Entscheidungsstichwort (Thema)
Personalakte. Aufbewahrung von Gesundheitsdaten
Leitsatz (amtlich)
1. Soweit sensible Gesundheitsdaten in die Personalakte aufgenommen werden dürfen, hat der Arbeitnehmer Anspruch darauf, dass dies unter Berücksichtigung seiner Interessen geschieht. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Daten in besonderer Weise aufzubewahren. Dies folgt aus der Gewährleistung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 und Art. 2 GG, § 75 Abs. 2 BetrVG). Die zur Personalakte genommenen Gesundheitsdaten sind vor unbefugter zufälliger Kenntnisnahme durch Einschränkung des Kreises der Informationsberechtigten zu schützen.
2. Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Grundsätze, hat der Arbeitnehmer nach den §§ 12, 862, 1004 BGB einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ausreichende Maßnahmen zum Schutz der sensiblen Gesundheitsdaten vor unbefugter Einsichtnahme, zB durch Aufbewahrung in einem verschlossenen Umschlag, ergreift.
3. Diese Einschränkung des Rechts zur Personalaktenführung steht nicht dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Vollständigkeit der Personalakte entgegen. Die Personalakte bleibt vollständig. Bei einem berechtigten Anlass kann jede vom Arbeitgeber ermächtigte Person den Umschlag öffnen, den Anlass vermerken und die Daten einsehen.
Orientierungssatz
- Der Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse an der Vollständigkeit der von ihm geführten Personalakten. Das gilt auch für sensible Daten über die Persönlichkeit und Gesundheit des Arbeitnehmers, zB einer Sucht-/Alkoholerkrankung. Denn solche Erkrankungen können bei negativer Zukunftsprognose gemäß § 1 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitnehmers sozial rechtfertigen.
- Einer ungeschützten Aufbewahrung von Gesundheitsdaten in der Personalakte steht das durch Art. 1 und 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers entgegen. Es schützt vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Beseitigung einer Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts gemäß §§ 12, 862, 1004 BGB. Der Arbeitgeber ist deshalb verpflichtet, sensible Daten über den Arbeitnehmer in besonderer Weise aufzubewahren. Sie sind gegen zufällige Kenntnisnahme zu schützen. Der informationsberechtigte Personenkreis ist zu beschränken.
- Die Rechte des Arbeitgebers auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG werden hierdurch nicht beeinträchtigt. Die Personalakte bleibt vollständig. Werden die Gesundheitsdaten zur Einleitung von Personalmaßnahmen benötigt, können sie von den berechtigten Personen eingesehen werden.
- Wie der Arbeitgeber den Schutz sensibler Personaldaten gewährleistet, hat er grundsätzlich selbst zu bestimmen. Unterbleibt diese Bestimmung, geht sie auf den Arbeitnehmer über (Rechtsgedanken aus § 316 BGB, § 264 Abs. 2 Satz 2 BGB).
Normenkette
ArbGG § 67; GG Art. 1-2, 12 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BGB §§ 611, 242, 12, 862, 1004, 316, 264 Abs. 2; ZPO §§ 263-264, 530
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussrevision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 15. November 2005 – 15 Sa 1235/04 – aufgehoben, soweit das Landesarbeitsgericht die Klage hinsichtlich der Mitteilung vom 12. August 2002 an PSLP 33 über VTM-HR als unzulässig abgewiesen hat.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. April 2004 – 9 Ca 6822/03 – teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird ferner verurteilt, die Mitteilung vom 12. August 2002 an PSL-P 33 über VTM-HR in einem geschlossenen Umschlag abzuheften, wobei allein der Leiter der Personalabteilung und dessen Stellvertreter öffnungsberechtigt sind und jede Öffnung mit Datum und Grund der Öffnung auf dem Umschlag zu vermerken ist.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 1/4 und die Beklagte zu 3/4 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf geschützte Aufbewahrung verschiedener Schreiben in der Personalakte des Klägers.
Der 1957 geborene Kläger ist seit dem 1. Januar 1991 bei der Beklagten, zuletzt als Passageleiter beschäftigt. Der Kläger ist in den nicht allgemein zugänglichen Bereichen des R-Flughafens eingesetzt. Im Abfertigungsfeld besteht kraft behördlicher Anordnung ein absolutes Alkoholverbot.
Auf Antrag des Klägers bewilligte die BfA (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund) dem Kläger Ende Mai 2002 eine Alkoholentziehungskur für einen Zeitraum von 16 Wochen. Da der Kläger die Arbeitgeberin über den Anlass seiner Kur nicht einweihen wollte, beabsichtigte er die Teilnahme an einer lediglich verkürzten Kur von vier bis sechs Wochen ab dem 30. Juli 2002. Nach zweieinhalb Wochen stellte er fest, dass die verkürzte Kur zur Genesung nicht ausreichen würde. Im August 2002 teilte er deshalb seinem Vorgesetzten den Sachverhalt mit, der dies auf Wunsch des Klägers einem engen Mitarbeiterkreis erläuterte. Auf Anraten eines Vorgesetzten nahm der Kläger mit der im Betrieb der Beklagten bestehenden Suchtberatung Kontakt auf. Seit Ende der Kur nimmt er die Dienste der betrieblichen Suchtberatung in Anspruch und arbeitet bei der Selbsthilfegruppe der anonymen Alkoholiker mit. Gegenüber seinem direkten Vorgesetzten und den unmittelbaren Mitarbeitern bat er nach Ende der Kur um vertrauliche Behandlung der Angelegenheit.
In einer internen Mitteilung des direkten Vorgesetzten des Klägers vom 12. August 2002 an die Abteilung PSL-P 33 über VTM-HR heißt es ua.:
“…
am 05.08.02 meldete sich Herr F… telefonisch hier, um mitzuteilen, dass sein Kuraufenthalt nicht wie geplant vom 30.07.02 bis 30.08.02 dauern, sondern sich auf 16 Wochen verlängern würde. Der Grund dafür liegt in einem Therapieprogramm zur Abwendung möglicher Folgen eines Alkoholmissbrauches. Erst zu Kurbeginn habe er die Entscheidungskraft gefunden, dies der Dienststelle mitzuteilen. In diesem Zusammenhang gab es bislang bei der Dienststelle keine erkennbaren Auffälligkeiten. Herr F… beschreibt seinen Entschluss als selbstbestimmt, ohne warten zu wollen, bis sich die Lage verschlimmern würde.
VTM-HR wird um Kenntnisnahme und weitere Maßnahmen gebeten. Die Suchtberatung der PSL-G, Herr Z… wurde durch Herrn F… und VTM-PT2 bereits informiert.”
In einem Schreiben der Beklagten vom 27. November 2002 an den Kläger heißt es wie folgt:
“…
in der Zeit vom 30. Juli 2002 bis 18. November 2002 haben Sie sich einer stationären Therapie unterzogen. Bei der nach Wiederaufnahme des Dienstes stattgefundenen arbeitsmedizinischen Untersuchung bei PSL-GA wurde festgestellt, dass Sie ohne gesundheitliche Einschränkungen wieder Ihre bisherige Tätigkeit als Passageleiter ausüben können.
Im Gespräch mit Herrn Z… und Herrn S… haben Sie die Teilnahme an der Selbsthilfegruppe der Fr… AG zugesichert.
In einem am 27.11.02 bei VTM-HR geführten Gespräch wurde Ihnen dargestellt, dass wir von Ihnen erwarten, dass Sie sich an die mit Ihrem Vorgesetzten, der Suchtberatung und der Arbeitsmedizin getroffenen Vereinbarungen halten. Sie wurden darauf hingewiesen, dass Fehlverhalten zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen kann.
…”
Die Gewerkschaft ver.di verlangte mit Schreiben vom 23. Mai 2003 die Entfernung des Schreibens vom 27. November 2002 aus der Personalakte des Klägers. Es heißt in diesem Schreiben weiter:
“…
Wegen der persönlichen Integrität eines Beschäftigten dürfen ganz bestimmte Gegenstände nicht in die Personalakte aufgenommen werden. Aus dem Schreiben vom 27.11.2002 ist zu entnehmen, dass Herr F… an der Selbsthilfegruppe der Fr… AG teilgenommen hat. Bei etwaigen Bewerbungen ist nicht auszuschließen, dass dies nachteilig für Herrn F… sein kann.
…”
Mit Schreiben vom 6. Juni 2003 an die Gewerkschaft ver.di lehnte die Beklagte die Bitte, das Schreiben vom 27. November 2002 aus der Personalakte zu entfernen, ab. In dem Schreiben heißt es:
“…
Dieser Bitte können wir leider nicht nachkommen. Herr F… ist alkoholkrank. In diesem Zusammenhang hat er sich einer stationären Therapie unterzogen. …
Herr F… hat keinen Anspruch auf Entfernung des Schreibens aus seiner Personalakte; dies ist für ihn auch nicht per se nachteilig.
…”
Die Beklagte nahm sämtliche Schreiben zur Personalakte des Klägers.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, die vier Schreiben aus seiner Personalakte zu entfernen. Bei Verbleib der Schreiben in der Personalakte seien Nachteile für seinen beruflichen Werdegang zu befürchten. Außerdem werde sein Persönlichkeitsrecht verletzt.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, das Schreiben der Beklagten vom 27. November 2002, das Schreiben der Gewerkschaft ver.di vom 23. Mai 2003, das Schreiben der Beklagten vom 6. Juni 2003 sowie das Schreiben der Beklagten vom 12. August 2002 ersatzlos aus der Personalakte zu entfernen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, das Schreiben der Beklagten vom 27. November 2002 an den Kläger, das Schreiben der Gewerkschaft ver.di vom 23. Mai 2003 an die Beklagte sowie das weitere Schreiben der Beklagten vom 6. Juni 2003 an die Gewerkschaft ver.di und die hausinterne Mitteilung der Beklagten vom 12. August 2002 an PSL-P 33 über VTM-HR zusammen in einem verschlossenen Umschlag abzuheften, wobei allein der Leiter der Personalabteilung bzw. dessen Stellvertreter öffnungsberechtigt ist und jede Öffnung mit Datum und Grund der Öffnung auf dem Umschlag zu vermerken ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie habe ein berechtigtes Interesse an der Aufbewahrung der Schreiben in der Personalakte des Klägers.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Entfernung des Schreibens vom 27. November 2002, des Schreibens des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 23. Mai 2003 sowie des Schreibens der Beklagten vom 6. Juni 2003 und Löschung der entsprechenden Daten abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger die Klage hinsichtlich des Schreibens der Beklagten vom 12. August 2002 erweitert und zusätzlich die Herausnahme und Löschung sowie hilfsweise gesonderte Aufbewahrung von zwei Zeitungsartikeln vom 5. Mai 2004 sowie des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 28. April 2004 (– 9 Ca 6822/03 –) beantragt. Den Antrag auf Löschung der entsprechenden Daten hat er mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen. Die Klageerweiterung hinsichtlich Herausnahme der Zeitungsartikel und des arbeitsgerichtlichen Urteils ist von beiden Parteien für erledigt erklärt worden, nachdem die Beklagte diesen Anspruch erfüllt hatte.
Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf Herausnahme der Schreiben abgewiesen und die Beklagte verurteilt, die Schreiben vom 27. November 2002, 23. Mai 2003 sowie 6. Juni 2003 gesondert aufzubewahren. Die Klage auf gesonderte Aufbewahrung der Mitteilung vom 12. August 2002 hat es als unzulässig abgewiesen. Es hat für beide Parteien die Revision zugelassen. Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision die Klageabweisung des Hilfsantrags. Der Kläger wendet sich mit seiner Anschlussrevision gegen die Abweisung des Anspruchs auf gesonderte Aufbewahrung der internen Mitteilung vom 12. August 2002.
Entscheidungsgründe
A. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte sämtliche streitgegenständlichen Schreiben gesondert aufzubewahren hat, da sie auf die Sucht-/Alkoholerkrankung des Klägers hinweisen. Die Anschlussrevision des Klägers ist begründet. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht die Unzulässigkeit der Klageerweiterung in der Berufungsinstanz im Hinblick auf das Schreiben vom 12. August 2002 angenommen. Insoweit ist die Klage ebenfalls begründet.
I. Die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz auf gesonderte Aufbewahrung der Mitteilung vom 12. August 2002 ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts zulässig.
1. Es handelte sich dabei nicht, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, um eine Klageänderung, sondern um eine Klageerweiterung. Denn der Kläger hat mit seinem Angriff gegen die Aufbewahrung dieses Schreibens einen neuen Streitgegenstand eingeführt. Wird ein neuer Streitgegenstand neben dem bisherigen eingeführt, liegt ein Fall nachträglicher Klagehäufung vor, auf den § 263 ZPO entsprechend anwendbar ist (Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 263 Rn. 2; Senat 11. April 2006 – 9 AZN 892/05 – EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 108). Eine Klageerweiterung ist kein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel gemäß § 530 ZPO, § 67 ArbGG (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 63. Aufl. § 530 Rn. 3). Ihre Zulässigkeit beurteilt sich deshalb nach § 263 ZPO.
2. Die Klageerweiterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bedurfte nach §§ 263, 264 ZPO der Einwilligung der Beklagten oder einer Entscheidung des Gerichts über ihre Sachdienlichkeit. Von einer Einwilligung der Beklagten kann nicht ausgegangen werden. Denn sie hat die Einbeziehung dieses Schreibens in den Prozess als unzulässige Klageänderung gerügt. Allerdings ist die für die Zulassung der Klageerweiterung notwendige Sachdienlichkeit gegeben. Das Berufungsgericht hat – aus seiner Sicht konsequent – die Frage der Sachdienlichkeit nicht geprüft. In diesem Fall kann der Senat selbst darüber befinden. Sachdienlichkeit liegt vor, wenn der bisherige Prozessstoff als Entscheidungsgrundlage verwertbar bleibt und durch die Zulassung der Klagehäufung ein neuer Prozess vermieden wird (BGH 15. Januar 2001 – II ZR 48/99 – NJW 2001, 1210). So ist es hier. Die rechtliche Beurteilung der Pflicht der Beklagten zur gesonderten Aufbewahrung der Mitteilung vom 12. August 2002 beurteilt sich nicht nach anderen Grundsätzen als sie für die Klageanträge hinsichtlich der weiteren Schreiben gelten. Sämtliche Schreiben weisen auf eine Alkoholabhängigkeit des Klägers hin. Es geht in allen Fällen darum, ob der Schutz des Persönlichkeitsrechts des Klägers eine gesonderte Aufbewahrung solcher Informationen gebietet oder ob überwiegende Interessen der Beklagten eine offene Aufbewahrung in der Personalakte des Klägers zulassen.
3. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klageantrag nicht deshalb unzulässig, weil die Berufung des Klägers allein der Klageerweiterung hätte dienen sollen. Das wäre nur der Fall, wenn die Erweiterung oder Änderung der Klage in zweiter Instanz alleiniges Ziel des Rechtsmittels wäre. In einem solchen Falle wäre die Berufung unzulässig (BAG 10. Februar 2005 – 6 AZR 183/04 – EzA ArbGG 1979 § 64 Nr. 40). Der Kläger verfolgte mit seiner Berufung nicht allein die Erweiterung der Klage, sondern in erster Linie die Stattgabe seines in erster Instanz abgewiesenen Hauptantrages.
II. Die Verpflichtung der Beklagten auf gesonderte Aufbewahrung der Schreiben folgt aus § 611 BGB in Verbindung mit §§ 12, 862, 1004 BGB. Die ungeschützte Aufbewahrung in der Personalakte des Klägers stellt eine objektiv rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts dar. Daraus folgt sein Beseitigungsanspruch.
1. Der Arbeitgeber hat im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Die Fürsorgepflicht ist Ausfluss des in § 242 BGB niedergelegten Gedankens von Treu und Glauben, der auch den Inhalt des Schuldverhältnisses bestimmt. Bei der Frage, was Treu und Glauben und die Fürsorgepflicht im Einzelfall gebieten, ist insbesondere auf die in den Grundrechten zum Ausdruck gekommenen Wertentscheidungen der Verfassung Bedacht zu nehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Privatrecht beide Parteien Grundrechtsträger sind. Diesen konkurrierenden Rechtspositionen haben die Gerichte ausgewogen Rechnung zu tragen. Diese Grundsätze haben auch für die Führung von Personalakten Bedeutung. Das durch Art. 1 und Art. 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht ist auch im Privatrechtsverkehr und damit im Arbeitsverhältnis zu beachten (BAG 27. März 2003 – 2 AZR 51/02 – BAGE 105, 356). Es schützt den Arbeitnehmer vor der Offenlegung personenbezogener Daten und zwar auch solcher, von denen der Arbeitgeber in zulässiger Weise Kenntnis erlangt hat (vgl. BAG 21. Februar 1979 – 5 AZR 568/77 – AP BGB § 847 Nr. 13 = EzA BGB § 847 Nr. 3). Dem Schutz des Arbeitnehmers können allerdings Grundrechte des Arbeitgebers gegenüberstehen. In diesem Fall ist eine Abwägung der unterschiedlichen Grundrechte vorzunehmen. Abzuwägen sind hierbei das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers in Bezug auf Ansehen, soziale Geltung und berufliches Fortkommen sowie die sich für Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ergebenden Rechte und das Recht des Arbeitgebers auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) (vgl. BAG 14. September 1994 – 5 AZR 632/93 – BAGE 77, 378). Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers können deshalb durch die Wahrnehmung überwiegender grundrechtlich geschützter Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Daher bedarf es zur Konkretisierung der Rechte und Pflichten stets einer Güter- und Interessenabwägung um zu klären, ob dem Persönlichkeitsrecht des einen gleichwertige und schutzwürdige Interessen anderer gegenüberstehen (BAG 27. März 2003 – 2 AZR 51/02 – BAGE 105, 356; 15. Juli 1987 – 5 AZR 215/86 – BAGE 54, 365 mwN).
Verletzt der Arbeitgeber das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, ohne dass dies durch eigene überwiegende Interessen gerechtfertigt ist, liegt darin zugleich ein Verstoß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Bei objektiv rechtswidrigen Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers hat dieser daneben entsprechend §§ 12, 862, 1004 BGB den Anspruch auf Beseitigung der fortwirkenden Beeinträchtigung und auf Unterlassen weiterer Verletzungshandlungen (BAG 27. November 1985 – 5 AZR 101/84 – BAGE 50, 202; 15. Juli 1987 – 5 AZR 215/86 – BAGE 54, 365).
2. Mit der ungeschützten Aufbewahrung der Schreiben in der Personalakte des Klägers verletzt die Beklagte rechtswidrig das Persönlichkeitsrecht des Klägers.
a) Das folgt aus einer Abwägung der Rechte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Hinblick auf die Führung von Personalakten. Es besteht ein legitimes Anliegen des Arbeitgebers, dass von ihm geführte Personalakten vollständig sind. Sie sollen möglichst lückenlos über die Person des Angestellten und seine dienstliche Laufbahn Aufschluss geben (BAG 25. April 1972 – 1 AZR 322/71 – BAGE 24, 247). Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein überwiegendes Interesse, für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Informationen über die Persönlichkeit und Gesundheit des Arbeitnehmers zum Zwecke einer berechtigten späteren Verwertung zu sammeln. Dies gilt auch für Hinweise, die auf eine Sucht-/Alkoholerkrankung des Arbeitnehmers hinweisen. Solche Erkrankungen können bei negativer Zukunftsprognose gemäß § 1 Abs. 1 iVm. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen. Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen krankheitsbedingten Kündigung ist die negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes. Für eine solche negative Prognose stellt die Rechtsprechung vor allem darauf ab, ob es sich um einen Rückfall nach erfolgter Therapie handelt (vgl. BAG 16. September 1999 – 2 AZR 123/99 – AP BGB § 626 Nr. 159 = EzA BGB § 626 Krankheit Nr. 2).
b) Diese berechtigten Interessen sind am Schutz des Persönlichkeitsrechts zu messen. Selbst wenn die Beklagte ein berechtigtes Interesse an der Aufbewahrung der streitgegenständlichen Schreiben hat, bedeutet dies nicht ohne weiteres das Recht, sie ungeschützt in der Personalakte abheften zu dürfen. Die Personalakten dürfen nicht allgemein zugänglich sein und müssen sorgfältig verwahrt werden. Zudem muss der Arbeitgeber die Informationen vertraulich behandeln oder für die vertrauliche Behandlung durch die Sachbearbeiter Sorge tragen und den Kreis der mit Personalakten befassten Beschäftigten möglichst eng halten. Diese allgemeinen Anforderungen hat die Beklagte erfüllt. Danach werden die Personalakten nur durch den zuständigen Sachbearbeiter geführt und in abschließbaren Schränken an seinem Arbeitsplatz aufbewahrt. Hieraus folgt entgegen der Auffassung der Revision jedoch nicht, dass für besonders sensible Daten kein Anspruch des Arbeitnehmers auf eine weitergehende, besonders geschützte Aufbewahrung besteht.
c) Nicht alle Teile der Personalakten unterliegen notwendigerweise dem gleichen Grad der Geheimhaltung. Das Geheimhaltungserfordernis kann durchaus unterschiedlich sein. Die Personalakte enthält besonders sensible und weniger sensible Daten. Zu den besonders sensiblen Daten gehören insbesondere solche über den körperlichen, geistigen und gesundheitlichen Zustand und allgemeine Aussagen über die Persönlichkeit des Arbeitnehmers. Sie bedürfen deshalb des verstärkten Schutzes. So ist es hier. Sämtliche Schreiben enthalten eine Aussage oder einen Hinweis auf eine Sucht-/Alkoholerkrankung des Klägers. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Revision um besonders sensible personenbezogene Daten, die des verstärkten Schutzes bedürfen. Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, der vorliegende Sachverhalt lasse sich nicht mit dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Juli 1987 (– 5 AZR 215/86 – BAGE 54, 365) zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichen. Dort sei es um die Aufbewahrung von zwei amtsärztlichen Gutachten gegangen, in denen dem Arbeitnehmer eine “neurotisch abnorme Persönlichkeitsstruktur” sowie eine mögliche “Rentenneurose” bescheinigt worden sei. Demgegenüber enthielten die Schreiben mit ihren Hinweisen auf eine Alkoholerkrankung des Klägers keine sensiblen personenbezogenen Daten und bedürften deshalb nicht des besonderen Schutzes. Das trifft nicht zu. Der Hinweis auf eine Alkoholerkrankung des Arbeitnehmers weist auf den Gesundheitszustand und die Persönlichkeit des Arbeitnehmers hin. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieses Recht schützt grundsätzlich auch vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter (BVerfG 24. Juni 1993 – 1 BvR 689/92 – BVerfGE 89, 69). Das begründet eine besondere Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers gegenüber der Ausweitung des informationsberechtigten Personenkreises im Hinblick auf seine Gesundheitsdaten. Dieser Schutzbedürftigkeit hat auch der Gesetzgeber Rechnung getragen. So verpflichtet § 8 Abs. 1 Satz 3 ArbSichG den Betriebsarzt, die ärztliche Schweigepflicht auch im Verhältnis zum Arbeitgeber zu beachten.
Der Schutz betrifft nicht nur die Beschränkung des informationsberechtigten Personenkreises, sondern ebenso die Sicherung vor zufälliger Kenntnisnahme. Personalakten werden routinemäßig aus unterschiedlichen Gründen eingesehen, etwa bei Urlaubserteilung, Erstellung von Beurteilungen, etc. Eine Kenntnisnahme sensibler Gesundheitsdaten ist in diesen Fällen regelmäßig nicht erforderlich. Daher dürfen solche Schreiben nicht offen in der Personalakte aufbewahrt werden, so dass sie eingesehen oder zufällig zur Kenntnis genommen werden können, obwohl der Grund der Einsichtnahme dies nicht erfordert.
d) Ein anerkennenswertes Interesse der Beklagten an der offenen Aufbewahrung oder der Erweiterung des einsichtsberechtigten Personenkreises besteht nicht. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird die Personalakte mit der Aufbewahrung der Schreiben in einem verschlossenen Umschlag auch nicht unvollständig. Der verschlossene Umschlag bleibt Teil der Personalakte und kann im Einzelfall bei berechtigtem Interesse geöffnet werden. Dem Informationsbedürfnis des Arbeitgebers wird deshalb ausreichend Rechnung getragen.
3. Der geltend gemachte Anspruch auf Aufbewahrung in einem verschlossenen Umschlag und beschränkten Einsichtsrecht von Personalleiter und Stellvertreter stellt keinen unzulässigen Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Beklagten dar.
Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine bestimmte Art und Weise der Geheimniswahrung sensibler Daten. Wie dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers Rechnung getragen wird, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und kann in unterschiedlicher Weise umgesetzt werden, etwa durch Führung besonderer Gesundheitsakten, die Verwendung verschlossener Umschläge, etc. Es muss lediglich die zufällige Kenntnisnahme verhindert und der einsichtsberechtigte Personenkreis beschränkt werden. Dabei obliegt es grundsätzlich dem Arbeitgeber im Rahmen seiner Personal- und Organisationsfreiheit zu bestimmen, wie das besondere Geheimhaltungsbedürfnis des Arbeitnehmers an sensiblen Daten umgesetzt wird. Dieses Bestimmungsrecht hat die Beklagte allerdings nicht ausgeübt. Sie beruft sich lediglich darauf, die Daten seien nicht besonders schutzbedürftig. Das Bestimmungsrecht ist deshalb entsprechend § 316 BGB und § 264 Abs. 2 BGB auf den Kläger übergegangen. Das folgt aus dem anzuwendenden Rechtsgedanken dieser Vorschriften. Danach geht das Bestimmungsrecht auf den Gläubiger über, wenn der Umfang einer Leistung nicht bestimmt (§ 316 BGB) oder die Wahl vom Schuldner nicht rechtzeitig vorgenommen worden ist (§ 264 Abs. 2 Satz 2 BGB).
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Düwell, Böck, Krasshöfer, Preuß, Merkle
Fundstellen
Haufe-Index 1687709 |
BAGE 2008, 238 |
DB 2007, 523 |