Leitsatz
Will das Finanzamt im Besteuerungsverfahren zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle tätig werden, bedarf eines hinreichenden Anlasses für das Tätigwerden. Dieser Anlass ist gegeben, wenn es bei vier von vier überprüften Ärzten zu Differenzen zwischen Wareneinkauf und Erlösen hinsichtlich eines bestimmten Produktes mit der Folge nicht erklärter Betriebseinnahmen gekommen ist. Es reicht für ein Sammelauskunftsersuchen aus, wenn der in Anspruch Genommene im Stande ist, durch die geforderte Auskunft einen Beitrag zur Aufdeckung unentdeckter Steuerfälle zu leisten.
Sachverhalt
Der Kläger ist ein Pharmaunternehmen. Er vertreibt ein bestimmtes Produkt, das in seinem Bereich das in Deutschland praktisch allein verwendete Präparat darstellt. Im Rahmen einer bei einem Facharzt durchgeführten Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass der Facharzt die Erlöse aus der Verwendung dieses Produkts nicht vollständig der Besteuerung unterworfen hat. Auch bei den nachfolgenden BP bei drei weiteren Fachärzten ergaben sich Differenzen zwischen dem Einkauf dieses Produktes und den daraus erzielten Erlösen. Aufgrund dieser Feststellungen forderte das Finanzamt den Kläger mit Bescheid auf, die 50 Apotheken in Deutschland, an die ihr Unternehmen in den Jahren 1999 bis 2003 die meisten Einheiten von diesem Produkt geliefert habe, zu benennen. Gegen dieses Auskunftsersuchen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.
Entscheidung
Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des Senats sei das Finanzamt zum Auskunftsersuchen berechtigt gewesen. Das Finanzamt habe sich im Rahmen des ihm zugewiesenen Aufgabenbereichs gehalten (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO). Es habe zum Ausdruck gebracht, dass er nicht im Steuerstrafverfahren, sondern im Besteuerungsverfahren zur Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle tätig werden wolle. Hierzu habe auch ein konkreter Anlass bestanden. Die Ermittlungsmaßnahme sei aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse nicht als unzulässige Rasterfahndung oder Ermittlung ins Blaue hinein zu qualifizieren. Dem Finanzamt stünden die von ihm in Anspruch genommenen Beweiserhebungs- und Ermittlungsbefugnisse auch zu (§ 208 Abs. 1 Satz 2 AO). Der § 93 Abs. 1 Satz 1 AO gebe dem Finanzamt hiernach das Recht, von den Beteiligten und anderen Personen die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu verlangen. Das Auskunftsersuchen genüge den allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen. Es sei zur Sachverhaltsaufklärung geeignet, notwendig und verhältnismäßig. Die Auskunft sei dem Kläger auch möglich und zumutbar. Das Finanzamt habe sich vor der Inanspruchnahme des Klägers nicht an die Fachärzte selbst wenden müssen. Diejenigen Fachärzte, die im Rahmen einer sog. Doppelverkürzung sowohl den Wareneinkauf als auch die entsprechende Weiterveräußerung und die Erlöse aus der damit zusammenhängenden Leistung nicht in die Buchführung aufgenommen hätten, blieben bei der normalen Betriebsprüfung - ohne die Auskunft des Klägers - unentdeckt. Die Ermessenserwägungen seien nicht zu beanstanden. Das Auskunftsersuchen sei auch verhältnismäßig im engern Sinne. Trete durch die Benennung der von dem Kläger belieferten Apotheken ein wirtschaftlicher Schaden bei ihr ein, trete dieses wirtschaftliche Interesse hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer möglichst lückenlosen Festsetzung und Verwirklichung des Steueranspruchs zurück.
Hinweis
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Das Revisionsverfahren ist beim BFH unter dem Az. VII R 63/05 anhängig.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil vom 11.11.2005, 6 K 21/05