Prof. Dr. Sven Hayn, Dr. Thomas Ströher
Tz. 192
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Der IASB hat als privatrechtliche Organisation keine originäre Rechtssetzungskompetenz. Die IFRS/IAS erhalten nur derivativ über den Verweis nationaler Standardsetzer oder aus der Übernahme in nationales Recht einen verbindlichen Charakter (für die EU mittels der IAS-Verordnung mit Übernahmemechanismus; vgl. Tz. 193). De facto kommt damit bei der Aufstellungspflicht von IFRS-Abschlüssen den Befreiungsregelungen der lokalen Vorschriften letztendlich die zentrale Bedeutung zu. Die Rechnungslegungspflicht in der EU basiert auf den Richtlinien der Europäischen Union, im Fall der Konzernrechnungslegung auf der EU-Richtlinie 2013/34/EU vom 26. Juni 2013 sowie der jeweiligen nationalen Umsetzung, in Deutschland den §§ 290 bis 293 HGB. Für Mutterunternehmen, die weder Kapitalgesellschaften noch Personenhandelsgesellschaften iSd. § 264a HGB sind, ist die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses in § 11 PublG geregelt. Für Unternehmen in Europa sind die Regelungen des IFRS 10.4 damit nicht relevant. Zudem enthält die Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Juli 2002 betreffend die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards (sog. IAS-Verordnung) für bestimmte Mutterunternehmen unmittelbar die Pflicht, ihre Konzernabschlüsse nach IFRS zu erstellen. Hinsichtlich anderer Mutterunternehmen besteht indes ein Mitgliedstaatenwahlrecht, die IFRS für diese Unternehmen verpflichtend vorzuschreiben oder eine freiwillige Anwendung der IFRS im Konzernabschluss vorzusehen. Letzteres wurde mittels § 315e Abs. 3 HGB in Deutschland umgesetzt. In solcher Art verpflichtend bzw. freiwillig IFRS anwendende Mutterunternehmen sind gem. § 315e Abs. 1 HGB von der Pflicht zur Erstellung eines HGB-Konzernabschlusses befreit, wobei allerdings bestimmte handelsrechtliche Vorschriften (zB die Erstellung eines Lageberichts oder bestimmte Anhangangaben) ergänzend anzuwenden sind. Dies gilt analog auch für Gesellschaften, die nach dem PublG zur Erstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet sind (§ 11 Abs. 6 Satz 2 PublG).
Tz. 193
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Mit der IAS-Verordnung wurde damit lediglich die Anwendung der IFRS in Konzernabschlüssen bestimmter Mutterunternehmen geregelt, nicht aber die Pflicht zur Konzernrechnungslegung. Sofern ein Mutter-Tochter-Verhältnis iSd. §§ 290ff. HGB vorliegt und das Mutterunternehmen kapitalmarktorientiert iSv. Art. 4 der IAS-Verordnung ist, dh., dass am jeweiligen Bilanzstichtag Wertpapiere des Mutterunternehmens in einem beliebigen Mitgliedstaat zum Handel in einem geregelten Markt (in Deutschland entspricht dies dem organisierten Markt gem. § 2 Abs. 11 WpHG) zugelassen sind, haben diese Mutterunternehmen seit dem 1. Januar 2005 den Konzernabschluss zwingend nach IFRS aufzustellen (§ 315e HGB). Mit dem BilMoG 2009 wurde übrigens das Konzept der einheitlichen Leitung einer Beteiligung (§ 290 Abs. 1 HGB aF und § 11 Abs. 1 PublG aF) aufgehoben. Die Konzernrechnungslegungspflicht nach HGB/PublG bestimmt sich nunmehr analog zu den IFRS ausschließlich nach dem Beherrschungskonzept (vgl. BR-Drucks. 344/08 v. 23.05.2008, S. 170f.).
Tz. 194
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Ferner sind seit dem 1. Januar 2007 auch Mutterunternehmen, deren Wertpapiere zwar noch nicht zum öffentlichen Handel zugelassen sind, aber am Bilanzstichtag bereits die Zulassung eines Wertpapiers iSv. § 2 Abs. 1 WpHG zum Handel an einem inländischen organisierten Markt iSv. § 2 Abs. 11 WpHG beantragt haben, gem. § 315e Abs. 2 HGB verpflichtet, einen Konzernabschluss nach IFRS aufzustellen (Umsetzung des Mitgliedstaatenwahlrechts in Art. 5 der IAS-Verordnung).
Tz. 195
Stand: EL 51 – ET: 10/2023
Die im Folgenden dargestellte Abgrenzung des Konsolidierungskreises richtet sich nach den Vorschriften des IASB. Dieses Zusammenspiel zwischen HGB bzw. EU-Recht bei der Aufstellungspflicht und den IFRS bei der Konsolidierungspflicht wird es auch in Zukunft erforderlich machen, dass eine Abstimmung zwischen den Rechnungslegungssystemen erfolgt. Zumindest theoretisch könnte der Fall eintreten, dass ein Unternehmen zwar zur Aufstellung eines HGB-Konzernabschlusses verpflichtet ist, nach den Vorschriften des IASB indes kein Tochterunternehmen vorliegt, sodass die Aufstellung unterbleiben kann. Strittig war bisher, wie in diesem Fall vorzugehen ist. In der Literatur wurden neben der Erstellung eines Konzernabschlusses nach HGB (Küting/Gattung/Keßler, DStR 2006, S. 583f.) auch die Erstellung eines IFRS-Abschlusses ohne Konsolidierung vorgeschlagen (Knorr/Buchheim/Schmidt, BB 2005, S. 2402). Durch das BilMoG wurde für diesen Fall Klarheit geschaffen: Gemäß § 290 Abs. 5 HGB ist ein Mutterunternehmen von der Pflicht, einen Konzernabschluss aufzustellen (und damit auch von § 315e HGB), befreit, wenn es nur Tochterunternehmen hat, die gemäß § 296 HGB nicht in den Konzernabschluss einbezogen werden brauchen. Ferner ist es auch denkbar, dass ein Unternehmen nach HGB nicht zur Aufstellung eines...