Leitsatz
1. Der in Art. 8 und Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien verwendete Begriff der "Organisation der Vereinten Arbeit" erfasst auch diejenigen juristischen Personen, die insgesamt an deren Stelle getreten sind. Das sind zunächst die nach Maßgabe des jugoslawischen Gesellschaftsrechts zwingend bis zum 31.12.1991 hinsichtlich ihrer Rechtsform angepassten (ehemaligen) Organisationen der Vereinten Arbeit sowie steuerpflichtige juristische Personen, die nach 1988 errichtet worden sind.
2. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zur sog. statischen Abkommensauslegung (Senatsurteile vom 10.06.2015 – I R 79/13, BFHE 250, 110, BStBl II 2016, 326, m.w.N.; vom 25.11.2015 – I R 50/14, BFHE 253, 52, BStBl II 2017, 247) fest, stellt aber klar, dass bei Vorliegen einer sog. Fortgeltungsvereinbarung für die Abkommensauslegung auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung abzustellen sein kann.
Normenkette
Art. 8, Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien
Sachverhalt
Die in Deutschland wohnhaften Kläger werden als Eheleute zusammen zur ESt veranlagt. Sie erzielen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Kläger erzielte in den Jahren 2009 und 2012 (Streitjahre) zudem Einkünfte aus Kapitalvermögen, aus VuV sowie sonstige Einkünfte.
Am 26.7.1991 gründete der Kläger auf der Grundlage des damaligen jugoslawischen Gesetzes über Unternehmen vom 29.12.1988 die Gesellschaft A mit Sitz in Jugoslawien. Die Gesellschaft wurde mit Beschluss des Gerichts der Vereinten Arbeit vom 5.8.1991 in das Gerichtsregister eingetragen. Mit Gesellschafterbeschluss vom 25.11.1995 wurde die Gesellschaft an das Unternehmensgesetz der Föderation von Bosnien und Herzegowina (BIH) vom 11.2.1995 angepasst. Es erfolgte eine Umbenennung und am 25.12.1999 eine erneute Satzungsänderung auf Grundlage des Gesetzes über Wirtschaftsgesellschaften vom 12.6.1999. Am 20.5.1995 errichtete der Kläger zudem auf der Grundlage des Unternehmensgesetzes der Föderation von BIH vom 11.2.1995 die Gesellschaft B. Am 4.5.2000 passte er die Satzung dieser Gesellschaft an die neuen gesetzlichen Regelungen in BIH an.
Am 25.5.2009 veräußerte der Kläger seine Anteile an der Gesellschaft B an die Gesellschaft A und erzielte hierbei einen Veräußerungsgewinn. Eine Besteuerung des Gewinns in BIH erfolgte nicht. Am 19.9.2012 beschloss die Gesellschafterversammlung der Gesellschaft A eine Ausschüttung des "akkumulierten und nicht zugewiesenen Gewinns aus vergangenen Jahren". Davon entfielen 70 % auf den Kläger. Eine Besteuerung nahm die zuständige Finanzbehörde in BIH nicht vor.
Die Kläger wurden mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheiden hinsichtlich der hier streitigen Punkte zunächst erklärungsgemäß zur ESt 2009 und 2012 veranlagt. Der Gewinn aus der Anteilsveräußerung im Jahr 2009 wurde ebenso wie die Ausschüttung im Jahr 2012 nicht der Besteuerung unterworfen, sondern nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt.
Nachdem das FA davon Kenntnis erlangt hatte, dass die genannten Einkünfte in BIH nicht besteuert worden waren, erließ er am 8.12.2014 geänderte ESt-Bescheide für die Streitjahre und erfasste hierbei sowohl den Veräußerungsgewinn (zu 60 %) als auch die – der Abgeltungsteuer unterliegende Gewinnausschüttung. Der Nachprüfungsvorbehalt blieb bestehen. Zur Begründung wies das FA darauf hin, dass Art. 8 i. V. m. Art. 14 Abs. 3 des DBA Jugoslawien vom 26.3.1987, dessen unveränderte Fortgeltung Deutschland und BIH am 13.11.1992 (BGBl II 1992, 1196) vereinbart haben, nur auf Gewinne aus Investitionen in eine jugoslawische Organisation der Vereinten Arbeit anwendbar sei. Daher würden nur nicht privatisierte Formen der vergesellschafteten Unternehmen erfasst, nicht hingegen alle juristischen Personen.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das FG statt (FG Düsseldorf, Urteil vom 5.9.2017, 3 K 2745/16 E, Haufe-Index 11286717, EFG 2017, 165).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA zurück. Zur Begründung kann auf die Praxis-Hinweise Bezug genommen werden.
Hinweis
1. Die Besprechungsentscheidung hat eine größere Beachtung und eine amtliche Veröffentlichung eigentlich nur wegen des zweiten Leitsatzes zur Frage der Abkommensauslegung verdient. Im Übrigen betrifft der Beschluss die abkommensrechtliche Behandlung einer bestimmten jugoslawischen Gesellschaftsform, die es heute – wie den Staat Jugoslawien – nicht mehr gibt.
2. Das Besteuerungsproblem rührte im Streitfall daher, dass die sozialistische Volksrepublik Jugoslawien, die "lediglich" sozialistische Gesellschaftsformen kannte, untergegangen war. Das DBA mit Jugoslawien knüpfte an diese sozialistischen Gesellschaftsformen an und bestimmte im Wesentlichen, dass das Besteuerungsrecht für Veräußerungsgewinne und Gewinnausschüttungen bei Jugoslawien lag. Deutschland hatte unter Progressionsvorbehalt die Freistellung zu gewähren. Schon in der Endphase Jugoslawiens wurde das Gesellschaftsrecht jedoch modernisiert bzw. privatisiert, die Nachfolgestaaten erließen dann eigene Gesetze mit neuen Gesellschaftsf...