Leitsatz
Wurde in Fällen der sog. Mehrmütterorganschaft der Gewinnabführungsvertrag vor dem 21.11.2002 abgeschlossen, so ist § 34 Abs. 1 KStG 2002 i.d.F. des StVergAbG verfassungskonform in der Weise auszulegen, dass die Voraussetzung der verschärfenden Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 KStG 2002 i.d.F. des StVergAbG, nach der die Organträger-Personengesellschaft selbst mehrheitlich an der Organgesellschaft vom Beginn deren Wirtschaftsjahres an beteiligt sein muss (sog. finanzielle Eingliederung), jedenfalls dann als erfüllt anzusehen ist, wenn die bisher im Sonderbetriebsvermögen bei der Organträger-Personengesellschaft gehaltenen Anteile (ganz oder anteilig) vor Ablauf des ersten nach Verkündung des StVergAbG endenden Wirtschaftsjahres in das Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft mit der Folge einer mehrheitlichen Beteiligung i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG 2002 i.d.F. des StVergAbG übertragen werden.
Normenkette
§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 und Nr. 1, § 34 Abs. 1 KStG 1999/2002 (i.d.F. des StVergAbG)
Sachverhalt
Die Klägerin, eine KG, schloss am 31.5.2001 als Organträgerin für fünf Jahre einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (GAV) mit einer GmbH als Organgesellschaft. Die Anteile an der GmbH standen zu 19,05 % der Klägerin und zu 33,33 % deren Mehrheitsgesellschafter A.P. zu.
Das FA ging für die Jahre 2001 und 2002 von einer Organschaft gem. den §§ 14 ff. KStG 1999/2002 aus, erkannte dann aber aufgrund der Änderung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG 2002 durch StVergAbG vom 16.5.2003 die Organschaft nicht mehr an. Die Neuregelung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 KStG 2002 n.F.) sei nach § 34 Abs. 1 KStG 2002 n.F. ab dem VZ 2003 zu beachten. Hiernach hätten die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG 2002 n.F. im Verhältnis zur Personengesellschaft (hier: der Klägerin) erfüllt sein und deshalb die die Stimmrechtsmehrheit vermittelnden Anteile bereits vom Beginn des Wirtschaftsjahres an (hier: VZ 2003) im Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft gehalten werden müssen. Da es daran gefehlt habe, seien die von der Klägerin ausgeglichenen Verluste der GmbH als verdeckte Einlagen zu qualifizieren und erhöhten den bilanziellen Anteilswert. Angesichts der nachhaltig schlechten Ertragslage der GmbH seien die Anteile sodann auf ihren niedrigeren Teilwert abzuschreiben; die hierdurch bedingten Betriebsvermögensminderungen seien allerdings nach § 3c Abs. 2 EStG 2002 nur zur Hälfte zu berücksichtigen.
Für einen Billigkeitserweis bestehe kein Grund: Nach dem BMF-Schreiben vom 10.11.2005 (BStBl I 2005, 1038) sei es in Altfällen (Abschluss des GAV vor dem 16.5.2003) für die durchgängige Anerkennung des Organschaftsverhältnisses ausreichend, wenn die mehrheitsvermittelnden Anteile an der Organgesellschaft bis zum 31.12.2003 in das Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft (Organträgerin) überführt worden seien. Weiterreichende Billigkeitsmaßnahmen kämen im Streitfall nicht in Betracht, da aufgrund der Änderung des § 14 KStG zumindest Zweifel am Fortbestand der bisherigen rechtlichen Beurteilung hätten aufkommen müssen.
Die Klage wurde abgewiesen, die Revision wurde nicht zugelassen (FG München, Urteil vom 30.11.2010, 2 K 2315/08).
Entscheidung
Der BFH ist dem FG in der Sache gefolgt. Auch er erkannte keinen Grund für die Revisionszulassung. Allerdings bewältigte er das Ganze rechtskonstruktiv über eine verfassungskonforme Auslegung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 i.V.m. § 34 Abs. 1 KStG 2002 i.d.F. des StVergAbG. Spätestens mit dem 31.12.2003 hätte den neuen organschaftlichen Anforderungen genügt werden müssen. Das sei nicht geschehen und deshalb bleibe die Klage trotz prinzipiell anzuerkennenden Vertrauensschutzes im Ergebnis ohne Erfolg. (Wobei die Überlegungen zur Normauslegung entscheidungserheblich waren und nicht – wie aber gelegentlich zu hören ist – ein bloßes obiter dictum darstellt.)
Hinweis
Es geht hier einmal mehr um "ausgelaufenes" Recht zur Abschaffung der sog. Mehrmütterorganschaft.
1. Diese Abschaffung erfolgte durch das StVergAbG vom 16.5.2003 (BGBl I 2003, 660) mit erstmaliger Wirkung vom 1.1.2003 an, und das auch für schon bestehende, noch unter der Ägide der "alten" Mehrmütterorganschaftsregeln errichteten Organschaften. Die Neuregelung wirkt – im einschlägigen verfassungsrechtlichen Duktus – also "unecht" zurück, was verfassungsrechtlich nach wie vor im Grundsatz als unbedenklich angesehen wird. Modifikationen ergeben sich vor allem aus einem gewissen Dispositionsschutz des (wie die Erfahrung lehrt: oftmals recht leichtfertig) in die "vergangene" Regelungslage vertrauenden Steuerpflichtigen.
Nun ließe sich argumentieren: Der maßgebende Kabinettsbeschluss zur parlamentarischen Einbringung des Entwurfs eines StVergAbG datierte unter dem 20.11.2002. Seitdem sei es einem Steuerpflichtigen infolge der Veröffentlichungen in der Tages- und Fachpresse möglich und zumutbar gewesen, spätestens zum 31.12.2002 entsprechende Anpassungen vorzunehmen und die betreffenden ...