Prof. Dr. Peter Wollmert, Prof. Dr. Peter Oser
Tz. 25
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Trifft kein Standard und keine Interpretation explizit auf einen rechnungslegungspflichtigen Geschäftsvorfall zu (zB auf die Bilanzierung von Emissionsrechten), hat die Unternehmensleitung gem. IAS 8.10 abzuwägen, welche Bilanzierungs- und Bewertungsmethode zu entscheidungsnützlichen (IAS 8.10a) und verlässlichen Informationen (IAS 8.10b) führt. Zur Entscheidungsfindung bestimmt IAS 8.11 hierfür eigens eine Hierarchie, nach der in einem ersten Schritt auf die Regelungen in anderen (endorsten) Standards und Interpretationen sowie deren Anwendungsleitlinien zurückgegriffen werden soll, die vergleichbare Sachverhalte adressieren. Gibt es solche nicht, sind in einem zweiten Schritt die im Conceptual Framework (2018) Chapter 4 enthaltenen Definitionen, Ansatzkriterien und Bewertungskonzepte für Vermögenswerte, Schulden, Erträge und Aufwendungen heranzuziehen. Das Conceptual Framework (2018) wie auch die Anwendungsleitlinien haben zwar nicht den Charakter von Gemeinschaftsrecht, sie werden aber von der Europäischen Kommission explizit als "Grundlage für die Urteilsbildung bei der Lösung von Rechnungslegungsproblemen" anerkannt (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2003, Kommentare zu bestimmten Artikeln der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002, Abschn. 2.1.5). In einem dritten Schritt kann die Unternehmensleitung außerdem aktuelle Verlautbarungen anderer Standardsetter, die ein ähnliches Rahmenkonzept für die Entwicklung von Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden anwenden, sowie sonstige Fachliteratur und anerkannte Branchenpraktiken berücksichtigen. Diese dürfen allerdings nicht im Widerspruch zum Conceptual Framework (2018) oder zu anderen Standards bzw. Interpretationen stehen (IAS 8.12).
Tz. 26
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Unternehmen mit Sitz in der Europäischen Union haben bei der Schließung von Regelungslücken außerdem die Endorsement-Kriterien des Art. 3 Abs. 2 IAS-VO (vgl. Tz. 51) als übergeordnete Prinzipien zu beachten (vgl. Hauck/Prinz, Der Konzern 2005, S. 640f.). Da diese aber den qualitativen Anforderungen des Conceptual Framework (2018) Chapter 2 entsprechen, sind bei einem Rückgriff auf die Grundsätze des Conceptual Framework (2018) keine Auslegungskonflikte mit dem EU-Recht zu erwarten (vgl. insoweit zu Framework aF Schön, BB 2004, S. 767; Hauck/Prinz, Der Konzern 2005, S. 641; Küting/Ranker, WPg 2004, S. 2512).