Dr. Stefan M. Schreiber, Prof. Dr. Dirk Simons
Tz. 100
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Es gab Überlegungen, die Verwendung des Black/Scholes-Modells zu untersagen, da es nach Auffassung des IASB für viele Unternehmen ungeeignet sein könnte (Ramscheid, in: Beck’sches IFRS-Handbuch, 6. Aufl., § 24, Tz. 56). Der Hauptkritikpunkt besteht darin, dass die Black/Scholes-Formel die Eigentümlichkeiten von vergütungshalber gewährten Optionen nicht adäquat widerspiegele (IFRS 2.BC131). So könnte zB die lange Optionslaufzeit bei jederzeitiger Möglichkeit der Optionsausübung nach dem Erdienungszeitraum gegen die Verwendung des Black/Scholes-Modells sprechen, da dieses lediglich endfällige Ausübungen berücksichtige (vgl. in abgeschwächter Form auch EY, International GAAP 2022, Kap. 29, Abschn. 8.3.1). Dem ist uE nicht zuzustimmen: Zum einen kann die vorzeitige Ausübung im Rahmen der Ermittlung der erwarteten Haltedauer berücksichtigt werden, zum anderen sind in der Literatur Modifikationen der Black/Scholes-Formel vorgeschlagen worden, die eine Bewertung amerikanischer Calls ermöglichen (vgl. zu verschiedenen Approximationen, Hull, 2022, S. 375ff.). Eingedenk der einfachen Handhabung der Black/Scholes-Formel spricht uE auch aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nichts gegen deren Verwendung. Allerdings muss festgestellt werden, dass die geschlossene Gleichungsform des Black/Scholes-Modells, die ursächlich für die Einfachheit ihrer Verwendung ist, gleichzeitig für die eingeschränkte Flexibilität des Modells verantwortlich ist (vgl. Pellens et al., 2021, S. 585). Weitere Bewertungsfragen stellen sich z. B. bei der Berücksichtigung aktienbasierter Vergütungen im Rahmen der Unternehmensbewertung (vgl. Schüler, ZfbF 2018, S. 130ff.).
Tz. 101
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Die grundsätzliche Eignung für Zwecke der Ermittlung des beizulegenden Zeitwertes kann der Black/Scholes-Formel nicht abgesprochen werden. Selbst wenn in der Literatur die Realitätsferne der Modellannahmen kritisiert wird (zu den Modellannahmen vgl. Tz. 83, zu deren Kritik zB Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), IFRS-Kommentar, 20. Aufl., § 23, Tz. 276), ist festzuhalten, dass sich das Black/Scholes-Modell mathematisch als Grenzübergang aus dem Binomialmodell herleiten lässt (vgl. Rudolph/Schäfer, 2010, S. 275). Insofern trifft die Kritik an den Modellannahmen der Black/Scholes-Formel in gleichem Umfang das Binomialmodell.
Tz. 102
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Allgemein wird in der Literatur das Binomialmodell als überlegen angesehen (vgl. EY, International GAAP 2022, Kap. 29, Abschn. 8.3.2; Crasselt, KoR 2005, S. 444; differenzierter Kramarsch, 2004, S. 211). Ein Vorteil des Binomialmodells besteht darin, dass aufgrund seiner erhöhten Flexibilität Modellmodifikationen leichter möglich sind. So kann zB das Phänomen vorzeitiger Optionsausübungen explizit durch die Einfügung von Satisfaktionsniveaus abgebildet werden (vgl. Simons, 2002, S. 192ff.). Auch die Berücksichtigung von Dividendenzahlungen beim Vorliegen nicht dividendengeschützter Optionen ist unproblematisch durchführbar (vgl. Hull, 2022, S. 360ff.). Darüber hinaus ist es einfach möglich, im Zeitablauf bestimmte Inputfaktoren, zB den risikolosen Zinssatz, variieren zu lassen (IFRS 2.BC160f.). Schließlich entspricht die zeitdiskrete Betrachtung der Kursentwicklung besser den tatsächlich praktizierten und häufig durch Ausübungszeitfenster begrenzten Optionsausübungen als die Annahme eines kontinuierlichen Handels im Black/Scholes-Modell. Im Vergleich zu Bewertungen, die empirisch gestützt erwartete Haltedauern in Abhängigkeit von der Kursentwicklung der Vergangenheit, dem zeitlichen Abstand bis zum Verfallsdatum der Option sowie den individuellen Charakteristika des optionsbegünstigten Managers und des begebenden Unternehmens schätzen, zeigt sich, dass selbst modifizierte Black/Scholes-Modelle zu spürbaren Abweichungen führen können (vgl. Carpenter et al., JoF 2019, S. 1212).
Tz. 103
Stand: EL 50 – ET: 06/2023
Eine elementare Kritik, die alle Bewertungsmodelle trifft, ist, dass der als Dateninput erforderliche Parameter Volatilität auf Basis empirischer Evidenz ermittelt werden muss. Diese Kritik ist uE nicht überzeugend, da auch andere Parameter, wie zB der risikolose Zinssatz, aus empirischen Evidenzen abgeleitet werden müssen.