Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Walther Busse von Colbe, Marcel Kottenstein
Tz. 1
Stand: EL 49 – ET: 02/2023
IAS 29 findet Anwendung auf Einzel- und Konzernabschlüsse von Unternehmen, deren funktionale Währung die eines Hochinflationslandes ist. Eine ausdrückliche Zielsetzung (objective) enthält IAS 29 zwar nicht, doch wird im Abschnitt "Anwendungsbereich" unter IAS 29.2 offenbar als Begründung für IAS 29 darauf hingewiesen, dass in hochinflationären Volkswirtschaften eine Berichterstattung über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in der lokalen Währung ohne Anpassung von Posten des Abschlusses an die gestiegenen Preise (restatement) nicht zweckmäßig sei. Das Geld verliere so stark an Kaufkraft, dass der Vergleich von Beträgen, die aus Transaktionen und anderen Geschäftsvorfällen zu verschiedenen Zeitpunkten resultieren, sogar innerhalb einer Rechnungsperiode irreführend sei. Das gelte erst recht für einen Periodenvergleich. Aus dieser Begründung lässt sich als Ziel des IAS 29 ableiten, dass durch die Anpassung von Posten des Abschlusses an das gestiegene Preisniveau die Aussagekraft und damit die Nützlichkeit der finanziellen Berichterstattung wiederhergestellt werden soll. Dies kommt auch in IAS 29.7 zum Ausdruck, wonach der Abschluss in einem Hochinflationsland nur zweckmäßig sei, wenn er in Einheiten mit der Kaufkraft am Abschlussstichtag ausgedrückt ist (im Folgenden auch als angepasster, indexierter oder indizierter Abschluss bezeichnet).
Tz. 2
Stand: EL 49 – ET: 02/2023
Die Anregung zur Entwicklung von IAS 29 ging von einigen süd- und mittelamerikanischen Ländern aus. In Brasilien, Argentinien und Mexiko erreichten in den 1980er-Jahren die jährlichen Inflationsraten zeitweise mehrere hundert Prozent, in einzelnen Jahren sogar mehrere tausend Prozent (vgl. Wiedmann/Euler, BFuP 1991, S. 311).
Tz. 3
Stand: EL 49 – ET: 02/2023
In Hochinflationsländern sollen gem. IAS 29.8 Abschlüsse (financial statements), die auf historischen Anschaffungs- und Herstellungskosten (historical cost) oder Tageswerten (current cost) basieren, in Maßeinheiten zum Bilanzstichtag ausgedrückt werden. Mit der Umrechnung von historischen Anschaffungswerten des ursprünglichen Abschlusses auf das allgemeine Preisniveau des Abschlussstichtags wird mit IAS 29 ein Konzept der "realen Kapitalerhaltung" verfolgt. Die indizierten Werte sind weiterhin Anschaffungs- oder Herstellungswerte, aber ausgedrückt in Kaufkrafteinheiten des Abschlussstichtags. Unterschiedliche Preisentwicklungen einzelner Güter oder Gütergruppen (spezielle Wiederbeschaffungspreise) werden also grundsätzlich nicht berücksichtigt. Allerdings sind Tageswertabschlüsse (current cost financial statements) insoweit nicht anzupassen, als die einzelnen Vermögenswerte und Schulden zu Tageswerten auf dem Preisniveau des Abschlussstichtags bilanziert sind (IAS 29.29; zur Umrechnung von zu Tageswerten aufgestellten Abschlüssen vgl. Tz. 67). Sie sind damit bereits in Maßeinheiten des Abschlussstichtags ausgedrückt. Diese Tageswerte können jedoch von den mit einem allgemeinen Index umgerechneten Anschaffungs- oder Herstellungswerten erheblich abweichen.
Tz. 4
Stand: EL 49 – ET: 02/2023
Nach IAS 29.7 ist eine Ergänzungsrechnung zu einem nicht angepassten Abschluss anstelle eines inflationsbereinigten Abschlusses ausdrücklich nicht erlaubt (not permitted). Auch wird von einer Nominalwertrechnung als Ergänzung zu einem nach IAS 29 angepassten Abschluss in IAS 29.7 abgeraten. Für ausführliche Erläuterungen hierzu sowie zu sog. "Hartwährungsabschlüssen" vgl. Tz. 38ff.
Tz. 5
Stand: EL 49 – ET: 02/2023
In Anbetracht der relativen Preisniveaustabilität in Deutschland ergibt sich derzeit die Notwendigkeit einer Hochinflationsanpassung nur für die Konzernrechnungslegung und zwar für die Einbeziehung von solchen ausländischen Konzerngesellschaften in einen Konzernabschluss, deren Abschlüsse in der Währung eines Hochinflationslandes aufgestellt werden. Handelsrechtlich existiert mit dem im April 2018 durch das BMJV bekanntgemachten DRS 25 "Währungsumrechnung im Konzernabschluss" ein Standard, der auch Regelungen für Inflationsbereinigung enthält. DRS 25 war erstmals für Geschäftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2018 beginnen, anzuwenden. Er sieht ein Wahlrecht zwischen einer Inflationsbereinigung durch Aufstellung eines Hartwährungsabschlusses und einer Inflationsbereinigung durch Indexierung vor (vgl. DRS 25.99). Die Beurteilung, wann eine Hochinflation vorliegt, ähnelt den Grundsätzen in IAS 29 (vgl. hierzu Tz. 20ff.). Anders als IAS 29 geht der DRS 25 aber davon aus, dass bei einer kumulierten Inflationsrate über drei Jahre von über 100 % eine Hochinflation regelmäßig vorliegt (vgl. DRS 25.97). Des Weiteren sieht er eine strikte Devisenbewirtschaftung und Devisenkontrolle von staatlicher Seite als weiteren Indikator vor (vgl. DRS 25.97). Dieser Indikator kann auch für eine Beurteilung gem. IAS 29 in Betracht gezogen werden (glA PWC, 2021, FAQ 10.7.1, vgl. auch Tz. 21). Insofern kann uE eine einheitliche Beurteilung für HGB und IFRS erfolgen.