Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 133
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Der Begriff "strukturierte Unternehmen" (structured entities) ist faktisch der Nachfolgebegriff für die bisher verwandten Zweckgesellschaften (special purpose entities/vehicles). In IFRS 10 ist weder eine Definition enthalten noch wird der Begriff "strukturierte Einheit" verwendet, vielmehr wird das Vehikel in IFRS 12 als (abgrenzbare) Einheit definiert, die so konzipiert ist, dass die Stimmrechte nicht der bestimmende Faktor bei der Beurteilung der Beherrschung dieser Einheit sind, indem zB die Stimmrechte nur für verwaltende Tätigkeiten gelten und die maßgeblichen Tätigkeiten durch vertragliche Vereinbarungen bestimmt werden (IFRS 12 Appendix A). Im Umkehrschluss sind Unternehmen, die mittels Stimmrechte beherrscht werden, keine strukturierten Unternehmen. Unter Umständen kann die Abgrenzung zwischen strukturierten Unternehmen und Unternehmen, bei denen Stimmrechte der bestimmende Faktor für die Beurteilung der Beherrschung ist, schwierig sein. Unternehmen, die aufgrund einer Restrukturierung oder Sanierung finanzielle Mittel von Dritten erhalten haben, stellen nicht zwangsläufig strukturierte Unternehmen dar, wenn diese Unternehmen nach der Restrukturierung weiterhin aufgrund von Stimmrechten beherrscht werden (IFRS 12.B24). Häufig stellen Verbriefungsvehikel, Asset-Backed Finanzierungen, Fonds oder Private Equity Strukturen strukturierte Unternehmen dar, da bei diesen Strukturen die Beherrschung nicht aus Stimmrechten oder ähnlichen Rechten resultiert (vgl. auch IFRS 12.B23). In IFRS 12.BC82 stellt der IASB fest, dass der Standardsetzer es für unwahrscheinlich hält, dass ein Unternehmen, welches nach SIC-12 als Zweckgesellschaft charakterisiert wurde, nicht auch ein strukturiertes Unternehmen iSd. IFRS 12 ist.
Tz. 134
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Mit IFRS 10 wurde das Risk-and-Reward-Modell aus SIC-12 nicht übernommen. Vielmehr ist anhand der allgemeinen Kriterien zu prüfen, ob ein Investor über Verfügungsgewalt über ein strukturiertes Unternehmen verfügt und dieses letztlich auch beherrscht (zur allgemeinen Definition von Beherrschung vgl. Tz. 55 ff.). Die Risiken und Chancen sind lediglich als Indikatoren für das Vorhandensein von schwankenden Renditen bzw. für den Anreiz des Investors, sich ausreichende Verfügungsgewalt einzuräumen, weiterhin zu berücksichtigen (vgl. Tz. 143 ff.). Es ist wichtig, zu identifizieren, ob ein strukturiertes Unternehmen vorliegt, da bestimmte Angabepflichten in IFRS 12 nur für strukturierte Unternehmen gelten (IFRS 12.24ff., vgl. Tz. 438 ff.).
Tz. 135
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Ein strukturiertes Unternehmen verfügt häufig über eine oder mehrere der folgenden Eigenschaften (IFRS 12.B22):
- begrenzte Aktivitäten/Geschäftstätigkeit;
- eng und klar bestimmter Geschäftszweck, zB Steuervorteile aufgrund von Leasingverhältnissen, Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, Einsammeln von Kapital, Verbriefungstransaktionen;
- unzureichende Ausstattung mit Eigenkapital, verbunden mit dem Erfordernis externer Finanzmitteln;
- Finanzierung durch strukturierte Finanzinstrumente, die zu einer Konzentration von Kredit- oder anderen Risiken führen.
Tz. 135a
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Bei strukturierten Unternehmen ist es zudem oft schwierig, die maßgebliche(n) Tätigkeit(en) sowie den Investor, der diese Aktivitäten steuern kann, zu bestimmen; zu beachten sind in diesem Zusammenhang:
- Auch wenn Entscheidungen nur in bestimmten Situationen getroffen werden können, verfügt der Investor über Verfügungsgewalt, der diese Entscheidungen über die maßgeblichen Tätigkeiten treffen kann.
- Ein Investor muss lediglich über die Möglichkeit der Ausübung dieser Rechte verfügen, die tatsächliche Ausübung ist nicht relevant.
- Es besteht die Vermutung, dass ein Investor einen umso stärkeren Anreiz hat, Verfügungsgewalt zu erlangen, je höher er an den Verlusten (und Gewinnen) des strukturierten Unternehmens beteiligt ist.
Tz. 136
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Bei strukturierten Unternehmen sind eine detaillierte Analyse und Beurteilung von Zweck und Gestaltung der Unternehmen sowie der maßgeblichen Tätigkeiten vorzunehmen (vgl. Tz. 67 ff.). Teil dieser Analyse ist die Beurteilung der Risiken, denen das strukturierte Unternehmen ausgesetzt sein soll, sowie der Risiken, die das strukturierte Unternehmen an andere Parteien weiterreichen soll, und welchen Risiken der Investor selbst ausgesetzt ist, wodurch faktisch ein Teil des Risk-and-Reward-Ansatzes des IAS 27 (amend. 2008) auch im IFRS 10 erhalten geblieben ist. Allerdings sollen die Kriterien der Beherrschung aus IFRS 10 nach Vorstellung des IASB bei strukturierten Unternehmen ebenso wie bei anderen Mutter-Tochter-Verhältnissen zur Anwendung gelangen. Dabei ist auch das Engagement und die Entscheidungen aller beteiligten Parteien bei der Gründung des strukturierten Unternehmens zu berücksichtigen (IFRS 10.B51, vgl. Tz. 139 ff.).
Tz. 137
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Bei einigen Beteiligungsunternehmen werden die maßgeblichen Tätigkeiten nur zu bestimm...