Prof. Dr. Bettina Thormann, Prof. Dr. Marius Gros
I. Prüfungsanordnung
1. Prüfungsanlass
Tz. 83
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Das Gesetz unterscheidet nach § 107 Abs. 1 Satz 1 und 3 HGB zwei Gründe, die zur Einleitung einer Prüfung durch die BaFin führen:
1) |
bei einem konkreten Anhaltspunkt für einen Rechnungslegungsverstoß ("Anlassprüfung"), |
2) |
ohne einen konkreten Anlass auf Basis einer Stichprobenziehung ("Stichprobenprüfung"). |
Tz. 84
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Während des Bestehens der DPR von Mitte 2005 bis zu Ihrer Auflösung Ende 2021 wurden rund 1.640 Prüfungen abgeschlossen. Dies entspricht im Durchschnitt ca. 100 Prüfungen pro Jahr. Der Schwerpunkt lag hierbei aufgrund der präventiven Ausrichtung der DPR-Tätigkeit auf den Stichprobenprüfungen (ca. 90 %). Im Jahr 2022 hat die BaFin 40 Bilanzprüfungen abgeschlossen; davon waren 14 Anlassprüfungen (35 %) und 26 Stichprobenprüfungen (65 %).
Tz. 85
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Zu einer sog. Anlassprüfung nach § 107 Abs. 1 Satz 1WpHG kommt es, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften vorliegen. Diese können sich beispielsweise durch Hinweise von Dritten, zB Anwaltskanzleien, die die Interessen von Aktionären oder Gläubigern vertreten, ergeben. Marktteilnehmer, Experten oder Journalisten können der BaFin über die Market Contact Group telefonisch, per Post, E-Mail oder im persönlichen Gespräch Hinweise geben. Außerdem ist auf der Webseite der BaFin eine elektronische Hinweisgeberstelle eingerichtet worden, bei der eine Kommunikation zwischen dem Whistleblower und der BaFin auf anonymer Basis möglich ist. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Rechnungslegung ergeben sich zudem durch ein IT-gestütztes Markt-Monitoring und eine eigene Medienanalyse der BaFin, bei der Presseveröffentlichungen, Ad-hoc-Mitteilungen und sonstige Publikationen analysiert werden (Hanenberg/Kostjutschenkow, BaFin-Journal 2021). Auch die APAS kann der BaFin vertrauliche Informationen aus ihrer Tätigkeit übermitteln (§ 66c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 WPO iVm. § 109a WpHG). Insbesondere im Rahmen ihrer mandatsbezogenen Inspektionstätigkeit erlangt die APAS Hinweise auf potenzielle Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften, die dann von der BaFin aufgegriffen werden. Derartige Mitteilungen der APAS führten bereits in der Vergangenheit zur Überprüfung von Anhaltspunkten für eine fehlerhafte Rechnungslegung im Rahmen eines Bilanzkontrollverfahrens.
Tz. 86
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Die Anhaltspunkte für einen Rechnungslegungsverstoß müssen allerdings hinreichend konkret sein. Gemäß der Regierungsbegründung zum BilKoG reichen bloße Vermutungen, Spekulationen oder Hypothesen nicht aus (vgl. Begr.RegE BilKoG, BT-Drucks. 15/3421, S. 14). Die Anordnung einer Anlassprüfung kann unterbleiben, wenn kein öffentlichen Interesses an einer Prüfung besteht (§ 107 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz WpHG). Auch wenn unterstellt werden kann, dass eine fehlerhafte Rechnungslegung vorliegt, kann auf eine Prüfung verzichtet werden, wenn aus Sicht des Kapitalmarkts die Information über den Fehler ohne Belang ist. In Anlehnung an das IFRS-Rahmenkonzept (CF.2.11) sind Informationen nur dann von Belang bzw. wesentlich, wenn ihr Weglassen oder ihre fehlerhafte Darstellung Entscheidungen von Kapitalmarktteilnehmern beeinflussen könnten. Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, könnte ein öffentliches Interesse dann nicht (mehr) vorliegen, wenn zwischenzeitlich das Delisting-Verfahren eingeleitet wurde. In welchen Fällen die Bedingungen für die Anordnung einer Prüfung entfällt, hängt von den jeweiligen Umständen ab.
Tz. 87
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Die Prüfung der BaFin beschränkt sich bei Anlassprüfungen auf den konkreten Anlass und teilt dem Unternehmen in der Prüfungsanordnung im Regelfall den Umfang der Prüfung mit (§ 107 Abs. 1 Satz 4 WpHG, vgl. auch Tz. 106ff.). Allerdings ist die BaFin nicht gehindert, die Prüfung auszuweiten, wenn sich weitere Anhaltspunkte für Rechnungslegungsverstöße ergeben (so schon Begr.RegE BilKoG zum Enforcement durch die DPR, BT-Drucks. 15/3421, S. 14).
Tz. 88
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Auch bei Stichprobenprüfungen soll die BaFin im Regelfall bereits in der Prüfungsanordnung den Umfang der Prüfung mitteilen (§ 107 Abs. 1 Satz 4 WpHG), vgl. Tz. 106bff.)
Tz. 89
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Stichprobenprüfungen (§ 107 Abs. 1 Satz 3 WpHG) nahmen in der Vergangenheit dem Verhältnis nach den größten Umfang der Bilanzkontrollverfahren ein (vgl. Tz. 84). Im Falle von Kapazitätsengpässen müssen die Stichprobenprüfungen hinter Anlassprüfungen zurücktreten, da deren Aufklärung höchste Priorität für den Kapitalmarkt hat. Ob die Halbjahresfinanzberichterstattung und die (Konzern-)Zahlungsberichte wie in der Vergangenheit ausschließlich Gegenstand von Anlassprüfungen sein können, ist unklar, da der Verweis in § 107 Abs. 1 Satz 8 WpHG auf Satz 2 statt Satz 3 verweist und somit ins Leere läuft.
Tz. 90
Stand: EL 53 – ET: 05/2024
Die Auswahl der Stichproben erfolgte zur Zeit der DPR nach den im Einvernehmen mit dem BMJV und dem BMF festgelegten "Grundsätze(n) für die ...