Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Isabel von Keitz
Tz. 164
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Ein weiterer Spezialfall der Softwarebilanzierung sind die mittlerweile für Unternehmen zunehmend wichtiger werdenden (mobilen) Apps (zur Abgrenzung von unterschiedlichen Apps vgl. mwN Lindner, 2016, S. 36). Hierbei handelt es sich um "Programme, mit denen der Softwarenutzer spezifische Datenverarbeitungsaufgaben erledigen kann" (Fink, PiR 2019, S. 193). Apps werden zum einen unternehmensintern genutzt, zB zur Produktionssteuerung. Zum anderen werden Apps auch regelmäßig als Schnittstelle zu Kunden des Unternehmens genutzt, zB um über die App Produkte oder Dienstleistungen des berichterstattenden Unternehmens zu vertreiben. Mit Blick auf die Bilanzierung nach IFRS ist zwischen dem Erwerb einer App von Dritten und der eigenen Herstellung/Entwicklung zu unterscheiden (von cloudbasierten Lösungen wird hier abstrahiert; hierzu vgl. Tz. 161–163).
Tz. 165
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Apps sind in den Anwendungsbereich von IAS 38 einzuordnen, wenn sie die Definitionskriterien für einen immateriellen Vermögenswert iSd. IAS 38.8 erfüllen, dh. ein identifizierbarer, nicht monetärer Vermögenswert ohne physische Substanz sind (ausführlich vgl. Tz. 15–22) und nicht vom Anwendungsbereich des IAS 38 ausgeschlossen sind (vgl. Tz. 7–13). Unkritisch sind in Bezug auf Apps die Eigenschaften "nicht monetär" und "ohne physische Substanz". Auch lassen sich Apps prinzipiell vom originären Geschäfts- oder Firmenwert abgrenzen, sind also iSv. IAS 38.11f. separierbar und damit identifizierbar (vgl. ausführlich Fink, PiR 2019, S. 194; allgemein zum Kriterium vgl. Tz. 18). Auch die mit einem Vermögenswert verbundenen Anforderungen können bei Apps grundsätzlich nachgewiesen werden. So ist die Kontrolle über eine App im Rahmen der separaten Anschaffung regelmäßig vertraglich fixiert, sodass Dritte von der Nutzung ausgeschlossen werden können. Selbiges kann bei Selbsterstellung gewährleistet werden, indem Mitarbeiter zur Geheimhaltung verpflichtet werden (vgl. Fink, PiR 2019, S. 194; im Ergebnis so auch Lindner, 2016, S. 136). Darüber hinaus wird auch – abseits von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen – der künftige wirtschaftliche Nutzen regelmäßig nachweisbar sein, zB bei interner Verwendung der App mit potenziellen Kostenersparnissen und bei Verwendung als Absatzkanal mit Erlösmehrungen (hierzu allgemein vgl. Tz. 21a). Daher sind grundsätzlich die Definitionskriterien iSd. IAS 38.8 erfüllt.
Tz. 166
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Die Apps sind dann als immaterielle Vermögenswerte zu aktivieren, wenn die weiteren Ansatzkriterien erfüllt sind (Wahrscheinlichkeit des Nutzenzuflusses und zuverlässige Messbarkeit; vgl. Tz. 38–40) und keine Bilanzierungsverbote für die anfallenden Aufwendungen vorgesehen sind. Bei der separaten Anschaffung einer App (inkl. Tausch) sind das zweite Ansatzkriterium (Wahrscheinlichkeit des Nutzenzuflusses) stets und das dritte Ansatzkriterium (zuverlässige Messbarkeit) für gewöhnlich erfüllt (vgl. Tz. 41–45), sodass in diesem Fall von einer Aktivierungspflicht auszugehen ist (ausführlich hierzu vgl. Fink, PiR 2019, S. 194f.).
Bei der Selbsterstellung von Apps ist – wie auch bei der Selbsterstellung von Software im Allgemeinen – mit Blick auf die Aktivierungsfähigkeit insbesondere von Bedeutung, inwiefern sich die Forschungs- von der Entwicklungsphase trennen lässt und ob die Kriterien des IAS 38.57 erfüllt sind. In diesem Kontext können zur Konkretisierung der allgemeinen Regelungen des IAS 38 die Normen des SIC–32 (Ansatz von Websitekosten; vgl. Tz. 74) sowie aus den US-GAAP Regelungen ASC–350 und ASC–985 hinzugezogen werden (vgl. so auch Fink, PiR 2019, S. 195 sowie in Bezug auf SIC–32 ähnlich Lindner, 2016, S. 153f.). Eine Aktivierung der Kosten, die für die Planung und die Vorbereitung des Projektes anfallen, scheidet bei der Selbsterstellung einer App aus, da es sich hierbei um Forschungskosten handelt, für die nach IAS 38.54 und (für Websitekosten) SIC–32.9 (a) ein Aktivierungsverbot besteht. Die Phase der Entwicklung und Implementierung der App ist hingegen der Entwicklungsphase zuzuordnen, sodass die in dieser Phase anfallenden Kosten (zB Kosten für die Erarbeitung und Testung des Quellcodes; allgemein zu den zu berücksichtigenden Kosten in der Entwicklungsphase vgl. Tz. 90–93), sofern sie von den Kosten in der Forschungsphase getrennt werden können, zu aktivieren sind. Kosten für die Anwendung (zB Trainingskosten) bzw. den Betrieb der App unterliegen hingegen einem Ansatzverbot (vgl. Fink, PiR 2019, S. 195f.). Zudem scheidet in Anlehnung an SIC–32 die Bilanzierung einer (selbst erstellten) App als immaterieller Vermögenswert nach IAS 38 aus, wenn die App ausschließlich der Unternehmens- und Produktpräsentation dient (hierzu vgl. Tz. 74 sowie sachverhaltsspezifisch Fink, PiR 2019, S. 195), da es sich in diesem Fall um reine Werbemaßnahmen handelt, die gem. IAS 38.68f. nicht aktivierungsfähig sind.
Tz. 167
Stand: EL 42 – ET: 11/2020
Sofern bei erworbenen oder bei selbsterstellten Apps die ...