Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
aa. Praktisches Vorgehen bei der Beurteilung
Tz. 125
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Gemäß IFRS 10 basiert Verfügungsgewalt auf bestehenden Rechten (IFRS 10.11), in den meisten Fällen auf Stimmrechten (vgl. Tz. 91ff.). In einigen Situationen kann es allerdings sein, dass die maßgeblichen Tätigkeiten durch vertragliche Vereinbarungen gesteuert werden, zB wenn der Investor die Fertigungsprozesse oder die Art der Finanzierung des Beteiligungsunternehmens festlegen kann (IFRS 10.B40) und die Stimmrechte sich lediglich auf administrative Angelegenheiten des Beteiligungsunternehmens beziehen. Auch vertragliche Vereinbarungen mit anderen Stimmberechtigten (zB Stimmbindungsverträge) können zur Verfügungsgewalt führen (IFRS 10.B39).
Tz. 125a
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Um festzustellen, ob die Verfügungsgewalt auf Stimmrechten oder auf vertraglichen Rechten basiert, hat ein Investor zuerst alle gesellschaftsrechtlichen und vertraglichen Vereinbarungen zusammenzustellen, die grds. geeignet erscheinen, Verfügungsgewalt zu vermitteln. Neben vertraglichen Vereinbarungen im Zusammenhang mit der Gründung des Unternehmens sind auch an Verträge mit wesentlichen Fremdkapitalgebern oder weiteren Investoren sowie an Prospekte für den Kapitalmarkt zu denken. In einem zweiten Schritt hat der Investor diese Verträge auf substanzielle Rechte zu beurteilen. Diese Beurteilung ist nicht nur von dem Investor mit Stimmrechtsmehrheit, sondern auch von anderen Investoren ohne Stimmrechtsmehrheit durchzuführen (IFRS 10.B38).
Tz. 125b
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Basiert Verfügungsgewalt in Situationen, in denen Stimm- oder ähnliche Rechte keine wesentlichen Auswirkungen auf die Renditen des Beteiligungsunternehmens haben, auf vertraglichen Rechten, hat der Investor bei der Prüfung der Verfügungsgewalt seine Rolle bei der Gründung des Beteiligungsunternehmens sowie seine Rechte, die bei der Gründung des Beteiligungsunternehmens festgeschrieben wurden, zu berücksichtigen (IFRS 10.B51f.). Dabei sind sämtliche Sachverhalte und Umstände, vor allem auch der Zweck und die Gestaltung des Beteiligungsunternehmens zu berücksichtigen (vgl. IFRS 10.B5ff.). Auch die implizite oder explizite Verpflichtung, die Fortführung des Geschäfts des strukturierten Unternehmens sicherzustellen, stellt einen Indikator für das Vorliegen von Verfügungsgewalt dar (IFRS 10.B54, vgl. Tz. 139). Des Weiteren hat der Investor zu beurteilen, ob er die praktische Fähigkeit zur einseitigen Lenkung der maßgeblichen Tätigkeiten hat, ob er in einer besonderen Beziehung zum Beteiligungsunternehmen steht sowie das Ausmaß seiner Risikobelastung aus dem Investment.
Tz. 125c
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Falls Verfügungsgewalt auf vertraglichen Rechten basiert, hat der Investor bei der Prüfung der Verfügungsgewalt seine Rolle bei der Gründung des Beteiligungsunternehmens zu berücksichtigen (IFRS 10.B51 iVm. IFRS 10.B17). Wenn der Investor an der Gestaltung des Beteiligungsunternehmens beteiligt war, dann kann der Investor die Möglichkeit gehabt haben, sich ausreichende Rechte für die Verfügungsgewalt einzuräumen. Dabei sind die Beteiligung des Investors an der Gründung sowie die bei der Gründung getroffenen Entscheidungen unter Berücksichtigung von Zweck und Gestaltung des Beteiligungsunternehmens zu betrachten.
Tz. 126
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Darüber hinaus hat der Investor alle vertraglichen Vereinbarungen, die bei der Gründung des Beteiligungsunternehmens festgeschrieben wurden, zu berücksichtigen und seine vertraglichen Rechte zu beurteilen, bspw. Kauf- oder Verkaufsrechte, uneingeschränkte Abberufungsrechte, derivative Rechte oder Liquidationsrechte (IFRS 10.B52). Betreffen die vertraglichen Befugnisse Aktivitäten, die in engem Zusammenhang mit dem Beteiligungsunternehmen stehen, dann sind auch diese Aktivitäten wirtschaftlich als Aktivitäten des Beteiligungsunternehmens zu betrachten, auch wenn sie außerhalb der rechtlichen Grenzen des Beteiligungsunternehmens stattfinden. Daher sind explizite und/oder implizite Entscheidungsbefugnisse als maßgebliche Tätigkeiten bei der Frage zu berücksichtigen, wer über Verfügungsgewalt über das Beteiligungsunternehmen verfügt (IFRS 10.B52).
Tz. 127
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Zu den vertraglichen Vereinbarungen gehören:
- sämtliche Vereinbarungen, die zwischen den Investoren und dem Beteiligungsunternehmen bei Gründung und danach getroffen wurden;
- nicht dispositive Verkaufsprospekte, die den Investoren für ihre Beteiligungsentscheidung vorgelegt wurden, und mit Abschluss der Transaktion bindend werden;
- sonstige vertragliche Vereinbarungen, die vom Beteiligungsunternehmen eingegangen wurden.
Tz. 128
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Ein Investor verfügt über Verfügungsgewalt, wenn er durch vertragliche Vereinbarung oder Satzung oder ein gleichwertiges Statut die maßgeblichen Tätigkeiten des Beteiligungsunternehmens bestimmen kann. Anteilsbesitz oder eine Gesellschafterstellung des Investors am Beteiligungsunternehmen sind hierfür nicht zwingend erforderlich. Beherrschungsverträge iSv. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG sind ...