Leitsatz
1. Nach § 82g Abs. 1 Satz 1 EStDV prüft allein die bescheinigende Gemeinde, ob – nach Art und Umfang – Baumaßnahmen i.S.d. Vorschrift durchgeführt wurden.
2. Im Gegensatz zu den nach § 82i EStDV geförderten Baumaßnahmen an Baudenkmälern ist bei Maßnahmen i.S.d. § 82g EStDV nicht vorgeschrieben, dass sich aus der Bescheinigung auch die Höhe der begünstigten Herstellungskosten ergibt (gegen Abschn. 159 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStR 1990).
Normenkette
§ 82g Abs. 1 , § 82i EStDV , § 7h EStG , § 43 Abs. 3 Satz 2 StBauFG
Sachverhalt
Der Kläger, der einen Einzelhandel betrieb, war an einer Bauherrengemeinschaft (GbR) beteiligt, deren Unternehmenszweck die Errichtung und Fertigstellung von Gebäuden mit Ladeneinheiten war. Im Jahr 1986 hatte er von der GbR eine Ladeneinheit erworben. Am 10.2.1989 bescheinigte ihm die Gemeinde, dass dafür die Voraussetzungen des § 43 Abs. 3 Satz 2 StBauFG gegeben seien. Daraufhin beantragte der Kläger für das in seinen Bilanzen aktivierte Gebäude erhöhte AfA i.H.v. 10 % für 1990 nach § 82g EStDV und ab 1991 nach § 7h EStG.
Anlässlich einer bei der GbR durchgeführten Außenprüfung kam das FA zu der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die erhöhte AfA nicht vorgelegen hätten. Die entsprechenden Feststellungsbescheide gegenüber der GbR für 1986 bis 1988 wurden bestandskräftig. Am 1.2.1990 änderte das FA die Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbetragsbescheide 1990 bis 1993 des Klägers und gewährte nur noch die AfA nach § 7 Abs. 5 EStG. Das FG wies die Klage ab. Die Bescheinigung der Gemeinde sei nicht bindend, da sie nicht den im Streitfall gegebenen Sachverhalt erfasse. Das Gebäude sei nicht saniert, sondern neu errichtet worden.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und gab der Klage statt. Die Bescheinigung der Gemeinde sei für das FA bindend. Die Gemeinde entscheide auch darüber, welche Maßnahmen der "Modernisierung" und "Instandsetzung" eines Gebäudes dienen.
Hinweis
1. Nach § 82g EStDV (ab VZ 1991 nach § 7h EStG) kann ein Steuerpflichtiger erhöhte AfA von bis zu 10 % im Jahr der Herstellung und in den folgenden neun Jahren von Herstellungskosten vornehmen, die er aufgewendet hat
- für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen i.S.d. § 177 BauGB oder
- für Maßnahmen, die der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung eines Gebäudes dienen, das wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Bedeutung erhalten bleiben soll.
Voraussetzung dafür ist die Vorlage einer Bescheinigung der Gemeinde, dass entsprechende Baumaßnahmen durchgeführt worden sind.
2. Diese Bescheinigung der Gemeinde ist ein außersteuerrechtlicher Verwaltungsakt in Form eines Grundlagenbescheids i.S.d. § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO.
Die Bindungswirkung dieser Bescheinigung bezieht sich darauf,
- ob entsprechende Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt worden sind,
- ob das betreffende Gebäude in einem Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsgebiet liegt und
- ob und in welcher Höhe Zuschüsse aus Sanierungs- oder Entwicklungsförderungsmitteln gewährt worden sind.
Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen entscheidet allein die Gemeinde, wie die Begriffe "Modernisierung" und "Instandsetzung" zu verstehen sind und ob darunter auch ein Neubau im bautechnischen Sinn zu subsumieren ist (vgl. dazu BFH, Urteil vom 21.8.2001, IX R 20/99, BFH-PR 2002, 11).
3. Wegen dieser umfassenden Bindungswirkung der gemeindlichen Bescheinigung darf das FA nicht in eigener Zuständigkeit unter Hinweis auf das Fehlen der bau- und raumordnungsrechtlichen Voraussetzungen dem Steuerpflichtigen die erhöhte AfA versagen.
Wenn das FA eine andere Auffassung als die Gemeinde vertritt und den Grundlagenbescheid (die Bescheinigung) für rechtswidrig hält, hat es lediglich die Möglichkeit, bei der Gemeinde darauf hinzuwirken, dass diese ihre Bescheinigung zurücknimmt oder ändert. Kommt die Gemeinde dem nicht nach, ist das FA auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen.
Beachten Sie: Die Bindungswirkung der Bescheinigung erstreckt sich nicht auf die persönliche Abzugsberechtigung (BFH, Urteil vom 21.8.2001, IX R 20/99, BFH-PR 2002, 11).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 4.5.2004, XI R 38/01