Dr. Stefan M. Schreiber, Prof. Dr. Dirk Simons
Tz. 95
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Die Aussagekraft der optionspreistheoretisch ermittelten beizulegenden Zeitwerte wird dadurch eingeschränkt, dass grundlegende Unterschiede zwischen am Kapitalmarkt gehandelten und zu Vergütungszwecken begebenen Optionen bestehen. Bei der Auswahl des Bewertungsmodells sind daher insb. folgende Eigentümlichkeiten zu Vergütungszwecken gewährter Optionen zu berücksichtigen:
- Die Ausübbarkeit vergütungshalber gewährter Optionen ist regelmäßig durch Ausübungsbedingungen beschränkt. So können die Optionen zB während des Erdienungszeitraumes, der mindestens die gesetzliche Sperrfrist umfasst, nicht ausgeübt werden.
- Die Übertragbarkeit der Optionen ist eingeschränkt. Demzufolge besteht die einzige Verwertungsmöglichkeit darin, die Optionen auszuüben und die erhaltenen Aktien ggf. zu verkaufen.
- Es existieren Ausübungsbedingungen, die im Vergleich zu gehandelten Optionen zusätzliche Hürden bei der Verwertung der Option darstellen.
- Die Laufzeit vergütungshalber gewährter Optionen beträgt nicht selten zehn Jahre, während an den Finanzmärkten gehandelte Optionen typischerweise eine nach Monaten bemessene Laufzeit aufweisen (ferner vgl. Tz. 109ff.). Mathematisch stellt dies weder für das Black/Scholes- noch für das Binomialmodell ein Problem dar. Es ergeben sich jedoch nicht unerhebliche Ungenauigkeiten bzw. Ermessensspielräume bei der Prognose der erforderlichen Parameter.
Tz. 96
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Sofern Optionsprogramme zur Motivation zukünftiger Arbeitsleistungen verwendet werden, müssen sie gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG mit einer vierjährigen Sperrfrist versehen sein, innerhalb derer eine Optionsausübung untersagt ist. Damit entsprechen vergütungshalber gewährte Optionen weder amerikanischen Calls, die eine jederzeitige Ausübung während der Optionslaufzeit vorsehen, noch europäischen Calls, die eine Ausübung lediglich zum Fälligkeitszeitpunkt gestatten. In Anspielung auf die geografische Lage der Inselgruppe zwischen Amerika und Europa werden Mitarbeiteroptionen daher auch als Bermuda-Optionen bezeichnet (vgl. IFRS 2.BC147; Pellens et al., 2021, S. 587 Fn. 9). Der Optionswert einer Bermuda-Option liegt zwingend zwischen dem des europäischen und des amerikanischen Calls, wobei die Differenz zwischen den beiden Intervallgrenzen nach Einschätzung des IASB gering sein sollte (IFRS 2.BC148).
Tz. 97
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Grundsätzlich ist die fehlende Ausübbarkeit für die Optionsbewertung nur nachrangig bedeutsam, da zB bei dividendengeschützten gehandelten Optionen ohnehin die Ausübung im Fälligkeitszeitpunkt die optimale Strategie darstellt.
Tz. 98
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Eine Möglichkeit, die mangelnde Übertragbarkeit der vergütungshalber gewährten Optionen auszugleichen, wäre die Glattstellung durch Eingehung einer gegenläufigen Derivatposition am Kapitalmarkt. Allerdings dürfte eine derartige Strategie im Regelfall nicht verfügbar sein, da vergleichbare Optionen am Markt nicht gehandelt werden und die Begebung spezifisch abgestimmter Optionen am Fehlen des erforderlichen Mindestvolumens scheitern dürfte. Damit beschränkt die fehlende Übertragbarkeit vergütungshalber gewährter Optionen den Handlungsspielraum des Optionsberechtigten. Muss er, zB aufgrund des bevorstehenden Ausscheidens aus dem arbeitgebenden Unternehmen, seine Optionen liquidieren, um einen Totalverlust zu vermeiden, so steht ihm als einzige Verwertungsmöglichkeit die Optionsausübung mit anschließendem Verkauf der vergünstigt erworbenen Aktien offen. Hielte der Optionsberechtigte herkömmliche gehandelte Optionen, könnte er diese alternativ verkaufen. Das Fehlen der letztgenannten Verwertungsmöglichkeit für Mitarbeiteroptionen bedeutet eine erzwungene Aufgabe des Zeitwertes der Option für den Fall eines frühzeitigen Liquiditätsbedarfs.
Tz. 99
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Aus Unternehmenssicht könnte die fehlende Transferierbarkeit für die Ermittlung des Vergütungsaufwandes irrelevant sein, da in jedem Fall die Verpflichtung besteht, im Ausübungszeitpunkt eine Aktie zum vereinbarten Optionsbasispreis zu liefern. Empirisch führt die mangelnde Transferierbarkeit der Optionen jedoch zu einem Auseinanderfallen von praktiziertem Ausübungsverhalten einerseits und dem theoretisch optimalen Ausübungsverhalten andererseits (zu einem Bewertungsmodell unter Berücksichtigung von Ausübungs- und Handelsbeschränkungen vgl. Colwell et al., JoEDC 2015, S. 163ff.). Das bedeutet, die Aktienüberlassung ist deutlich früher als vor dem Erreichen der Optionsfälligkeit zu bewirken (IFRS 2.BC157). Aus diesem Grund ist der Optionsbewertung die erwartete tatsächliche Haltedauer anstelle der vertraglich kodifizierten Optionslaufzeit zugrunde zu legen. Darüber hinaus sollten bei der Prognose der erwarteten Haltedauer Zusammenhänge zwischen der Kursentwicklung der zugrunde liegenden Aktie und dem Ausübungsverhalten der Optionsberechtigten einbezogen werden (IFRS 2.BC160).