Leitsatz
Sogenannte Bereitstellungsentgelte, die ein Speditionsunternehmen erhält, wenn eine Zwangsräumung kurzfristig von dem Gerichtsvollzieher abgesagt wird, stellen eine pauschalierte Entschädigung dar und unterliegen mangels eines Leistungsaustauschs nicht der USt.
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 3 Abs. 9 S. 1 UStG, § 415 Abs. 2 HGB, Art. 2 Nr. 1 der 6. EG-RL
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt eine Spedition. Sie führt im Auftrag von Gerichtsvollziehern Zwangsräumungen durch. Werden Zwangsräumungen innerhalb von 4 Tagen vor dem vereinbarten Räumungstermin abgesagt, erhält sie nach den getroffenen Absprachen ein sog. Bereitstellungsentgelt, das 30 % des Entgelts beträgt, das für die tatsächlich durchgeführte Räumung zu bezahlen gewesen wäre.
Die Klägerin führte für die sog. Bereitstellungsentgelte keine USt ab. Das FA unterwarf sie der USt.
Das Niedersächsische FG hielt die sog. Bereitstellungsentgelte für nicht steuerbar und gab der Klage statt (Niedersächsisches FG, Urteil vom 03.04.2008, 5 K 68/02, Haufe-Index 2004449, EFG 2008, 1073).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte keinen Erfolg. Die Gründe ergeben sich aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der USt u.a. sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt ausführt.
Kein Entgelt in diesem Sinn sind echte Entschädigungs- oder Schadenersatzleistungen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 10.12.1998, V R 58/97, BFH/NV 1999, 987).
2. Für den Fall der Kündigung eines Frachtvertrags ist in § 415 Abs. 2 HGB ausdrücklich geregelt, dass der Frachtführer entweder die vereinbarte Fracht unter Anrechnung bestimmter Beträge oder "ein Drittel der vereinbarten Fracht (Fautfracht)" verlangen kann.
Die sog. Fautfracht ist eine gesetzlich festgelegte, pauschale Kündigungsentschädigung und kein Leistungsentgelt (vgl. BTDrucks. 13/8445, S. 45). Sie wird nach der Rechtsprechung des BFH nicht im Rahmen eines Leistungsaustauschs gezahlt (vgl. bereits BFH, Urteile vom 22.01.1970, V R 118/66, Haufe-Index 68949, BStBl II 1970, 363; vom 27.08.1970, V R 130/66, Haufe-Index 69166, BStBl II 1970, 856).
3. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG beruht auf Art. 2 Nr. 1 der 6. EG-RL. Danach unterliegen der Mehrwertsteuer u.a. Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt. Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt eine entgeltliche Dienstleistung in diesem Sinn vor, wenn zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Einen derartigen Zusammenhang hat der EuGH bei einem sog. Angeld verneint. Er hat mit Urteil vom 18.07.2007, C-277/05 – Societe thermale d'Eugenie-Les-Bains – (BFH/NV 2007, Beilage 4, 424) entschieden, dass die an einen Hotelbetreiber als sog. Angeld geleisteten Beträge in Fällen, in denen der Kunde von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts entstandenen Schadens nicht mehrwertsteuerpflichtig sind.
4. Danach sind die sog. Bereitstellungsentgelte kein Entgelt i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, sondern eine nicht steuerbare pauschalierte Entschädigung.
Zwar handelt es sich nicht um eine Fautfracht i.S.d. § 415 Abs. 2 Nr. 2 HGB, wenn der Auftraggeber kein Kaufmann ist. Jedoch hat der Unternehmer bei der Kündigung eines Speditionsvertrags einen Schadenersatzanspruch nach § 649 Abs. 2 BGB. Es steht den Vertragspartnern frei, für den Fall der Kündigung durch den Auftraggeber den Inhalt ihres Rechtsverhältnisses und damit den Anspruch des Spediteurs so zu gestalten, wie der Gesetzgeber es für Kaufleute für den Fall der Kündigung wahlweise vorgesehen hat.
Die vertraglich vereinbarte pauschale Kündigungsentschädigung kann umsatzsteuerrechtlich nicht anders qualifiziert werden als die im Gesetz ausdrücklich geregelte. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zum sog. Angeld handelt es sich dabei um eine pauschalierte Entschädigung und nicht um ein Leistungsentgelt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.06.2010 – XI R 22/08