Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 118
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Die Vorschriften zum Erstansatz sind kurz und bündig gehalten: Ein Unternehmen hat Finanzinstrumente nur und erst dann bilanziell zu erfassen, wenn es Vertragspartei wird (vgl. IFRS 9.3.1.1). Wie das Unternehmen Vertragspartei wird – schriftlich, mündlich oder durch konkludentes Handeln –, ist ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob es sich bei dem Finanzinstrument um ein Kassainstrument oder ein Termingeschäft handelt (so auch Kuhn/Scharpf 2006, Tz. 850): Auch bei Letzteren sind sämtliche vertraglichen Rechte und Pflichten als Vermögenswert (positiver Marktwert) resp. Verbindlichkeit (negativer Marktwert) anzusetzen. Ausgenommen sind lediglich Derivate, die die Ausbuchung eines anderen finanziellen Vermögenswerts verhindern (vgl. IFRS 9.B3.1.1 und B3.2.14; vgl. Tz. 130).
Tz. 119
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Im Überblick ergibt sich damit folgendes Bild (vgl. IFRS 9.B3.1.2):
- Unbedingte Kassageschäfte wie Forderungen und Verbindlichkeiten oder Wertpapiere sind mit Eingehung des Geschäfts grundsätzlich ansatzpflichtig. Das gilt ausdrücklich auch dann, wenn Barvermögen als Sicherheit für andere Geschäfte hingegeben oder empfangen wird (sog. Cash Collateral). In diesem Fall hat der Sicherungsgeber die Zahlungsmittel aus- und eine Forderung einzubuchen, der Sicherungsnehmer erfasst die Zahlungsmittel und eine Verbindlichkeit auf Rückgabe in gleicher Höhe (vgl. IFRS 9.IG.D.1.1);
- Zukünftig zu erwerbende finanzielle Vermögenswerte resp. einzugehende finanzielle Verbindlichkeiten (schwebende Geschäfte) werden solange nicht bilanziert, wie keine Partei ihren Verpflichtungen nachgekommen ist. Davon ausgenommen sind solche Verträge, die durch Nettobarausgleich erfüllt werden oder anderweitig für die Nutzung der Own Use Exemption nicht in Frage kommen (vgl. Tz. 22ff.). Sie werden in Höhe ihres beizulegenden Zeitwerts ansatzpflichtig. Gleiches gilt für schwebende Geschäfte, die als Grundgeschäft im Rahmen einer bilanziellen Sicherungsbeziehung fungieren (vgl. Tz. 329);
- Unbedingte Termingeschäfte (Forward Contracts) werden mit Eingehung des Geschäfts ansatzpflichtig. Die bilanzielle Erfassung dem Grunde nach (recognition) ist nicht zu verwechseln mit dem bilanziellen Ausweis (presentation): Unbedingte derivative Finanzinstrumente, die zu marktgerechten Bedingungen abgeschlossen werden, haben bei Abschluss regelmäßig einen beizulegenden Zeitwert von null. Da sie zum Abschlusszeitpunkt keinen Wert aufweisen, werden sie folgerichtig auch nicht ausgewiesen. Das ändert aber nichts daran, dass auch sie von dem grundsätzlichen Ansatzgebot erfasst werden. Sie werden dann quasi als Merkposten mitgeführt und unmittelbar ausweispflichtig, wenn sich ihr beizulegender Zeitwert ändert – in der Regel also bei der ersten Folgebewertung;
- Bedingte Termingeschäfte (Optionen) werden mit Eingehung des Geschäfts ansatzpflichtig;
- Zukünftig geplante oder erwartete Geschäfte dürfen infolge der fehlenden vertraglichen Grundlage ungeachtet ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit nicht bilanziert werden.
Tz. 120
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Was man aus dieser Aufstellung nicht auf den ersten Blick erkennt, ist ein Bilanzierungsproblem, das in dieser Form im deutschen Bilanzrecht nicht besteht: die Ansatzanomalie infolge der Absicherung zukünftig geplanter resp. erwarteter Transaktionen durch Einsatz von Derivaten. Derartige Absicherungen sind in multinational ausgerichteten Unternehmen mittlerweile Standard und spielen va. bei der Absicherung von Währungs- und Preisrisiken eine bedeutende Rolle. Während diese antizipativen Sicherungen im deutschen Handelsbilanzrecht dem Grunde nach nicht abgebildet werden, ist nach IFRS 9 ein Ansatz des zur Sicherung eingesetzten Derivats zwingend, wohingegen das Grundgeschäft (noch) nicht angesetzt werden darf. Infolgedessen kommt es aufgrund der unterschiedlichen Ansatzvorschriften für Grundgeschäft (geplantes bzw. erwartetes Geschäft) und Sicherungsinstrument (Derivat) zu Ergebnisvolatilität. Der IASB löst dieses Bilanzierungsproblem durch die Einführung spezieller Abbildungsregeln für das Derivat (sog. Cash Flow Hedge Accounting, vgl. Tz. 330ff.). Ein Nichtansatz des Sicherungsinstruments, wie er gem. § 254 HGB zulässig ist, kommt nach IFRS nicht in Frage.