Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
1. Der gesonderte Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d Abs. 1 EStG ist bei einer Darlehensgewährung an eine Kapitalgesellschaft nicht schon deshalb nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG ausgeschlossen, weil der Gläubiger der Kapitalerträge mittelbar zu mindestens 10 % an der Schuldnerin beteiligt ist (entgegen BMF-Schreiben vom 18. Januar 2016 IV C 1 S 2252/08/10004:017, 2015/0468306, BStBl I 2016, 85, Tz. 137).
2. Sind Anteilseignerin und Schuldnerin der Kapitalerträge jeweils Kapitalgesellschaften, kann der Steuerpflichtige als Gläubiger der Kapitalerträge jedenfalls dann eine der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft nahe stehende Person i.S. des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG sein, wenn er aufgrund seiner Beteiligung über die Mehrheit der Stimmrechte in deren Gesellschafterversammlung verfügt.
Normenkette
§ 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG
Sachverhalt
Die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann verkauften ihren Eigentumsanteil an einem bebauten Grundstück an die L-GmbH. Der Kaufpreis wurde im Kaufvertrag in ein unkündbares Darlehen mit einem Jahreszinssatz von 3 % und einer jährlichen Zins- und Tilgungsrate von 100.000 EUR umgewandelt.
Hauptgesellschafterin der L-GmbH war mit einem Anteil von 94 % die F-GmbH. An der F-GmbH waren die Klägerin zu 1 mit 10,86 % und ihr Ehemann mit 54,33 % beteiligt. Im Laufe des Streitjahres 2011 änderten sich die Beteiligungsverhältnisse dahingehend, dass die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann jeweils zu 22,80 % an der F-GmbH beteiligt waren.
Das FA besteuerte die Zinszahlungen der L-GmbH erklärungsgemäß nach der tariflichen Einkommensteuer. Mit dem hiergegen erhobenen Einspruch machten die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann geltend, dass die Zinseinnahmen gemäß § 32d Abs. 1 EStG der Abgeltungsteuer unterliegen würden. Die Regelung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG greife nicht ein, da sie an der L-GmbH nicht direkt, sondern lediglich mittelbar beteiligt seien. Der Einspruch blieb erfolglos.
Während des Klageverfahrens vor dem FG verstarb der Ehemann der Klägerin zu 1. Seine Erbinnen, die Klägerinnen zu 2 und 3 führten das Verfahren als Rechtsnachfolgerinnen fort. Das FG (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24.6.2015, 2 K 1036/13, Haufe-Index 8383701, EFG 2015, 171) gab der Klage der Klägerin zu 1 statt und wies die Klage der Klägerinnen zu 2 und 3 als unbegründet zurück.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Mit der Besprechungsentscheidung hat der BFH die wichtige Frage geklärt, unter welchen Voraussetzungen der Abgeltungsteuersatz i.H.v. 25 % bei der Zahlung von Kapitalerträgen durch eine Kapitalgesellschaft an einen mittelbar beteiligten Gesellschafter ausgeschlossen ist.
2. Gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG gilt der gesonderte Steuertarif des § 32d Abs. 1 EStG nicht, wenn Kapitalerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft oder Genossenschaft beteiligt ist. Wie der BFH bereits entschieden hat, verstößt dies nicht gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG (BFH, Urteil vom 29.4.2014, VIII R 23/13, BFH/NV 2014, 1620, BFH/PR 2014, 386, BFHE 245, 352, BStBl II 2014, 884). Jedoch sind nach Auffassung des BFH nur mittelbar an der Schuldnerin der Kapitalerträge Beteiligte nicht von der Anwendung des Abgeltungsteuersatzes gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG ausgeschlossen. Sowohl der Wortlaut der Regelung als auch der Umkehrschluss zu § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG, in dem die mittelbare Beteiligung ausdrücklich genannt ist, schließen dies aus.
3. Ausschluss des Abgeltungsteuersatzes kommt danach nur dann in Betracht, wenn es sich bei dem mittelbar Beteiligten um eine der unmittelbar beteiligten Gesellschaft "nahestehenden Person" i.S.d. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG handelt.
Dies ist nur dann der Fall, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge (hier: Klägerin zu 1) eine Beteiligung an der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft innehat (hier: F-GmbH), die es ihm ermöglicht, seinen Willen in deren Gesellschafterversammlung durchzusetzen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Gläubiger über die Mehrheit der Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft (hier: F-GmbH) verfügt.
Ein Näheverhältnis kann aber auch aufgrund von Umständen vorliegen, die auf eine faktische Beherrschung der Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschafterversammlung der Anteilseigner-Kapitalgesellschaft schließen lassen.
4. Die Entscheidung des BFH betrifft in der Sache lediglich die mittelbare Beteiligung der Klägerin zu 1. Die Klägerinnen zu 2 und 3 hatten als Rechtsnachfolgerinnen des Ehemanns der Klägerin keine Anschlussrevision eingelegt. Diese wäre auch unbegründet gewesen, da der Ehemann der Klägerin als Mehrheitsgesellschafter der F-GmbH eine dem Anteilseigner nahestehende Person i.S.d. § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG ...