsrecht sowie an das jeweilige nationale Zivilrecht entspricht grundsätzlich dem angestrebten vertragsbasierten Ansatz; es wird jedoch nicht konsequent umgesetzt (vgl. Wüstemann/Wüstemann, WPg 2014, S. 935), da nicht auf eine vollständige oder vertragsgemäße Verpflichtungserfüllung seitens des Unternehmens abgestellt wird (IFRS 15.37 iVm. IFRS 15.BC142–145; vgl. bereits Re-ED IFRS 15.6.BC101). Diese Konkretisierung des Kontroll-Kriteriums berücksichtigt – im Gegensatz zu den Regelungen zur Identifizierung von Leistungsverpflichtungen – weder die zugrunde liegenden Vertragsrisiken, noch bildet es einen Kontrollübergang ab, da das Unternehmen ohne tatsächliche (Teil-)Übergabe das Risiko der Nacherfüllung trägt (vgl. Wagenhofer, Accounting and Business Research 2014, S. 367; Linsmeier, Re-ED IFRS 15.6.AV 6 f.). Der Übergang der Kontrolle wird durch den durchsetzbaren Zahlungsanspruch "fingiert", auch wenn das Unternehmen seine Leistungsverpflichtung im Fall von Leistungsstörungen rechtlich noch nicht erfüllt hat (vgl. Wüstemann/Wüstemann, WPg 2014, S. 934 (auch Zitat); Heintges et al., Erfahrungen aus der Anwendung, WPg 2015, S. 582; Knobloch/Anton, Das Fünf-Schritte-Modell (Teil 2), DStR 2015, S. 1585; Baetge/Celik, IRZ 2014, S. 366). Insbe...