Tz. 41

Stand: EL 44 – ET: 06/2021

Analog zum framework 2010 muss eine rückstellungsfähige Verpflichtung aus einem vergangenen Ereignis resultieren. Demnach muss das Unternehmen durch Aktivitäten in der Vergangenheit die Ursache für die gegenwärtige Verpflichtung geschaffen haben, die in Zukunft wahrscheinlich zu einem Nutzenabfluss führt. Zwischen dem "vergangenen Ereignis" und der im vorherigen Abschnitt erläuterten "gegenwärtigen Verpflichtung" besteht insofern eine Ursache-Wirkung-Beziehung (so auch Schrimpf-Dörges, in: Beck IFRS-Handbuch, § 12, Tz. 33; Melcher/David/Skowronek, 2013, S. 60), die allerdings nur gilt, wenn das Ereignis auch verpflichtend ist (vgl. hierzu Tz. 48 ff.).

 

Tz. 42

Stand: EL 44 – ET: 06/2021

Im Fall einer rechtlichen Verpflichtung besteht das die Verpflichtung begründende vergangene Ereignis regelmäßig aus einer Handlung bzw. Aktivität des Unternehmens, welche dann kraft Gesetzes, Vertrags oder Ähnlichem zu einer unentziehbaren Verpflichtung führt (zur Unentziehbarkeit ausführlich vgl. Tz. 48 ff.). So stellt zB der Verkauf von Produkten ein vergangenes Ereignis dar, das aufgrund der gesetzlichen Vorschriften zu Gewährleistungsverpflichtungen führen kann, denen sich das Unternehmen grundsätzlich kraft Gesetzes nicht entziehen kann.

 

Tz. 43

Stand: EL 44 – ET: 06/2021

Bei faktischen Verpflichtungen sind hingegen grundsätzlich (zu den Ausnahmen bei Restrukturierungsrückstellungen vgl. Tz. 88) zwei Handlungen bzw. Aktivitäten notwendig: zum einen das die gegenwärtige Verpflichtung auslösende Ereignis, zum anderen das die Unentziehbarkeit begründende Ereignis (ausführlich zur Unentziehbarkeit vgl. Tz. 48 ff.). So stellt zB der Verkauf von Produkten ein vergangenes Ereignis dar, das zu einer faktischen Kulanzverpflichtung führt, wenn das Unternehmen durch ein bestimmtes Handeln (zB Geschäftsgebaren; öffentliche Bekanntgabe) bei Dritten die Erwartung begründet, dass es auch in bestimmten Kulanzfällen Schäden am Produkt beseitigt. Eine Rückstellungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn das Unternehmen zwar sein kulantes Verhalten bei bestimmten Produktschäden öffentlich bekannt gegeben hat, aber keine Produkte verkauft hat. Ebenso wenig besteht Rückstellungsfähigkeit für Kulanzverpflichtungen, wenn das Unternehmen zwar Produkte verkauft hat, die kulante Behandlung von Reklamationen aber nicht durch eine Aktivität verdeutlicht hat, sodass die Kunden eine entsprechende Kulanz nicht erwarten.

 

Tz. 44

Stand: EL 44 – ET: 06/2021

Für die Passivierung einer faktischen Verpflichtung müssen beide Ereignisse vor dem Bilanzstichtag erfolgt sein. Es reicht nicht aus, dass sich das die Unentziehbarkeit begründende Ereignis erst nach dem Bilanzstichtag ereignet hat. Dies ergibt sich sowohl aus IAS 37.10 als auch aus den speziellen Vorschriften für Restrukturierungsmaßnahmen (insb. IAS 37.75; vgl. auch Reinhart, BB 1998, S. 2515 sowie vgl. Tz. 82 ff.). Damit soll dem besonderen Objektivierungsproblem von faktischen Verpflichtungen Rechnung getragen und verhindert werden, dass zu jedem Bilanzstichtag willkürlich faktische Verpflichtungen passiviert bzw. nicht passiviert werden. Dennoch bleibt dem bilanzierenden Unternehmen ein Gestaltungsspielraum (vgl. auch Tz. 36) insoweit, als es durch die gezielte Wahl des Zeitpunkts des die Unentziehbarkeit einer faktischen Verpflichtung begründenden Ereignisses (kurz vor oder kurz nach dem Bilanzstichtag), die Passivierung bzw. Nicht-Passivierung beeinflussen kann (vgl. Hain, 2000, S. 74). Findet das die Unentziehbarkeit auslösende Ereignis (zB öffentliche Bekanntgabe) zwischen dem Bilanzstichtag und dem Aufstellungsstichtag statt, sind ggf. Angaben gem. IAS 10 zu machen (vgl. ua. Reinhart, BB 1998, S. 2517; Hachmeister/Zeyer, in: Thiele/von Keitz/Brücks (Hrsg.), IAS 37, Tz. 160).

 

Tz. 45

Stand: EL 44 – ET: 06/2021

Im Unterschied zu den faktischen Verpflichtungen ist für das Vorliegen einer rechtlichen Verpflichtung grundsätzlich ausreichend, dass die gesetzliche Vorschrift am Bilanzstichtag so gut wie sicher (virtually certain) ist (IAS 37.22). So ist im oben genannten Beispiel 1 (vgl. Tz. 35) auch dann eine Rückstellung zu passivieren, wenn das Gesetz zur Reinigung aller kontaminierten Böden zwar zum Bilanzstichtag noch nicht verabschiedet war, aber die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs so gut wie sicher ist (vgl. auch IAS 37, Anh. C, Bsp. 2A). Die Rückstellungspassivierung vor dem Hintergrund eines noch nicht verabschiedeten Gesetzes stellt indes nach Ansicht des IASB eine Ausnahme dar. So führt der IASB in IAS 37.22 weiter aus, dass – aufgrund der Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Verabschiedung von neuen oder überarbeiteten Vorschriften – es in vielen Fällen unmöglich ist, die tatsächliche Verabschiedung eines Gesetzes mit hinreichender Sicherheit vorherzusagen, solange es nicht verabschiedet ist. Im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland ist somit eine Verabschiedung vom Bundestag und ggf. Zustimmung vom Bundesrat erforderlich (ausführlich hierzu vgl. Tz. ...

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