Prof. Dr. Andreas Barckow
Tz. 153
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Der Bilanzierung von Finanzinstrumenten liegt kein einheitlicher Bewertungsmaßstab zugrunde (sog. Mixed Measurement Model): Während der weit überwiegende Teil der üblicherweise in Unternehmen anzutreffenden finanziellen Vermögenswerte und Verbindlichkeiten wie im deutschen Bilanzrecht zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet wird (s. a. Gelen, PiR 2010, S. 195), sieht der IASB für bestimmte Finanzinstrumente der Aktiv- und Passivseite verpflichtend einen Ansatz zum beizulegenden Zeitwert vor; für einige finanzielle Vermögenswerte werden die Wertänderungen des beizulegenden Zeitwerts dabei nicht im Periodenergebnis, sondern im Sonstigen Gesamtergebnis ausgewiesen. Mit dieser Bewertungskonzeption, die zweifelsohne als Kompromisslösung zustande gekommen war, ist der Board ein gutes Stück von dem von ihm ursprünglich favorisierten, einheitlichen Bewertungsmodell entfernt, das für alle Finanzinstrumente einen Ansatz zum beizulegenden Zeitwert vorsieht (sog. Full Fair Value Model; grundlegend dazu Barckow/Glaum, KoR 2004, S. 199ff.; Barth/Landsman, EAR 2010, S. 403ff.). Gleichwohl wurden in der jüngsten Finanzmarktkrise wiederholt Stimmen laut, der IASB habe den "Schnitt" zwischen einer Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten und dem beizulegenden Zeitwert nicht richtig gesetzt und entsprechende Änderungen angemahnt – in Richtung einer ausgedehnteren Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten. Dabei wurden insbesondere von politischer und regulatorischer Seite (vermeintliche!) Stabilitätsargumente ins Feld geführt, die angesichts einer auch dem deutschen Bilanzrecht nicht unbekannten Bewertung zum niedrigeren beizulegenden Wert nur Kopfschütteln auslösen können.
Tz. 154
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Maßgeblich für die Festlegung des jeweils zur Folgebewertung von Finanzinstrumenten zur Anwendung gelangenden Bewertungsmaßstabs ist eine ihr vorgelagerte Kategorisierung, die als Klassifizierung (classification) bezeichnet wird. Geht man davon aus, dass mit fortgeführten Anschaffungskosten und beizulegendem Zeitwert konzeptionell lediglich zwei Bewertungsmaßstäbe zur Verfügung stehen, könnte man schlussfolgern, dass es eben auch nur genau zwei Klassen pro Bilanzseite geben sollte. Aus Sicht der Bewertung für Zwecke des Bilanzansatzes ist diese Schlussfolgerung naheliegend; sie verkennt aber, dass für die Erfassung und den Ausweis von Wertänderungen in den IFRS – anders als im deutschen Bilanzrecht – zwei Alternativen bestehen: eine Erfassung im Periodenergebnis und eine im Sonstigen Gesamtergebnis, was bereits zu drei theoretisch möglichen Varianten je Bilanzseite führt. Wird dann noch danach unterschieden, dass Wertänderungen, die im Sonstigen Gesamtergebnis zu erfassen sind, anlassbezogen mal in das Periodenergebnis umgegliedert werden (sog. recycling), mal nicht, wäre man bereits bei vier Möglichkeiten… Ruft man sich die in der Vorgängerregelung IAS 39 existierenden vier Bewertungskategorien für finanzielle Vermögenswerte in Erinnerung, findet man zwar die vorstehend genannten Bewertungs- und Ausweiskonsequenzen wieder; allerdings wurden diese noch durch eine uneinheitliche Klassifizierungskonzeption überlagert:
- die Kategorie "bis zur Fälligkeit zu halten" mit einer Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten folgte einer Verwendungsfiktion im Unternehmen;
- die Kategorie "Kredite und Forderungen", in der Finanzinstrumente ebenfalls zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertet wurden, betraf bestimmte Arten finanzieller Vermögenswerte;
- die Kategorie "zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten bei Erfassung der Erfolge im Periodenergebnis" stellte auf eine Bilanzierungskonsequenz ab (und selbst, wenn man auf die Unterkategorien blickt, ergibt sich kein einheitliches Bild: "zu Handelszwecken gehalten" ist wiederum eine Verwendungsfiktion, die Fair Value Option hingegen eine Bilanzierungsnorm); und
- die Kategorie "zur Veräußerung verfügbar", bei der Finanzinstrumente zum beizulegenden Zeitwert bewertet und Wertänderungen im Sonstigen Gesamtergebnis erfasst wurden, wurde als Residualkategorie definiert und ist als Restant ohnehin konzeptionsfrei.
Tz. 155
Stand: EL 37 – ET: 2/2019
Wie bereits in den Tz. 5 und 6 angerissen (vgl. Tz. 5f.), erfolgte die Überarbeitung von IAS 39 in Phasen, wobei die zuerst in Angriff genommene der Überprüfung und ggf. Anpassung des bestehenden Klassifizierungs- und Bewertungsmodells galt. Im Rahmen dieser Arbeiten griff der IASB auch Vorschläge aus seinem im Frühjahr 2008 erschienenen Diskussionspapier zur Komplexitätsreduktion bei der Bilanzierung von Finanzinstrumenten auf. Insbesondere galt sein Augenmerk einer möglichen Verringerung der Bewertungskategorien auf der Aktivseite sowie der Entwicklung eines einheitlichen Klassifizierungskonzepts (vgl. dazu IFRS 9.BC4.41ff.). Dabei musste der IASB feststellen, dass die zunächst lautstark gegenüber IAS 39 geäußerten Vorwürfe, der bestehende Standard sei komplex und konzeptionslos, bei Prüfung der unterbreitet...