Prof. Dr. Isabel von Keitz, Prof. Dr. Peter Wollmert
Tz. 48
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Analog zum framework 2010 wird als eine Komponente des ersten Ansatzkriteriums im IAS 37 gefordert, dass die Verpflichtung aus einem Ereignis der Vergangenheit resultiert. In den Erläuterungen zu IAS 37 wird an das Kriterium "Resultat aus vergangenen Ereignissen" eine weitere, im framework 2010 nicht explizit ausgeführte Anforderung geknüpft. So muss das Ereignis verpflichtend sein. Ein verpflichtendes Ereignis ist gegeben, wenn das Unternehmen keine realistische Alternative zur Erfüllung der durch das Ereignis entstandenen Verpflichtung hat (IAS 37.17).
Damit stellt der IASB das Vorliegen einer passivierungsfähigen Rückstellung auf die Unentziehbarkeit ab (vgl. Förschle/Kroner/Heddäus, WPg 1999, S. 45ff.). Nur wenn sich das Unternehmen der Erfüllung der Verpflichtung nicht mehr entziehen kann, liegt eine passivierungsfähige Rückstellung vor. Anders als im framework 2010 wird im framework 2018 das Kriterium der "Unentziehbarkeit" zur Konkretisierung der Definitionsmerkmale einer Schuld und damit des ersten Ansatzkriteriums berücksichtigt (vgl. F.4.29 (2018)).
Gemäß IAS 37.17 ist die Unentziehbarkeit grundsätzlich erfüllt, wenn
- die Erfüllung einer Verpflichtung rechtlich durchgesetzt werden kann, oder
- im Fall einer faktischen Verpflichtung, die Erfüllung der Verpflichtung von Dritten aufgrund von entsprechenden Ereignissen (zB öffentliche Bekanntgabe eines bestimmten Verhaltens) erwartet wird.
Tz. 49
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Demnach ist die Unentziehbarkeit bei rechtlichen Verpflichtungen grundsätzlich (zur Ausnahme vgl. Tz. 50) per Definition gegeben. Ebenso wird bereits über die Definitionsmerkmale von faktischen Verpflichtungen gem. IAS 37.10, die in der Erläuterung zur Unentziehbarkeit in IAS 37.17 letztlich nur nochmals zusammengefasst wiederholt werden, die Unentziehbarkeit als Objektivierungskriterium für faktische Verpflichtungen gefordert. Gemäß dieser Definitionsmerkmale respektive der Erläuterungen in IAS 37.17 ist für das Vorliegen einer faktischen Verpflichtung erforderlich, dass durch bestimmte Aktivitäten des Unternehmens (zB übliches Geschäftsgebaren oder öffentliche Bekanntgabe einer Handlungsweise) bei anderen Parteien eine gerechtfertigte Erwartung geweckt wird, dass es die Verpflichtung erfüllt (vgl. auch Tz. 34 ff.). Das die Unentziehbarkeit begründende Ereignis erfordert mithin die Objektivierung der Verpflichtung durch Dritte. Zum einen muss das Unternehmen durch dieses Ereignis Dritten gegenüber seine Verantwortlichkeit verdeutlichen. Zum anderen muss das Ereignis so ausgestaltet sein, dass die Dritten erwarten, dass das Unternehmen seinen Verpflichtungen auch nachkommt. So wird durch eine interne Managemententscheidung noch keine faktische Verpflichtung begründet, solange diese Entscheidung noch nicht den betroffenen Parteien mitgeteilt wurde (IAS 37.20). Die Nichterfüllung der faktischen Verpflichtung muss zu einem erheblichen wirtschaftlichen Nachteil (zB Reputationsverlust) des Unternehmens führen (vgl. Förschle/Holland/Kroner, 6. Aufl., 2003, S. 120; Hayn/Pilhofer, DStR 1998, S. 1730). Damit kann das Unternehmen faktisch aufgrund eines öffentlichen Drucks zur Erfüllung der Verpflichtung gezwungen werden.
Mit diesem Kriterium wird der Ermessensspielraum insoweit eingeschränkt, als dass eine reine Absicht des Managements, Verpflichtungen zu erfüllen, für die Rückstellungsbildung nicht ausreicht (vgl. KPMG (Hrsg.), 2020, Tz. 3.12.60.30). Unklar und damit frei für Ermessensausübung ist indes, welche Arten und Formen von Aktivitäten eines Unternehmens zum Nachweis der Unentziehbarkeit hinreichend sind (vgl. Hachmeister/Zeyer, in: Thiele/von Keitz/Brücks (Hrsg.), IAS 37, Tz. 169; ähnlich kritisch Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), 18. Aufl., 2020, § 21, Tz. 21ff. sowie Euler/Engel-Ciric, WPg-Sonderheft 2004, S. 149). Gemäß Bsp. 2B des Anh. C zu IAS 37 kann eine weltweit veröffentlichte Umweltleitlinie, in der sich das Unternehmen zur Reinigung von dekontaminierten Böden verpflichtet, eine faktische Verpflichtung begründen. Weitere konkretisierende Ausführungen zu den Anforderungen an das die Unentziehbarkeit begründende Ereignis erfolgen im Rahmen der separaten Vorschriften für Restrukturierungsmaßnahmen (ausführlich hierzu vgl. Tz. 82 ff.).
Tz. 50
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Neben der Forderung, dass sich ein Unternehmen aufgrund eines Gesetzes oder Vertrags oder aufgrund öffentlicher Bekanntgabe der Erfüllung der Verpflichtung nicht mehr entziehen kann, bedingt das Kriterium der Unentziehbarkeit gem. IAS 37.18f. zusätzlich, dass sich das Unternehmen der Verpflichtung auch nicht durch künftige Aktivitäten entziehen kann. Insofern muss die Unentziehbarkeit unabhängig von der künftigen Geschäftstätigkeit sein. Dabei bezieht sich die künftige Geschäftstätigkeit auf einzelne künftige Handlungen, nicht aber auf die vollständige Einstellung des Geschäftsbetriebs und Liquidation des Unternehmens (vgl. auch Moxter, BB 1999, S. 521f.; ihm folgend Schrimpf-Dörges, i...