Prof. Dr. Isabel von Keitz, Prof. Dr. Peter Wollmert
1. Künftige betriebliche Verluste
Tz. 71
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Für künftige betriebliche Verluste besteht ein Rückstellungsverbot (IAS 37.63). Dies ergibt sich aus der Anwendung der Definitionskriterien für Schulden und den Ansatzkriterien für Rückstellungen, wie auch in IAS 37.64 klargestellt wird. Zwar führen die künftigen Verluste möglicherweise zu einem künftigen Mittelabfluss, da die künftigen Verluste aber nicht auf vergangenen Ereignissen beruhen und keine gegenwärtige Verpflichtung darstellen, erfüllen sie nicht die Definitionsmerkmale für eine Verpflichtung. Sie sind mithin weder als Rückstellung noch als sonstige Verbindlichkeit zu passivieren. Darüber hinaus stellen künftige betriebliche Verluste regelmäßig auch keine Eventualverbindlichkeiten iSd. IAS 37 dar. Denn auch für Eventualverbindlichkeiten stellt die Entstehung durch ein vergangenes Ereignis ein Definitionsmerkmal dar, welches von künftigen betrieblichen Verlusten nicht erfüllt wird. Mithin sind solche künftigen betrieblichen Verluste weder in der Bilanz noch in der Gesamtergebnisrechnung zu erfassen, noch ist über sie im Anhang zu berichten.
Tz. 72
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Künftige betriebliche Verluste entstehen ua. aus dem allgemeinen Unternehmensrisiko, aber auch aus konkret geplanten künftigen Aufwendungen (zB für unterlassene Instandhaltungen, Forschung, Werbung). Da diese künftigen Aufwendungen künftigen Erträgen zuzuordnen sind, dürfen sie im Sinne des matching principles nicht schon vorher bilanziell berücksichtigt werden (vgl. mit weiteren Beispielen Hachmeister/Zeyer, in: Thiele/von Keitz/Brücks (Hrsg.), IAS 37, Tz. 346ff.; Lüdenbach/Hoffmann/Freiberg (Hrsg.), 18. Aufl., § 21, Tz. 28f.). Dies gilt auch dann, wenn zB bereits im alten Jahr ein Auftrag zur Durchführung einer unterlassenen Instandhaltung erteilt worden ist. Solange bei diesem schwebenden Vertrag davon auszugehen ist, dass die erhaltende Leistung (Instandhaltung) und zu erbringende Leistung (Zahlung) ausgeglichen sind, ist eine bilanzielle Berücksichtigung nicht geboten. Erst wenn der Vertrag für das Unternehmen belastend ist, ist eine Rückstellung zu bilden (dazu vgl. Tz. 75 ff.).
Tz. 73
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Ungeachtet dessen kann die Erwartung künftiger betrieblicher Verluste ein Hinweis für eine Wertminderung von Vermögenswerten sein. Solch eine Wertminderung kann sich unter Berücksichtigung von IAS 36 insb. für immaterielle Vermögenswerte und Sachanlagen ergeben, wie in IAS 37.65 explizit ausgeführt; aber auch zB aus IAS 2 für Vorräte (vgl. ADS Int 2002, Abschn. 18, Tz. 180). Über die Wertminderungen werden noch nicht realisierte und insofern künftige Verluste zT sehr wohl bilanziell erfasst (vgl. ähnlich Ernst & Young (Hrsg.), 2020, S. 1865).
Tz. 74
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Darüber hinaus müssen Unternehmen häufig über künftige Risiken in anderen Teilen ihres Geschäftsberichtes (zB im Lagebericht oder im sog. Management Discussion and Analysis) informieren, die zu möglichen künftigen Verlusten führen. Der IASB hat bisher keine Pflicht zur Aufstellung eines Lageberichts oder eines ähnlichen Statements erlassen. In IAS 1.13 wird eine Berichterstattung lediglich empfohlen (vgl. dazu ua Brücks/Ehrcke, in: Thiele/von Keitz/Brücks, IAS 1, Rz. 125). Zur Umsetzung dieser Empfehlung hat der IASB ein sog. Practice Statement "Management Commentary" herausgegeben (vgl. ausführlich IFRS-Komm., Teil A, Kap. VIII, Tz. 66ff.). Für deutsche nach IFRS bilanzierende Unternehmen ergibt sich indes eine Berichtspflicht gem. § 315e Abs. 1 HGB iVm. § 315 HGB und DRS 20.
2. Belastende Verträge
Tz. 75
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Schwebende Geschäfte fallen gemäß IAS 37.3 grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich des IAS 37. Mit diesem Ausschluss soll vermieden werden, dass die Bilanz durch die Passivierung von Verpflichtungen, denen entsprechende Ansprüche gegenüberstehen, aufgebläht wird (vgl. Tz. 25; zur Begründung der Nichtaktivierung von schwebenden Geschäften nach HGB, welche grundsätzlich auch auf IAS 37 übertragbar ist, Baetge/Kirsch/Thiele, 15. Aufl., 2019, S. 446ff.). Sofern allerdings aufgrund von vergangenen Ereignissen die Verpflichtungen aus einem schwebenden Vertrag die Ansprüche übersteigen, ist in Höhe des Verpflichtungsüberschusses grundsätzlich eine Rückstellung für Verluste aus schwebenden Geschäften zu passivieren. Belastende Verträge liegen insofern nur dann vor, wenn der Saldo aus Anspruch und Verpflichtung negativ ist. Eine Reduktion eines positiven Saldos respektive ein entgangener Gewinn führen hingegen nicht zu einem belastenden Vertrag und können damit auch keine Rückstellungsbildung auslösen. Wenn zB ein Unternehmen Waren für einen Preis von 100 GE bestellt, aber bis zum Bilanzstichtag noch nicht erhalten hat und diese am Bilanzstichtag zum Preis von 90 GE zu beschaffen wäre, liegt kein belastender Vertrag vor, sofern davon auszugehen ist, dass das Unternehmen die bestellten Waren noch für mindestens 100 GE weiterveräußern kann.
Tz. 76
Stand: EL 44 – ET: 06/2021
Belastende Verträge können sich grundsätzlich...