Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 93
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Der Effektivzins wird als interner Zinsfuß definiert: Es handelt sich um jenen Zinssatz, der die über die Laufzeit des Finanzinstruments oder einen ggf. kürzeren Zeitraum zukünftig erwarteten Zahlungsströme exakt auf dessen Bruttobuchwert diskontiert (vgl. IFRS 9 Appendix A). Bei der Schätzung der Zahlungen sind alle Vertragsbestandteile des Finanzinstruments zu berücksichtigen, va. Vorauszahlungen, Kündigungs- und vergleichbare optionale Bestandteile, nicht jedoch zukünftig erwartete Kreditausfälle (für eine Rückausnahme vgl. Tz. 96). Bei der Berücksichtigung etwaiger optionaler Komponenten, die Teil einer als zerlegungspflichtig eingestuften strukturierten Verbindlichkeit sind, ist das strukturierte Produkt zunächst aufzuspalten; erst dann wird der Effektivzins für den dann noch verbleibenden Trägervertrag berechnet. Auch sind in die Berechnung alle gezahlten oder empfangenen Gebühren einzubeziehen, sofern sie integraler Bestandteil des Effektivzinses iSv. IFRS 9.B5.4.1ff. sind; Gleiches gilt für Transaktionskosten sowie alle anderen Auf- bzw. Abgelder (vgl. IFRS 9 Appendix A).
Tz. 94
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Der IASB geht davon aus, dass sich die Zahlungsströme und die erwartete Laufzeit eines Finanzinstruments verlässlich schätzen lassen. In jenen seltenen Fällen, in denen dies wider Erwarten nicht möglich sein sollte, ist auf die vertraglichen Zahlungen über die Gesamtlaufzeit des Instruments abzustellen (vgl. IFRS 9 Appendix A iVm. BCZ5.66). Das bedeutet, dass in derartigen Fällen etwaige Kündigungsoptionen nicht zu berücksichtigen wären.
Tz. 95
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
In der Praxis ergeben sich regelmäßig Anwendungsschwierigkeiten bei der Beurteilung, welche Kosten und Gebühren Teil der Anschaffungskosten sind und damit in die Effektivzinsberechnung eingehen sollen. Die IFRS 9 zugrunde liegende Logik lässt folgende Behandlung sachgerecht erscheinen: Wenn ein Unternehmen eine eindeutig abgrenzbare Leistung erbringt, die mit dem eigentlichen Finanzierungsakt nichts zu tun hat, ist diese Leistung gem. den Grundsätzen für die Erlöserfassung bei Dienstleistungsgeschäften nach IFRS 15.35ff. abzubilden. Jene Dienstleistungen hingegen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Begründung des Finanzinstruments stehen, sind diesem sachlich zuzurechnen; entsprechend sind im Zuge der Erbringung der Dienstleistung anfallende Gebühren und Kosten in die Ermittlung des Effektivzinses für das Finanzinstrument einzubeziehen und über dessen Laufzeit zu verteilen (vgl. Deloitte LLP 2018, S. 366f.). Gebühren iZm. mit der Kreditwürdigkeits- oder Sicherheitenprüfung wären demnach der Kreditgewährung stets sachlich zuzurechnen, Kosten iZm. der Vertragspflege und üblichen Abwicklung der Kredits hingegen nicht (vgl. IFRS 9.B5.4.1ff.).
Tz. 96
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Wie eingangs beschrieben, bleiben erwartete Kreditausfälle bei der Berechnung des Effektivzinses im Regelfall unberücksichtigt. Hat ein Unternehmen aber einen finanziellen Vermögenswert ausgereicht oder erworben, der aufgrund eines sehr hohen Ausfallrisikos bereits zum Zugangszeitpunkt als bonitätsbedingt wertgemindert angesehen wird und deshalb mit einem deutlichen Abschlag notiert (deep discount), ist die Effektivzinsberechnung dergestalt vorzunehmen, dass bei der Schätzung der künftig erwarteten Zahlungsströme erwartete Ausfälle zu berücksichtigen sind. Den so berechneten Zins bezeichnet der IASB in Abgrenzung zum Normalfall als bonitätsadjustierten Effektivzins (vgl. IFRS 9 Appendix A iVm. B5.4.7 und BCZ5.67).
Ab wann von einem "sehr hohen" Ausfallrisiko auszugehen ist, lässt der IASB dabei unverständlicherweise ungeklärt. Wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang der explizite Hinweis in den Anwendungsleitlinien, dass das Vorliegen eines (lediglich) hohen Ausfallrisikos nicht zur Verwendung des bonitätsadjustierten Effektivzinses führe (vgl. IFRS 9.B5.4.7). Auch das IFRS Interpretations Committee hatte sich im Zusammenhang mit der bilanziellen Abbildung umgeschuldeter griechischer Staatsanleihen unter der Vorgängerregelung IAS 39 nicht zu einer klareren Aussage hinreißen lassen, ob der Erstansatz der modifizierten Anleihen nach erfolgter Ausbuchung des ursprünglichen Instruments als Indiz für ein sehr hohes Ausfallrisiko angesehen werden sollte. Stattdessen ließ man lapidar verlauten: "The Interpretations Committee noted that whether an incurred loss exists on initial recognition of an asset is a factual matter and that the assessment requires judgement. […] The Interpretations Committee considered that in the light of its analysis of the existing requirements of IAS 39 an interpretation was not necessary [...]" (IFRIC Update November 2012, S. 5).