Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Enthält das FG-Urteil einen im Wortlaut, aber nicht im Inhalt von einer BFH-Entscheidung abweichenden abstrakten Rechtssatz, so liegt keine Divergenz vor.
2. Kann nach Ansicht des FG abweichend von einer Kommentarmeinung eine Steuer regelmäßig nur dann erlassen werden, wenn die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen durch die Steuerfestsetzung verursacht worden ist, so ergibt das noch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
3. Die grundsätzliche Bedeutung muß ,,dargelegt" werden, d. h. es muß erläutert werden, welche konkret formulierte bisher ungeklärte Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung für klärungsbedürftig gehalten wird.
Normenkette
FGO § 115
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger kauften 1982 ein unbebautes Grundstück. Auf ihren Antrag erhob das beklagte Finanzamt (FA) zunächst keine Steuer gemäß § 1 Nr. 1 des Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG). Es setzte diese Steuer später durch zwei Bescheide fest, weil die Kläger das Grundstück vor der Errichtung des Hauses weiterverkauft hatten.
Den unter Hinweis auf ihre wirtschaftlichen Verhältnisse eingelegten Einspruch nahmen die Kläger zurück. Statt dessen beantragten sie den Erlaß der Steuern.
Das FA erließ die Steuern nur in Höhe eines Teilbetrages, der nach Verrechnung mit einer Einkommensteuerüberzahlung der Kläger noch verblieben war. Im übrigen lehnte es den Erlaßantrag ab.
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Die Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Die Revision hat es nicht zugelassen und der Beschwerde der Kläger hiergegen nicht abgeholfen.
Die Kläger machen Divergenz und grundsätzliche Bedeutung geltend.
Entscheidungsgründe
1. Das FG-Urteil weicht nicht von den Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) ab, welche die Kläger nennen (vom 5. Oktober 1966 VI 279/65, BFHE 87, 64, BStBl III 1967, 37; vom 28. März 1969 III 224/65, BFHE 96, 186, BStBl II 1969, 567; vom 24. Oktober 1969 III R 101/66, BFHE 97, 553, BStBl II 1970, 275, und vom 28. Juni 1972 I R 182/69, BFHE 106, 427, BStBl II 1972, 819).
Eine solche Abweichung (i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) liegt vor, wenn das FG-Urteil und die betreffende BFH-Entscheidung einander widersprechende (abstrakte) Rechtssätze enthalten (BFH-Entscheidung vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).
Die Kläger tragen zwar vor, nach den von ihnen genannten Urteilen liege eine den Erlaß der Steuer rechtfertigende sachliche Unbilligkeit vor, ,,wenn es nach Lage der Verhältnisse unangebracht ist, eine nach dem Steuergesetz geschuldete Steuer zu erheben". Dagegen habe das FG ,,die Meinung vertreten, daß die Frage der Unbilligkeit aus sachlichen Gründen einzig und allein aufgrund des vermeintlichen Willens des Gesetzgebers zu überprüfen sei". Dieser Vortrag läßt aber nicht erkennen, wo der Widerspruch in der Rechtsaussage liegen soll. Die Formulierung des FG-Urteils enthält denselben Rechtssatz wie die genannten Entscheidungen, nämlich daß eine Steuer aus sachlichen Gründen zu erlassen ist, wenn der Steuertatbestand nur formell erfüllt ist und die Erhebung der Steuer dem Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechen würde; dieser Sinn und Zweck wird durch den Willen des Gesetzgebers bestimmt. Rechtssätze sind nicht an einen bestimmten Wortlaut gebunden. Dementsprechend enthalten auch die BFH-Urteile zum Erlaß der Steuer aus sachlichen Billigkeitsgründen unterschiedliche Formulierungen. So stellt z. B. das Urteil vom 29. April 1970 I R 105/68 (BFHE 99, 175, BStBl II 1970, 607) auf den erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers ab, während das Urteil vom 14. Juli 1976 II R 121/71 (BFHE 120, 403, BStBl II 1977, 84) vom ,,Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers" spricht. Abweichende Ansichten werden dadurch jedoch nicht ausgedrückt.
2. Bestehen nach den Ausführungen unter 1. entgegen der Auffassung der Kläger keine ,,Schwankungen in der Definition" (der sachlichen Unbilligkeit), so können die Kläger auch nicht mit Erfolg wegen derartiger Schwankungen die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehren.
Diese grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht dadurch, daß - wie die Kläger meinen - das FG von einer beachtlichen Meinung in der Literatur abgewichen ist. Nach Auffassung des FG kann die Steuer regelmäßig nur dann erlassen werden, wenn die wirtschaftliche Notlage durch die Steuerfestsetzung verursacht worden ist; dagegen meint der (von den Klägern zitierte) Kommentar von Tipke / Kruse (Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl.) zur Abgabenordnung (AO 1977), die Erlaßbedürftigkeit brauche nicht durch die Festsetzung des Anspruches aus dem Steuerschuldverhältnis selbst verursacht zu sein (Tz. 43 zu § 227 AO 1977). Ein Widerspruch ergibt sich daraus für den vorliegenden Fall jedoch nicht, wobei der Senat offenläßt, ob jede von einem BFH-Urteil abweichende Kommentarmeinung einer Rechtssache schon grundsätzliche Bedeutung gibt. Die Kläger übersehen, daß das FG den von ihm genannten Grundsatz nur ,,regelmäßig", also nicht ohne Ausnahme gelten lassen will. Es weist darauf hin, daß im vorliegenden Fall eine derartige Ausnahme gemacht worden sei, indem das FA den Klägern . . . v. H. der Steuerschuld erlassen habe. Das sei im Vergleich zu dem Verhalten anderer Gläubiger nicht unbeachtlich. Daß andere Gläubiger prozentual größere Teile ihrer Forderungen erlassen haben und daher der Steuergläubiger bei den Klägern eine unzureichende Ausnahme gemacht hat, ist von den Klägern nicht vorgetragen worden.
3. Soweit die Kläger die grundsätzliche Frage geklärt haben wollen, ,,ob der Begriff der sachlichen Unbilligkeit auch im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes zu definieren ist", und ,,inwieweit das Sozialstaatsprinzip auf die Frage der Notwendigkeit eines Erlasses aus persönlichen Gründen einwirkt", genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Danach muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ,,dargelegt" werden. Es muß erläutert werden, welche (konkret formulierte) bisher ungeklärte Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung für klärungsbedürftig gehalten wird und ob diese Rechtsfrage in dem vorliegenden Rechtsstreit geklärt werden kann. Die allgemein gehaltenen Ausführungen der Kläger lassen weder das eine noch das andere erkennen.
Fundstellen
Haufe-Index 416311 |
BFH/NV 1990, 376 |