Leitsatz
1. Masseverbindlichkeiten werden von einer Restschuldbefreiung nicht erfasst.
2. Steuerschulden, die als Masseverbindlichkeiten entstanden sind, können nach Abschluss des Insolvenzverfahrens mit Erstattungsansprüchen des ehemaligen Insolvenzschuldners verrechnet werden. Der Verrechnung stehen eine dem Insolvenzverfahren immanente sog. Haftungsbeschränkung bzw. eine Einrede der beschränkten Haftung des Insolvenzschuldners nicht entgegen.
Normenkette
§ 286, § 301 Abs. 1, § 38, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 80 Abs. 1, § 201 Abs. 1, § 215 Abs. 2 InsO, § 226 AO
Sachverhalt
Während des über das Vermögen des Klägers eröffneten Insolvenzverfahrens entstand aufgrund der Verwertung von Insolvenzmasse durch den Insolvenzverwalter Einkommensteuer, die aus der Insolvenzmasse nicht entrichtet wurde. Nachdem der Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte, wurde das Insolvenzverfahren eingestellt und dem Kläger wurde Restschuldbefreiung erteilt.
Einen aufgrund einer späteren Veranlagung des Klägers zur Einkommensteuer entstandenen Erstattungsanspruch verrechnete das FA mit dem offen gebliebenen Steueranspruch aus dem Insolvenzverfahren und erteilte einen entsprechenden Abrechnungsbescheid.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG war der Ansicht, die Forderung des FA sei einredebehaftet i.S.d. § 390 BGB, da das Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände beschränkt sei und dieser daher den Insolvenzschuldner hinsichtlich seines insolvenzfreien Vermögens nicht verpflichten könne (Sächsisches FG, Urteil vom 9.12.2015, 8 K 1112/15, Haufe-Index 9174319, EFG 2016, 785).
Entscheidung
Aus den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Gründen hat der BFH auf die Revision des FA die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Hinweis
Die am Ende eines Insolvenzverfahrens einer natürlichen Person üblicherweise gewährte Restschuldbefreiung (§ 286 InsO) lässt leicht vergessen, dass es sich hierbei um eine Ausnahme von dem Grundsatz handelt, dass nach Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens die Gläubiger ihre offen gebliebenen Forderungen unbeschränkt gegen den ehemaligen Insolvenzschuldner geltend machen können (§ 201 Abs. 1, § 215 Abs. 2 InsO).
Das bedeutet, dass der Insolvenzschuldner nach Aufhebung oder Einstellung des Verfahrens, auch wenn ihm Restschuldbefreiung erteilt worden ist, weiterhin für nicht beglichene Masseverbindlichkeiten in Anspruch genommen werden kann, denn die Restschuldbefreiung gilt nach § 286, § 301 Abs. 1 InsO nur für die nicht erfüllten Verbindlichkeiten der Insolvenzgläubiger, d.h. derjenigen Gläubiger, die einen zur Zeit der Insolvenzeröffnung begründeten Anspruch gegen den Schuldner hatten (§ 38 InsO).
Warum der Gesetzgeber dem Insolvenzschuldner keine Restschuldbefreiung für nicht erfüllte Masseverbindlichkeiten zugestehen wollte, ist unklar. Jedenfalls hat der BFH im Streitfall in Anbetracht des klaren Wortlauts der § 286, § 301 Abs. 1 InsO keine Möglichkeit für eine richterliche Rechtsfortbildung im Sinne einer Ausdehnung der Restschuldbefreiung auf Masseverbindlichkeiten gesehen.
Auch für eine gemäß der Rechtsprechung des BGH auf die Gegenstände der Insolvenzmasse beschränkte Haftung des früheren Insolvenzschuldners (auf die das FG seine Entscheidung stützte) sah der BFH im Streitfall keinen rechtlichen Anhaltspunkt, zumal die aus der Zeit der Konkursordnung stammende Rechtsprechung des BGH keinen Eingang in die Insolvenzordnung gefunden habe. Jedenfalls sei im Streitfall zu berücksichtigen, dass die Steuerschuld des Klägers und früheren Insolvenzschuldners kraft Gesetzes durch Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestands entstanden sei und nicht durch eine Verpflichtung seitens des Insolvenzverwalters aufgrund seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis.
Diese Betrachtungsweise sei insbesondere sachgerecht, weil der BGH im Fall nicht gezahlter Steuern, die durch die Verwertung von Insolvenzmasse als Masseverbindlichkeit entstanden seien, keine "Rechtshandlung des Insolvenzverwalters" i.S.d. § 61 Satz 1 InsO und deshalb keine Schadenersatzpflicht des Insolvenzverwalters sehe.
Dem Fiskus sowohl die Inanspruchnahme des früheren Insolvenzschuldners als auch einen möglichen Schadenersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter zu versagen, schien dem BFH "etwas zu viel des Guten".
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.11.2017 – VII R 1/16