Clemens Jungsthöfel, Katharina Rohde
Tz. 133
Stand: EL 54– ET: 10/2024
IFRS 17 sieht in Ergänzung der laufenden Bewertungsvorschriften umfangreiche Regelungen zum Übergang (Transition), also zur Methodik der erstmaligen Erfassung der versicherungstechnischen Rückstellungen nach IFRS 17, vor. Dies ist insbesondere nötig, um eine extern nachvollziehbare Transition zu gewährleisten, die einerseits die Grenzen des Zumutbaren und Machbaren (gegeben die in der Regel deutlich höheren Anforderungen) einhalten und andererseits stabile Startwerte für die Weiterentwicklung der versicherungstechnischen Rückstellungen im Rahmen des IFRS 17 nach der Transition zu liefern.
Tz. 134
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Es werden dabei drei Methoden zum Erstansatz in der Übergangsperiode vorgeschlagen. Die Wahl des Transition Approaches ist unumkehrbar und ist je group of insurance contracts zu treffen.
Tz. 135
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Die default-Methode des Standards ist der full retrospective approach (FRA; IFRS 17.C3/C4). Diese Methode ist grundsätzlich anzuwenden, solange die resultierenden Anforderungen an Datenverfügbarkeit und methodische Stabilität nicht impraktikabel umsetzbar sind. Konkret fordert der FRA eine vollständig rückwirkend angebrachte Bewertung, so als wenn der Standard bereits bei Aufnahme des Geschäftes in Kraft gewesen wäre.
Dieses hohe Anforderungsniveau bedeutet, dass alle üblichen Prozessschritte im IFRS 17-Bewertungs-"Workflow" rückwirkend zu durchlaufen sind, als wäre der Standard schon immer Grundlage der Finanzberichterstattung gewesen. Dies umfasst etwa
- Identifikation der GIC, inklusive Zuschnitt nach Kohorten und Portfolios (PICs);
- Erstbewertung, inklusive Identifikation von onerous contracts;
- Identifikation der anzusetzenden Zinskurven bei Geschäftsaufnahme;
- Durchführung der Kostenallokation, also Abgrenzung von nicht direkt zurechenbaren Kosten;
- Ermittlung des Risk Adjustments;
- Fortschreibung der initial gebildeten LRC, inklusive der Bemessung von etwaigen Anpassungen an der CSM und Releases gemäß geeigneter release pattern;
- Materialisierung der finance expenses und/oder Aufbau der OCI-Position entsprechend der historischen Zinsentwicklung.
Es wird deutlich, dass an vielen Stellen Bewertungsprozesse abgefragt werden, die erst mit der Implementierung des IFRS 17 etabliert worden sind. Die dafür notwendigen Input-Parameter müssen zudem historisch nachgebildet werden.
Es ist somit evident, dass der FRA zwar systematisch als Standard-Ansatz für den Erstansatz nach IFRS 17 naheliegt, aber in der Unternehmenspraxis oft auf die erwähnte "Impraktikabilität" traf. Der FRA kommt daher zumeist – wenn überhaupt – nur für relativ junge Kohorten zum Einsatz.
Sofern die Nicht-Umsetzbarkeit des FRA nachgewiesen werden kann, stehen dem Versicherungsunternehmen zwei gleichwertige Alternativen zur Verfügung:
1) der modified retrospective approach/MRA (geregelt über IFRS 17.C6–19A);
2) der fair value approach/FVA (geregelt über IFRS 17.C20–C24B).
Tz. 136
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Der MRA identifiziert ausgewählte Hürden bei der Anwendung des FRA und bietet definierte Vereinfachungen. Er lässt also nur klar vorgefertigte Erleichterungen zu – sowohl in der Auswahl der Aspekte als auch in der Methodik der Abweichung vom FRA. Der MRA verfolgt damit den Anspruch, im Ergebnis der Bewertung möglichst nahe am FRA zu verbleiben.
Für die folgenden Bewertungsaspekte sind Modifikationen zulässig – und ausschließlich für diese:
- Zusammensetzung/Bildung von GICs;
- Betrag der CSM und Betrag der LC;
- Ansatz der finance income and expenses.
Die Zusammensetzung und Bildung der GICs kann dabei vereinfachend auf Informationen zum Transition Zeitpunkt (statt zum Zeitpunkt des Beginns des Versicherungsvertrags) zurückgreifen. Dies betrifft sowohl die Zuordnung zu GICs selbst, aber auch etwa Entscheidungen zum Bewertungsmodell (zB Qualifikation für den VFA). Darüber hinaus kann die Kohortenbildung entschärft und Verträge mit einer Bandbreite von Risikoperiodenstart innerhalb von mehr als einem Jahr zusammengestellt werden.
Hinsichtlich der Erleichterungen im Kontext der CSM bzw. der LC sieht der Standard eine Vereinfachung der Fortschreibung seit Erstbewertung (initial recognition) vor. Dabei sind die initial erwarteten cash flows retrospektiv durch die Schätzungen zum Transition-Zeitpunkt, angepasst um die tatsächlich beobachteten cash flows seit inception, zu bestimmen. Zudem ist die Zinskurve, die der Diskontierung zu unterstellen ist, mit Schätzwerten nahe der Transition approximierbar. Ähnlich wie in der Cash-flow-Projektion kann das Risk Adjustment at inception durch die (Rest-)Bewertung zum Transition-Zeitpunkt adjustiert um den erwarteten Release vor Transition angenähert werden. Mit diesen Hilfsmethoden lässt sich eine CSM (oder ggf. LC) at inception ermitteln – ohne Kenntnis der exakten Parameter, die im FRA benötigt würden. CSM und LC at transition ergibt sich dann durch die systematische Amortisierung über die Zeit, anhand von geeigneten coverage units, die dem Unternehmen ohnehin vorlieg...