Prof. Dr. Peter Wollmert, Prof. Dr. Peter Oser
Tz. 50
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Der IASB besitzt als privatrechtlicher Standardsetter in der Europäischen Union gem. Art. 288 AEUV keine Gesetzgebungskompetenz. Daher müssen die vom IASB herausgegebenen Standards und Interpretationen von der Europäischen Kommission legitimiert werden. Diese Legitimation erfolgt indes nur für die eigentlichen Standards und Interpretationen. Ergänzende Erläuterungen, wie die Basis for Conclusions, Implementation Guidances und Illustrative Examples, die zusammen mit den Standards vom IASB veröffentlicht werden, oder das im Jahr 2018 überarbeitete Conceptual Framework for Financial Reporting, werden nicht in das EU-Recht übernommen. Sie dienen jedoch bei Zweifelsfragen der Auslegung der Standards (vgl. IFRS-Komm., Teil B, IAS 8, Tz. 65ff.).
Tz. 51
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Voraussetzung für die Übernahme der vom IASB veröffentlichten Standards und Interpretationen in das Europäische Recht ist, dass sie mit diesem vereinbar sind. Konkret unterliegt die Übernahme der Vorschriften dem Vorbehalt des Art. 3 Abs. 2 der IAS-VO, nach dem sie
- der Vermittlung eines den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage (true and fair view) der Gesellschaft nicht zuwiderlaufen dürfen und insoweit mit der EU-Bilanzrichtlinie (die 4. und 7. EG-Richtlinie wurden 2013 durch die EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU ersetzt) in Einklang stehen muss,
- dem europäischen öffentlichen Interesse entsprechen und
- den Kriterien der Verständlichkeit, Erheblichkeit, Verlässlichkeit und Vergleichbarkeit genügen, damit die Finanzinformationen wirtschaftliche Entscheidungen und eine Leistungsbewertung des Managements ermöglichen.
Tz. 52
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Für die Übernahme der IFRS in Europäisches Recht regeln Art. 3 Abs. 1 iVm. Art. 6 Abs. 2 der IAS-VO ein Übernahmeverfahren – das sogenannte Endorsement-Verfahren. Art. 6 Abs. 2 der IAS-VO verweist auf das Rechtssetzungsverfahren aus dem Beschluss des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (sogenannter Komitologie-Beschluss 1999/468/EG, ABl. EG L 184 vom 17. Juli 1999, S. 23).
Dieses Übernahmeverfahren wurde mit dem Beschluss des Europäischen Rates 2006/512/EG vom 17. Juli 2006 (ABl. EG L 202 vom 22. Juli 2006, S. 11) geändert. Es wurde ein Regelungsverfahren mit Kontrolle eingeführt, das dem Europäischen Parlament einen größeren Einfluss als das Regelungsverfahren aus dem Komitologie-Beschluss des Jahres 1999 einräumt. Infolgedessen wurde in der IAS-Verordnung der Verweis auf das Komitologieverfahren mit Kontrolle mit der Verordnung (EG) Nr. 297/2008 (ABl. EU L 97 vom 9. April 2008, S. 62) angepasst. Somit steht dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament gleichberechtigt das Recht zu, die endgültige Freigabe der IFRS durch die Europäische Kommission zu kontrollieren und abzulehnen.
Nahezu zeitgleich mit der Änderung des Komitologie-Beschlusses hatte die Europäische Kommission am 14. Juli 2006 die Einsetzung einer Prüfgruppe für Standardübernahmeempfehlungen (Standards Advice Review Group, SARG) beschlossen. Bestehend aus unabhängigen Sachverständigen und hochrangigen Vertretern der nationalen Standardsetter sollte sie die Europäische Kommission in Bezug auf die Objektivität und Ausgewogenheit der Standardübernahmeempfehlungen der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) beraten. Damit sollte eine hohe Qualität, Transparenz und Glaubwürdigkeit der von einem privatwirtschaftlich getragenen Expertengremium abgegebenen Standardübernahmeempfehlungen gesichert werden (vgl. Entscheidung der Kommission vom 14. Juli 2006 (2006/505/EG), ABl. EU L 199 vom 21. Juli 2006, S. 33). Als jedoch in den folgenden Jahren die Rolle der EFRAG weiterentwickelt und ausgebaut wurde, beschloss die Europäische Kommission, dass zusätzliche Prüfungen seitens der SARG entbehrlich seien, und erneuerte daher deren Mandat nicht mehr. Die Prüfgruppe wurde daraufhin im Juli 2011 aufgelöst (vgl. Europäische Kommission, SWD(2015) 120 final, S. 14).
Tz. 53
Stand: EL 48 – ET: 10/2022
Im Jahr 2011 wurde das europäische Komitologieverfahren mit der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 ("Komitologieverordnung") an die mit dem Vertrag von Lissabon vorgenommenen Änderungen an Art. 290 und 291 AEUV angepasst. Von der Neuregelung vorläufig ausgenommen wurden jedoch die Vorschriften mit Bezugnahme auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle nach Art. 5a des Komitologiebeschlusses 1999/468/EG iVm. 2006/512/EG, da diese den Vorgaben des AEUV weitgehend entsprachen (vgl. Europäische Kommission, Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011, ABl. EU L 55 vom 28. Februar 2011, S. 13, COM(2016) 799 final, S. 2). Diese bleiben vorerst in Kraft.
Allerdings verpflichtete sich die Europäische Kommission bei der Annahme der Komitologieverordnung die Bestimmungen dieses Verfahrens zu überprüfen und ggf. an die Regelungen des AEUV anzupassen. Im Zuge der im Jahr 2016 verabschiedeten ...