Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnsteuereinbehalt durch Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
Verlangt der Insolvenzverwalter vom Finanzamt nach § 143 Abs. 1 InsO die Rückgewähr vom Schuldner entrichteter Lohn- und Annexsteuern, ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig.
Leitsatz (redaktionell)
Umfangreiche Ausführungen zum Wesen des Lohnsteuerabzugs durch den Arbeitgeber und dessen Auswirkungen auf den Arbeitnehmer (Abführungspflicht, Haftung, Recht auf Rückforderung).
Orientierungssatz
1. Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeht der Beschluss nach § 17a Abs. 4 GVG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat. Da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, ist auch sie nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG stets durch die Kammer zu treffen.
2. Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts ist gemäß § 78 Satz 1 ArbGG, § 576 Abs. 3, § 547 Nr. 1, § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO im Rechtsbeschwerdeverfahren regelmäßig nur auf Rüge hin zu beachten. Auf die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts erster Instanz kann die Rüge in der Rechtsbeschwerde grundsätzlich nur gestützt werden, wenn auch der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts mit diesem Verfahrensmangel behaftet ist.
3. Für den Rechtsstreit zwischen Insolvenzverwalter und Finanzamt über die Rückgewähr vom Schuldner entrichteter Lohn- und Annexsteuern nach § 143 Abs. 1 InsO ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht eröffnet, weil der Rechtsstreit auf die insolvenzrechtlich geprägte Rückabwicklung einer steuerrechtlichen Beziehung zwischen dem Schuldner und dem Fiskus gerichtet ist und nicht auf die Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Arbeitsvergütung. Zulässig ist damit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, § 48 Abs. 1 Nr. 2, § 78 S. 3; GVG §§ 13, 17a Abs. 4; EStG § 36 Abs. 2 Nr. 2, § 38 Abs. 1-2, § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 42d Abs. 1, 3; InsO § 143 Abs. 1; ZPO § 547 Nr. 1, § 572 Abs. 3, § 576 Abs. 3, § 577 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des klagenden Landes gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. Dezember 2013 – 2 Ta 348/13 – wird zurückgewiesen.
2. Das klagende Land hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 1.300,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Parteien streiten im Ausgangsverfahren über die Verpflichtung des klagenden Landes, Lohn- und Annexsteuern nach einer Insolvenzanfechtung durch den Beklagten an die Masse zurückzugewähren.
Beklagter des Ausgangsverfahrens ist der Insolvenzverwalter in dem am 1. April 2011 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hoteliers J. Das klagende Land begehrt die Feststellung, dass dem Beklagten keine Forderungen aufgrund der Anfechtung der vom Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeführten Lohn- und Annexsteuern in Höhe von insgesamt 3.248,71 Euro zustehen. Nach Auffassung des klagenden Landes sind zur Entscheidung über sein Begehren die Gerichte für Arbeitssachen zuständig. Bei den Lohn- und Annexsteuern handele es sich um Bestandteile des Arbeitsentgelts.
Das Arbeitsgericht hat durch Alleinentscheidung des Vorsitzenden mit Beschluss vom 3. Juli 2013 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht verwiesen. Der sofortigen Beschwerde hat es wiederum durch Alleinentscheidung des Vorsitzenden mit Beschluss vom 9. Juli 2013 nicht abgeholfen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des klagenden Landes zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt es die Aufhebung der Beschlüsse des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts und meint, der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen sei zulässig.
Entscheidungsgründe
II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des klagenden Landes zu Recht zurückgewiesen. Für den Rechtsstreit ist nach § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig.
1. Die angefochtene Entscheidung des Landesarbeitsgerichts unterliegt nicht bereits deshalb der Aufhebung, weil die Ausgangsentscheidung des Arbeitsgerichts ebenso wie dessen Nichtabhilfebeschluss im Wege einer Alleinentscheidung des Vorsitzenden ergangen ist.
a) Nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG ergeht der Beschluss nach § 17a Abs. 4 GVG auch außerhalb der mündlichen Verhandlung stets durch die Kammer, sofern er nicht lediglich die örtliche Zuständigkeit zum Gegenstand hat. Da es sich bei der Entscheidung über die Abhilfe oder Nichtabhilfe um eine erneute Entscheidung in der Sache handelt, ist auch sie nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG stets durch die Kammer zu treffen (ErfK/Koch 14. Aufl. § 48 ArbGG Rn. 8; GMP/Germelmann 8. Aufl. § 48 Rn. 118; GK-ArbGG/Bader Stand Juni 2014 § 48 Rn. 60) und nicht – wie hier geschehen – durch den Vorsitzenden allein.
b) Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, trotz dieser Verfahrensfehler des Arbeitsgerichts die Sache nicht gemäß § 78 Satz 1 ArbGG, § 572 Abs. 3 ZPO an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen, ist rechtsbeschwerde-rechtlich nicht zu beanstanden.
aa) Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts ist gemäß § 78 Satz 1 ArbGG, § 576 Abs. 3, § 547 Nr. 1, § 577 Abs. 2 Satz 3 ZPO im Rechtsbeschwerdeverfahren regelmäßig nur auf Rüge hin zu beachten. Diese ist grundsätzlich nur dann begründet, wenn das erkennende Beschwerdegericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (vgl. BGH 30. Mai 1958 – V ZR 232/56 – NJW 1958, 1398; BVerwG 19. Juli 2010 – 2 B 127.09 – Rn. 7 [zu § 138 Nr. 1 VwGO]). Auf die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts erster Instanz kann die Rüge in der Rechtsbeschwerde grundsätzlich nur dann gestützt werden, wenn auch der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts mit diesem Verfahrensmangel behaftet ist (vgl. BAG 16. Oktober 2008 – 7 AZN 427/08 – Rn. 11, BAGE 128, 130; BGH 30. Mai 1958 – V ZR 232/56 – aaO).
bb) Die nicht ordnungsgemäße Besetzung des Arbeitsgerichts bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs und über die Nichtabhilfe wirkt sich nicht auf den angefochtenen Beschluss des Landesarbeitsgerichts aus. Dieses hat nach § 78 Satz 3 ArbGG ordnungsgemäß ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter entschieden und den Sachverhalt selbständig und umfassend gewürdigt. Der Besetzungsfehler erster Instanz hat dadurch seine Bedeutung verloren (ebenso zu § 138 Nr. 1 VwGO: BVerwG 19. Juli 2010 – 2 B 127.09 – Rn. 5).
cc) Ob davon eine Ausnahme zu machen ist, wenn die erstinstanzliche Entscheidung objektiv willkürlich gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters verstößt (vgl. BGH 22. November 2011 – VIII ZB 81/11 – Rn. 9), kann offenbleiben. Einen solchen Fehler stellt die vorschriftswidrige Besetzung des Vordergerichts grundsätzlich nicht dar (vgl. BGH 29. April 2004 – V ZB 46/03 – zu II 1 der Gründe mwN). Der Kammervorsitzende des Arbeitsgerichts hat das Gebot des gesetzlichen Richters weder grundlegend verkannt noch hat er unter objektiv willkürlicher Missachtung der gesetzlichen Regelung in § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG entschieden. Insbesondere war sein Vorgehen nicht Ausdruck schlechthin unverständlicher oder offensichtlich unhaltbarer Missachtung der Zuständigkeitsnormen, die gegen das Willkürverbot verstoßen würde und einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellen könnte (vgl. BGH 14. Mai 2013 – VI ZR 325/11 – Rn. 15). Denn der Vorsitzende hat offensichtlich schlicht übersehen, dass er den Beschluss nach § 17a Abs. 2 GVG nicht – wie bei Entscheidungen außerhalb der mündlichen Verhandlung üblich – nach § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG allein erlassen kann, weil insoweit in § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG „anderes bestimmt” ist. Darin liegt kein objektiv willkürlicher Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters.
dd) Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die nach § 572 Abs. 3 ZPO eröffnete Möglichkeit, die erforderliche Anordnung an das Gericht zu übertragen, von dem die beschwerende Entscheidung erlassen war, im arbeitsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nach § 78 ArbGG, § 17a Abs. 4 GVG nicht eröffnet ist. Sie widerspräche dem im arbeitsgerichtlichen Verfahren besonders bedeutsamen Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG). Dieser findet im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren seinen Ausdruck in § 68 ArbGG, wonach die Zurückverweisung wegen eines Verfahrensmangels ausgeschlossen ist. Auch wenn diese Bestimmung im Beschwerdeverfahren nicht anwendbar ist, widerspräche es entgegen einer in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte vertretenen Auffassung (vgl. LAG Bremen 5. Januar 2006 – 3 Ta 69/05 –; LAG Rheinland-Pfalz 25. Januar 2007 – 11 Ta 10/07 –; wie hier dagegen Hessisches Landesarbeitsgericht 15. Mai 2008 – 20 Ta 80/08 –) regelmäßig dem in dieser Vorschrift und in § 9 Abs. 1 ArbGG zum Ausdruck kommenden Grundgedanken der Verfahrensbeschleunigung, wenn im lediglich vorgeschalteten Rechtswegbestimmungsverfahren nach § 17a GVG eine Zurückverweisung aus der Beschwerdeinstanz an das Arbeitsgericht zulässig wäre. Das Hauptsacheverfahren darf nicht bereits im Rechtswegbestimmungsverfahren durch Zurückverweisungen von zweiter zu erster Instanz verzögert werden (vgl. BAG 17. Februar 2003 – 5 AZB 37/02 – zu II 3 der Gründe, BAGE 105, 1; GMP/Müller-Glöge § 78 Rn. 35).
2. Das Landesarbeitsgericht hat in der Sache richtig entschieden. Für das Ausgangsverfahren ist gemäß § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig.
a) Die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG ist bereits deshalb nicht gegeben, weil das klagende Land nicht Arbeitnehmer des Schuldners ist.
b) Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist auch nicht nach § 3 ArbGG eröffnet. Zwar ist der Streit über die Rückgewähr vom Schuldner geleisteter Arbeitsvergütung nach § 143 Abs. 1 InsO eine Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG aus dem Arbeitsverhältnis und der Insolvenzverwalter für die Dauer des Insolvenzverfahrens Arbeitgeber im Sinne dieser Bestimmung (GmS-OGB 27. September 2010 – GmS-OGB 1/09 – Rn. 10 ff., BGHZ 187, 105). Das klagende Land wehrt jedoch im vorliegenden Fall nicht als Rechtsnachfolger der Arbeitnehmer Ansprüche des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr verdienten Arbeitsentgelts nach § 143 Abs. 1 InsO ab. Der Rechtsstreit ist vielmehr auf die insolvenzrechtlich geprägte Rückabwicklung einer steuerrechtlichen Beziehung zwischen dem klagenden Land und dem Schuldner gerichtet. Dieser hat als Arbeitgeber mit der Entrichtung von Lohn- und Annexsteuern eine eigene Steuerschuld erfüllt. Grundlage der Steuerforderung des Fiskus gegen den Arbeitgeber sind steuerrechtliche Normen. Die arbeitsrechtliche Frage des Bestehens und der Höhe der Lohnforderung, auf die die Steuern zu zahlen sind, ist lediglich Anlass für die Entstehung der Steuerschuld.
aa) Der Begriff des Rechtsnachfolgers in § 3 ArbGG ist in einem weiten Sinne zu verstehen (vgl. GMP/Schlewing § 3 Rn. 5 mwN; ErfK/Koch § 3 ArbGG Rn. 2 mwN). Es ist nicht erforderlich, dass der Rechtsnachfolger an die Stelle des ursprünglichen Schuldners getreten ist. Vielmehr genügt die Erhebung oder Abwehr einer Forderung anstelle des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers, unabhängig davon, ob der jeweilige Arbeitgeber oder Arbeitnehmer unter denselben tatsächlichen Voraussetzungen die Leistung fordern könnte oder sie schulden oder für sie haften müsste. Deshalb werden unter den Begriff der Rechtsnachfolge iSd. § 3 ArbGG auch die Haftung für arbeitsrechtliche Ansprüche aus eigenständigen Rechtsgründen wie § 826 BGB (vgl. die Durchgriffshaftung im Konzern), die Bürgschaft, das Handeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 179 BGB), die Firmenfortführung (§§ 25, 28 HGB), der Schuldbeitritt und die Haftung des Insolvenzverwalters nach § 61 InsO subsumiert (BAG 5. Dezember 2013 – 10 AZB 25/13 – Rn. 15).
bb) Eine solche Lage ist hier jedoch nicht gegeben. Das klagende Land wehrt nicht anstelle der Arbeitnehmer des Schuldners die vom Beklagten erhobenen Ansprüche ab. Denn die in Rede stehende Rückgewähr gründet sich nicht auf arbeitsrechtliche Normen, sondern beruht auf der Erfüllung einer eigenen Steuerschuld des Schuldners. Die arbeitsrechtliche Vergütungsforderung ist lediglich Anlass für die Entstehung der Steuerschuld.
(1) Nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG ist der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer. Die Lohnsteuer wird nach § 38 Abs. 1 EStG durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer „für Rechnung des Arbeitnehmers” bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten. Die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer wird nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf die Einkommensteuer angerechnet. Aus § 46 Abs. 4 EStG ergibt sich, dass bei zu veranlagenden Arbeitnehmern die einbehaltene Lohnsteuer den Einkommensteuervorauszahlungen (§ 37 EStG) der anderen Steuerpflichtigen entspricht (BFH 9. Oktober 1992 – VI R 97/90 – zu II 3 c bb der Gründe, BFHE 169, 202). Die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers wird mithin bereits durch den Einbehalt der Lohnsteuer vom Arbeitslohn getilgt. Bei einem korrekten Einbehalt erlischt die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers (BFH 8. November 1985 – VI R 238/80 – BFHE 145, 198). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die einbehaltene Lohnsteuer ohne Wissen des Arbeitnehmers nicht an das Finanzamt abgeführt wird (vgl. BFH 23. April 1996 – VIII R 30/93 – zu II 1 b aa der Gründe, BFHE 181, 7; Schmidt/Loschelder EStG 33. Aufl. § 36 Rn. 5). Anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitnehmer weiß, dass die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet worden ist. Wissen des Arbeitnehmers bedeutet dabei positive Kenntnis, Vermutungen und selbst grob fahrlässige Unkenntnis reichen nicht aus (BFH 1. April 1999 – VII R 51/98 – zu II 2 c der Gründe).
(2) Bereits zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt, wandelt sich die Rechtsnatur des vom Arbeitgeber einbehaltenen und an das Finanzamt abzuführenden Teils des Arbeitslohns: Es entsteht insoweit der Lohnsteueranspruch des Staates (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) als Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO). Von diesem Zeitpunkt an gehen Lohnsteuer und (Rest-)Arbeitslohn rechtlich getrennte Wege (BFH 13. Juli 1995 – VII S 1/95 – zu 3 c aa der Gründe).
(3) Die Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer obliegt nach § 41a Abs. 1 EStG dem Arbeitgeber, der nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG für die Lohnsteuer haftet, die er einzubehalten und abzuführen hat. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG zwar Gesamtschuldner. Jedoch kann der Arbeitnehmer als Gesamtschuldner gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG nur in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat (Nr. 1) oder wenn der Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat und er den Sachverhalt dem Finanzamt nicht unverzüglich mitgeteilt hat (Nr. 2). Die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers im Rahmen der Gesamtschuld ist auf diese beiden Tatbestände beschränkt. Nur wenn einer von ihnen vorliegt, kommt ein Auswahlermessen des Finanzamts nach § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG in Betracht (Eisgruber in Kirchhof EStG 12. Aufl. § 42d Rn. 28). Hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG einbehalten, kann daher der Arbeitnehmer vom Finanzamt nicht mehr in Anspruch genommen werden, sofern nicht einer der Ausnahmetatbestände des § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt (vgl. BGH 22. Januar 2004 – IX ZR 39/03 – zu III 4 c der Gründe, BGHZ 157, 350). Aufgrund seiner – vorbehaltlich § 42d Abs. 2 und Abs. 3 Satz 4 EStG – alleinigen Haftung für die ihm nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG obliegende Abführung der Lohnsteuer an das Finanzamt ist diesbezüglich der Arbeitgeber Steuerpflichtiger nach § 33 Abs. 1 AO (Eisgruber in Kirchhof EStG § 42d Rn. 5).
(4) Aus dem Umstand, dass der Arbeitgeber mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen zugleich seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis erfüllt (vgl. BAG GS 7. März 2001 – GS 1/00 – zu III 1 c der Gründe mwN, BAGE 97, 150), ergibt sich entgegen der Auffassung des klagenden Landes nicht, dass der Arbeitgeber einen Teil des Arbeitslohns an das Finanzamt zahlt. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber zwar die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten. Der Arbeitgeber führt die Lohnsteuer jedoch nicht „für Rechnung des Arbeitnehmers” an das Finanzamt ab, sondern erfüllt hiermit eine ihn aus § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG treffende öffentlich-rechtliche Verpflichtung (Eisgruber in Kirchhof EStG § 38 Rn. 18). Nur er allein schuldet – vorbehaltlich § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG – ihre Abführung (Heuermann Systematik und Struktur der Leistungspflichten im Lohnsteuerabzugsverfahren S. 265 f.). Daher erübrigen sich die Ausführungen der Rechtsbeschwerde zum Vorliegen eines angeblichen Treuhandverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Der Bundesgerichtshof hat entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde mit Urteil vom 22. Januar 2004 (– IX ZR 39/03 – zu III 4 b der Gründe, BGHZ 157, 350) zu Recht erkannt, dass der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber einen schuldrechtlichen Anspruch auf Abführung des gesetzlich vorgeschriebenen Anteils an das Finanzamt hat, der keine treuhänderische Berechtigung des Arbeitnehmers an diesem Anteil begründet. Dementsprechend hat auch der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts in dem von der Rechtsbeschwerde ebenfalls herangezogenen Urteil vom 30. April 2008 (– 5 AZR 725/07 – Rn. 18, BAGE 126, 325) entschieden, der Einbehalt für Rechnung des Arbeitnehmers (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) diene der Vorbereitung der Abführung und sei vom Arbeitnehmer zu dulden (ebenso BFH 5. März 2007 – VI B 41/06 – Rn. 5). Soweit der Fünfte Senat weiter ausgeführt hat, „erfüllt” werde „erst durch die Abführung nach § 41a EStG”, ist damit allein das schuldrechtliche Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gemeint (vgl. auch BAG GS 7. März 2001 – GS 1/00 – zu III 1 b der Gründe, BAGE 97, 150), nicht aber die davon zu trennende steuerrechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zur Abführung der Lohnsteuer an das Finanzamt und seine daraus resultierende Stellung als Steuerpflichtiger.
(5) Hat der Arbeitgeber ohne Rechtsgrund einbehaltene Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt, ist allein er als derjenige, für dessen Rechnung die Zahlung bewirkt wurde, zur Rückforderung von zu Unrecht abgeführter Lohnsteuer gegenüber dem Finanzamt berechtigt (Heuermann aaO S. 267 f.). Der Arbeitnehmer muss nicht befürchten, nochmals für die Lohnsteuer in Anspruch genommen zu werden, es sei denn er weiß, dass der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat und teilt den Sachverhalt nicht unverzüglich dem Finanzamt mit (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). Auch im Fall der Rückerstattung überzahlter Lohnsteuer an den Steuerpflichtigen durch das Finanzamt erlangt der an das Finanzamt abgeführte Teil des Arbeitslohns nicht wieder den Charakter eines Einkommens, das dem Berechtigten aufgrund einer Arbeits- oder Dienstleistung zusteht (BFH 29. Januar 2010 – VII B 188/09 – Rn. 12). Die von der Rechtsbeschwerde herangezogene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 2011 (– IX ZB 247/09 –), nach der die Arbeitsgerichte auch dann zuständig sind, wenn Arbeitsentgelt durch Zwangsvollstreckung erlangt wurde und nach erfolgreicher Insolvenzanfechtung an die Masse zurückzuzahlen ist, steht dem nicht entgegen. Der Insolvenzverwalter hat hier nur vom Arbeitgeber vor Insolvenzeröffnung geleistete Arbeitsvergütungen zurückverlangt. Der Umstand, dass der Zahlungsanspruch vom Arbeitnehmer im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt wurde, ändert hieran nichts.
cc) Für die Abwehr des Anspruchs des Beklagten gegen das klagende Land auf Erstattung der Annexsteuern gilt nichts anderes. Auch dieser beruht nicht auf der Zahlung von Arbeitslohn, sondern auf der Erfüllung einer eigenen Steuerschuld des Schuldners. Für die Erhebung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer sind die Vorschriften des EStG entsprechend anzuwenden (§ 1 Abs. 2 SolzG 1995, § 5 Abs. 1 Satz 1 KiStG NW).
c) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört der Anfechtungsrechtsstreit als bürgerlich-rechtlicher Rechtsstreit gemäß § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte (BGH 24. März 2011 – IX ZB 36/09 – Rn. 5; iE ebenso BFH 5. September 2012 – VII B 95/12 – Rn. 11, BFHE 238, 325; BGH 6. Dezember 2012 – IX ZB 84/12 – Rn. 6), wenn – wie hier – die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nicht gegeben ist.
3. Soweit das klagende Land die Feststellung begehrt, dass dem Beklagten keine Forderung auf Erstattung von Anwaltskosten für die Rückerstattung der Lohn- und Annexsteuer zusteht, wird von der Rechtsbeschwerde nichts gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts eingewandt, es handele sich hierbei um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit iSd. § 13 GVG.
III. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO dem klagenden Land zur Last.
Unterschriften
Linck, W. Reinfelder, Brune
Fundstellen
Haufe-Index 7384292 |
BFH/NV 2015, 303 |
BAGE 2015, 117 |
BB 2014, 2804 |
DB 2014, 7 |
HFR 2015, 293 |