Tz. 1

Stand: EL 47 – ET: 06/2022

Der im Dezember 2000 verabschiedete IAS 41 Agriculture regelt die bilanzielle Abbildung biologischer Vermögenswerte sowie der aus ihnen gewonnenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse zum Zeitpunkt der Ernte. Dabei hat das damalige IASC (als Vorgängergremium des IASB (vgl. zur historischen Entwicklung des IASB IFRS-Komm., Teil A, Kap. I, Tz. 20–41)) bewusst auf eine Differenzierung der Regelungen bspw. im Hinblick auf die Viehzucht, den Weinbau oder die Forstwirtschaft verzichtet, da sämtliche biologische Vermögenswerte und landwirtschaftliche Erzeugnisse trotz deren Heterogenität nach einheitlichen, allgemein gültigen Regelungen bilanziert werden sollten. Bemerkenswert ist hierbei va., dass IAS 41 vom Zeitpunkt des erstmaligen Ansatzes der jeweiligen Vermögenswerte bis zum Zeitpunkt der Ernte grundsätzlich eine erfolgswirksame Bewertung zum beizulegenden Zeitwert abzüglich Veräußerungskosten (fair value less costs to sell) verlangt. Insofern unterscheidet sich die Bilanzierung nach IAS 41 von der bilanziellen Behandlung von bspw. Sachanlagen und immateriellen Vermögenswerten, da in IAS 16 bzw. IAS 38 lediglich ein Wahlrecht zur Bewertung zum beizulegenden Zeitwert im Rahmen der Neubewertungsmethode vorgesehen ist (IAS 16.29 bzw. IAS 38.72). IAS 41 hebt sich auch von IAS 40 Investment Property ab. Zwar enthielt IAS 40 in seiner Entwurfsfassung E64 noch eine obligatorische Bewertung von als Finanzinvestitionen gehaltenen Immobilien zum beizulegenden Zeitwert (vgl. E64.26). Nach Widerstand vieler der kommentierenden Institutionen und Unternehmen wurde letztlich aber auch die Bilanzierung dieser Immobilien zu Anschaffungskosten in IAS 40.30 als Wahlrecht zugelassen (vgl. Basis for IASC’s Conclusions on IAS 40, Tz. B44–B49). Gleichwohl hat sich das IASC der im Rahmen der Entwicklung von IAS 41 – auch von den eigenen Mitgliedern – vorgebrachten Kritik nicht verschlossen, dass nicht für sämtliche biologische Vermögenswerte in allen Wachstumsphasen ein beizulegender Zeitwert zuverlässig ermittelbar sei (vgl. hier und im folgenden Satz McGregor, 2008, S. 234). Letztlich ist es nur der Gewährung der sog. reliability exception (vgl. Tz. 4852a), dh. der in Ausnahmefällen möglichen Bewertung biologischer Vermögenswerte zu Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten gem. IAS 41.30, zu verdanken, dass IAS 41 die erforderliche Mehrheit im IASC erhalten hat und somit verabschiedet werden konnte.

 

Tz. 2

Stand: EL 47 – ET: 06/2022

Kerngedanke von IAS 41 ist die grundsätzliche Unvereinbarkeit anschaffungs- bzw. herstellungskostenorientierter Bewertungsmethoden mit dem Wesen landwirtschaftlicher Tätigkeit. Vor allem die biologische Transformation (Wachstum, Rückentwicklung, Fruchtbringung und Vermehrung), welche die Substanz der landwirtschaftlichen Vermögenswerte verändert (vgl. Basis for IASC’s Conclusions on IAS 41, Tz. B4), und die für die Landwirtschaft nicht unüblichen langfristigen Produktionszyklen – zB in der Forstwirtschaft – werfen spezielle Probleme für die Rechnungslegung auf. Dabei führt die Anwendung von anschaffungs- bzw. herstellungskostenorientierter Bewertungsmethoden nach Auffassung des IASC nicht zur Vermittlung entscheidungsnützlicher Informationen (vgl. dazu ausführlich Basis for IASC’s Conclusions on IAS 41, Tz. B13–B21; Kümpel et al., in: Thiele/von Keitz/Brücks, 36. Erg.-Lfg. März 2018, IAS 41, Tz. 4f.).

 

Tz. 3

Stand: EL 47 – ET: 06/2022

Die biologische Transformation führt zu einer Änderung der Erwartungen des aus den biologischen Vermögenswerten resultierenden künftigen wirtschaftlichen Nutzens. Hinsichtlich der Änderungen dieser Nutzenerwartungen wird ein direkter Zusammenhang mit den Änderungen des beizulegenden Zeitwerts unterstellt (vgl. Basis for IASC’s Conclusions on IAS 41, Tz. B14). Der Zeitraum der biologischen Transformation kann in Abhängigkeit von der Art der landwirtschaftlichen Tätigkeit unterschiedlich lang ausfallen. So zeichnet sich die Zucht von Schlachtgeflügel oder der Anbau von medizinischem Cannabis (vgl. Kirsch/von Wieding/Nonnast, DB 2021, S. 631) im Gegensatz zur Forstwirtschaft durch relativ kurze Produktionszyklen aus. Gerade bei langen Produktionszyklen – wie bspw. in der Forstwirtschaft – wird sich der Kostenverlauf jedoch regelmäßig vom Wachstumsverlauf unterscheiden (vgl. Basis for IASC’s Conclusions on IAS 41, Tz. B15). Kosten entstehen zunächst im Rahmen der Anpflanzung, später treten idR Pflegekosten (Düngemittel, Kultivierung, Beschneidung, Schädlingsbekämpfung usw.) hinzu. Erfolgt nun die Bilanzierung zu historischen Anschaffungskosten, werden Erträge erst im Zeitpunkt der Ernte, bspw. bei Abholzung, erfasst (vgl. hier und im folgenden Satz Basis for IASC’s Conclusions on IAS 41, Tz. B15). Im Rahmen der von IAS 41 geregelten Bilanzierung wird der Ertrag dagegen entsprechend den Änderungen des beizulegenden Zeitwerts erfasst. Damit spiegelt sich die aus der wirtschaftlichen Tätigkeit resultierende Leistung (performance) des Unternehmens sowohl in der ...

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