Rz. 7
Der rational handelnde Investor berücksichtigt bei seiner Anlageentscheidung das Risiko-/Chancenprofil einer Anlage. D. h., Ziel einer Anlage in einem festverzinslichen Wertpapier ist eine möglichst risikobereinigte Rendite. Bei gleichem Risikoprofil wird die Anlage mit der höchsten Rendite gewählt. Bei einem Investment in grüne Anleihen kommen jedoch noch Nachhaltigkeitsaspekte hinzu, welche bei der Anlageentscheidung eine Rolle spielen. Diese Aspekte sind jedoch schwierig zu beurteilen, so dass das Entscheidungsverhalten eines rationalen Investors nicht deckungsgleich ist mit dem Entscheidungsverhalten eines Investors, der "grüne Aspekte" in seine Entscheidung mit einbezieht.
Rz. 8
Es erscheint, als ob in der öffentlichen Diskussion um Green Bonds dieser entscheidende Aspekt der Anlageentscheidungen entweder außer Acht gelassen oder verdrängt wird. Im Vordergrund der Diskussionen ist die Beobachtung eines Nachfrageüberhangs aufgrund von nachhaltigen Anlagestrategien von Investoren, Diversifikationseffekten von Portfolien oder auch ethisch-moralischen Aspekten, um den Umbau in eine klimaneutrale Wirtschaft/Gesellschaft zu unterstützen.
Rz. 9
Es muss auch konstatiert werden, dass die Interessen von Investoren nicht in ausreichendem Maß von der Politik oder Regulatorik berücksichtigt werden. Green Bonds sind i. d. R. langläufige fixe Anleihe, die einem gewissen Zinsänderungsrisiko ausgesetzt sind. Am Kapitalmarkt für festverzinsliche langlaufende Anleihen lässt sich auch kaum ein Unterschied zwischen den Zinssätzen für Green Bonds und herkömmlichen Anleihen erkennen. Warum sollten sich also internationale Investoren, Rentenfonds etc. entscheiden, in Green Bonds zu investieren? Der Markt hat entschieden, indem er die Anzahl der "Artikel 8 Fonds" gem. SFDR erhöht hat, während "Artikel 9 Fonds" Rückgänge verzeichnen. D. h., "grüne Projekte" werden von Fonds nicht aufgesetzt, sondern eher Fonds, die eine grüne Finanzierung "anstreben".
Rz. 10
Ferner besteht bei Investitionen in "grüne" Finanzinstrumente die Gefahr, dass die aufgenommenen Mittel durch den Emittenten/Schuldner zweckentfremdet verwendet werden. Eine Zweckentfremdung führt derzeit nicht zu Strafzahlungen für den Emittenten oder zur Beendigung/Rückzahlung einer Anleihe an den Investor. Insbes. auch der Umweltnutzen der investierten Mittel wird häufig nur für den Zeitraum bis zur vollständigen Finanzierung/Refinanzierung der aufgenommenen Mittel in Form einer Allokations- und einer Wirkungsberichterstattung (Letztere auch nicht immer) vorgenommen. Investoren von langlaufenden Investments können daher häufig über einen Großteil der Duration der Green Bonds nicht über die Umweltauswirkung berichten.
Rz. 11
Aus diesem Grund bestehen bei "grünen" Finanzinstrumenten besondere Informationsbedürfnisse der Investoren in der Zeit vor, bei Ausgabe und in der Zeit nach der Emission eines Green Bonds. Interessenschwerpunkte der Investoren sind die Mittelverwendung, deren Überwachung und die Berichterstattung bei der Einhaltung der im Verkaufsprospekt benannten "grünen" Effekte der finanzierten Investitionen.
Rz. 12
Emittenten könnten aufgrund der Investorenbedürfnisse anfänglich höhere Transaktionskosten bei Green Bonds im Vergleich zu "normalen" Anleihen haben. Gleichwohl können mit Green Bonds diese Kosten durch potenziell geringere Kapitalkosten, eine Verbesserung des Images des Unternehmens, Verbreiterung der Investorenbasis und insbes. eine "ESG-Story" im Einklang mit der EU-Taxonomie, dem Green Deal der EU und einer Nachhaltigkeitsberichterstattung kompensiert oder überkompensiert werden. Gerade die strategische Verknüpfung eines notwendigen Geschäftsmodellumbaus bzw. Investitionen zur Reduzierung von zukünftigen materiellen ESG-Risiken mit den notwendigen Finanzierungen/Refinanzierungen am Kapitalmarkt gewinnen zunehmend für die Unternehmensführung an Bedeutung. Die in den letzten Jahren steigende Aufmerksamkeit und Nachfrage "grüner" Finanzinstrumente für Investoren schafft Möglichkeiten für Unternehmen, das notwendige Kapital für ESG-Investitionen am Markt zu beschaffen.
Rz. 13
Emittenten könnten motiviert sein, Transaktionskosten zu senken, indem Kontrollprozesse der Mittelverwendung, Überwachung und Berichterstattung unterlassen oder reduziert werden. Für Investoren kann das Risiken in Form von "Greenwashing" insbes. durch eine zweckfremde Verwendung von Mitteln bedeuten. Zur Vermeidung einer Fehlallokation von Kapital durch Greenwashing haben sich am Markt Green Bond Frameworks bzw. Prinzipien entwickelt (Rz 17 ff.).