Ewald Dötsch, Prof. Dr. Franz Dötsch
Leitsatz
§ 171 Abs. 14 AO 1977 ist verfassungsgemäß und verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Normenkette
§ 171 Abs. 14 AO
Sachverhalt
Der Kläger hat seinen 1991 verstorbenen Vater allein beerbt. 1994 erließ das FA an den verstorbenen Vater adressierte Einkommensteuerbescheide 1987 und 1988. Noch im selben Jahr entrichtete der Kläger die festgesetzten Einkommensteuerbeträge. Später begehrte er deren Erstattung, weil die besagten Einkommensteuerbescheide nicht wirksam bekannt gegeben und die Einkommensteuerbeträge daher ohne Rechtsgrund geleistet worden seien.
Das FA verweigerte die Erstattung mit der Begründung, dass die ursprünglichen Einkommensteuerbescheide zwar nicht wirksam geworden seien, die betreffenden Steuerfestsetzungen aber nach § 171 Abs. 14 AO nachgeholt werden könnten, solange der Erstattungsanspruch des Klägers noch nicht verjährt sei. Das FA erließ daher 1998 erneut Einkommensteuerbescheide 1987 und 1988, die es diesmal an den Kläger als Erben seines Vaters richtete. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die von FA und FG vertretene Auffassung. Die Voraussetzungen des § 171 Abs. 14 AO seien unstreitig erfüllt gewesen. § 171 Abs. 14 AO sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Mit dem in dieser Vorschrift angeordneten Hinausschieben des Ablaufs der Festsetzungsfrist wolle der Gesetzgeber vermeiden, dass Steuerpflichtige unter Hinweis auf die nicht wirksame Bekanntgabe von Steuerbescheiden die Erstattung der dort festgesetzten und bereits gezahlten Steuern verlangen könnten, ohne dass das FA die Steuerfestsetzung durch eine wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheids nachholen könne (vgl. BT-Drucksache 10/1636, S. 44).
Diese Erwägungen lägen innerhalb des Spielraums, der dem Gesetzgeber von Verfassung wegen für die Regelung des Widerstreits zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit zustehe. Auch sei es nicht i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG willkürlich, dass der Gesetzgeber als Unterscheidungsmerkmal dafür, ob bei einer unwirksamen Steuerfestsetzung eine Ablaufhemmung eintreten solle, die Zahlung der Steuer gewählt habe.
Wolle der Steuerpflichtige eine Zahlung vermeiden, werde er sich gegen die vom FA noch nicht erkannte unwirksame Steuerfestsetzung wehren müssen. Das FA werde dadurch verhältnismäßig zeitnah auf den Bekanntgabefehler aufmerksam und könne ihn korrigieren, so dass der Gesetzgeber für diesen Sachverhalt offensichtlich keinen Regelungsbedarf gesehen habe.
Dagegen wäre es dem Steuerpflichtigen ohne die in § 171 Abs. 14 AO getroffene Regelung bei einer unwirksamen Steuerfestsetzung und einer stillschweigenden Zahlung bzw. bei einer bereits erfolgten Vorauszahlung möglich, ungestört durch ein Leistungsgebot und Vollstreckungsmaßnahmen den Ablauf der normalen Festsetzungsfrist abzuwarten, um dann die Erstattung derjenigen Zahlung zu verlangen, deren Höhe im Einklang mit den materiellen Steuergesetzen stehe.
Hinweis
1. Nach § 171 Abs. 14 AO endet die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht nach § 228 AO (zahlungs-)verjährt ist.
2. § 171 Abs. 14 AG ist durch das StBereinigungsG 1986 (BGBl I 1985, 2436) mit Wirkung ab 1.1.1987 in das Gesetz eingefügt worden. Dabei wollte der Gesetzgeber vor allem solchen Fällen begegnen, in denen Steuerpflichtige geltend machten, der Steuerbescheid sei innerhalb der Festsetzungsfrist nicht wirksam bekannt gegeben worden, und deshalb geleistete Steuerzahlungen zurückforderten. Wenn es dem FA innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist (vgl. §§ 169 ff. AO) nicht gelingt, die Steuer wirksam festzusetzen, so kann der Steuerpflichtige die dann rechtsgrundlos (vgl. § 37 Abs. 2 AO) geleisteten Steuerzahlungen innerhalb der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist (vgl. §§ 228, 232 AO) erstattet verlangen. § 171 Abs. 14 AO gibt dem FA die Handhabe, einem solchen Erstattungsbegehren dadurch zu begegnen, dass es die bisher unterlassene wirksame Steuerfestsetzung nachholt und damit einen Rechtsgrund für das Behaltendürfen der bis dahin rechtsgrundlos gezahlten Steuer schafft.
3. Gegen die Regelung des § 171 Abs. 14 AO sind schon frühzeitig verfassungsrechtliche Einwände (insbesondere: Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wegen Ungleichbehandlung solcher Steuerpflichtiger, die die Steuer bereits gezahlt haben, und solcher, die noch keine Steuer entrichtet haben) erhoben worden (vgl. z.B. Koops, BB 1987, 1940, 1941). Diese Einwände hat der BFH im folgenden Urteil unter Hinweis auf die sachliche Berechtigung der Verschiedenbehandlung und auf den dem Gesetzgeber nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG zukommenden weiten Gestaltungsspielraum – m.E. zutreffend – verworfen. Gegen das Urteil ist Verfassungsbeschwerde erhoben worden (Az. BVerfG: 2 BvR 1114/01).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 13.3.2001, VIII R 37/00