Clemens Jungsthöfel, Katharina Rohde
Tz. 42
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Bei der Erarbeitung der Bewertungsregeln für Versicherungsverträge gab es intensive Diskussionen in Bezug auf die Frage, was die geeignete Bewertungsebene und Bewertungshierarchie für die Anwendung der Bewertungsregeln ist. Aufgrund der imparitätischen Konzeption des IFRS 17 würde bei sehr granularer Wahl des Bewertungsobjektes (zB ein einzelner Vertrag) die Anwendung der Bewertungsregeln dazu führen, dass Verluste im Versicherungsbestand sofort und Gewinne erst über die Vertragslaufzeit erfasst würden (vgl. im Einzelnen Tz. 73ff.). Dies wäre im Grundsatz auch konsistent zum Einzelbewertungsgrundsatz bzw. den Regelungen in anderen IFRS-Standards, wie zB IFRS 9 und IFRS 15, reflektiert jedoch nicht auf angemessene Weise das Geschäftsmodell des Versicherers, nämlich die Übernahme von zahlreichen und vielfältigen Einzelrisiken.
Tz. 43
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Ein wesentliches Merkmal bei der Risikobeurteilung eines Versicherers in Bezug auf diese zu versichernden Risiken ist dabei das Zufallsrisiko des Eintritts eines Ereignisses. Das Versicherungsprinzip wird daher fundamental getragen vom Prinzip des Risikoausgleichs im Kollektiv und des Risikoausgleichs in der Zeit. Das bedeutet, dass ein Versicherer regelmäßig eine große Anzahl an Risiken zeichnet und bei der Kalkulation der Versicherungsprämie davon ausgeht, dass einzelne Verträge schadenbelastet und andere schadenfrei sein werden (zB in der Schadenversicherung) oder dass ein Vertrag schadenbelastet sein wird, der Zeitpunkt des Eintritts des Schadens aber unsicher ist (zB in der Lebensversicherung).
Diesen Gedanken des Risikoausgleichs und der Diversifikation im Bestand eines Versicherers aufgreifend regelt IFRS 17.24, dass die Vorschriften zum Ansatz und zur Bewertung von Versicherungsverträgen regelmäßig nicht auf Ebene des Einzelvertrags, sondern auf aggregierter Ebene anwendbar sind. Der IASB wollte den Unternehmen hierdurch gewisse Ermessenspielräume einräumen, auch um den bestands- und unternehmensspezifischen Besonderheiten Rechnung tragen zu können. Gleichzeitig sollte aber sichergestellt werden, dass den Berichtsadressaten durch zu weitrechende Spielräume bei der Wahl des Aggregationsgrads nicht wichtige Informationen, bspw. hinsichtlich der Profitabilität von Vertragsbeständen und deren Entwicklung im Zeitverlauf, verlorengehen. Zudem sollte die Vergleichbarkeit zwischen den Unternehmen nicht unnötig erschwert werden (IFRS 17.BC118–119; vgl. EFRAG 2018, S. 3 und S. 7).
Tz. 44
Stand: EL 54– ET: 10/2024
Den vorgenannten Überlegungen sollte durch eine Einteilung des Vertragsbestandes in folgende Aggregationsebenen Rechnung getragen werden (IFRS 17.14–23):
1) |
Portfolio von Versicherungsverträgen Versicherungsverträge mit ähnlichen Risiken, die gemeinsam gesteuert werden: Für Verträge innerhalb einer Sparte ist zu erwarten, dass sie ähnlichen Risiken ausgesetzt sind und daher dem gleichen Portfolio zugeordnet werden, wenn sie gemeinsam gesteuert werden. Bei Verträgen in verschiedenen Sparten (wie Verträge mit Einmalprämie und festen Jahresbeträgen im Vergleich zu Lebensversicherungen mit regulärer Laufzeit) würde nicht von ähnlichen Risiken ausgegangen und folglich werden diese verschiedenen Portfolios zugeordnet (IFRS 17.14). |
2) |
Gruppen von Versicherungsverträgen (group of insurance contracts, GIC) Portfolios sind wiederum in Untergruppen zu unterteilen; dabei sind mindestens folgende Gruppen im Hinblick auf die Einschätzung ihrer Profitabilität zu unterscheiden (IFRS 17.16):
- Defizitäre Verträge (onerous contracts);
- Verträge, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie nachträglich defizitär (onerous) werden; und
- übrige Verträge.
Durch diese Einteilung soll sichergestellt werden, dass die berichtete Performance eines Geschäftsjahres auch die Profitabilität des Vertragsbestandes widerspiegelt (EFRAG 2018, S. 12). Eine weitere Unterteilung der vorgenannten Gruppen ist möglich (IFRS 17.21). |
3) |
Zeichnungsjahre In die jeweilige Gruppe von Versicherungsverträgen (GIC) dürfen nur Verträge aufgenommen werden, deren Abschluss (Zeichnung) nicht mehr als ein Jahr auseinanderliegt. Man spricht auch von sog. (Ein-)Jahreskohorten (annual cohorts). Hierdurch sollte sichergestellt sein, dass den Berichtsadressaten eine Beurteilung der Entwicklung der Portfolioqualität und des Preisniveaus im Zeitablauf möglich ist, bspw. um die Auswirkungen von Marktzyklen einschätzen zu können (IFRS 17.BC136; vgl. EFRAG 2018, S. 8ff., inkl. Beispiele). |
Tz. 45
Stand: EL 54– ET: 10/2024
IFRS 17.23 stellt klar, dass eine GIC auch einen einzelnen Vertrag umfassen kann, sofern dies das Ergebnis der Anwendung der vorgenannten Regelungen ist. Dies kann bspw. bei Verträgen in der Rückversicherung oder Industrieversicherung der Fall sein (vgl. Ellenbürger et al. 2018, Tz. 71).
Die Abbildung von sogenannten Bündelverträgen, die unterschiedliche Risiken in einem Vertrag abbilden, wie zB die verbundene Wohngebäudeversicherung oder verbundene Hausratversicherung, ist im S...