Entscheidungsstichwort (Thema)
Besteuerung des Veräußerungsgewinns beim Wegfall des negativen Kapitalkontos nicht sachlich unbillig
Leitsatz (NV)
1. Die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns, der beim Wegfall eines negativen Kapitalkontos entsteht, ist nicht sachlich unbillig.
2. Die Aussicht auf die künftige Erzielung von Einkünften oder die Erlangung von Vermögenswerten ist bei der Entscheidung über einen Steuererlaß aus persönlichen Billigkeitsgründen zu berücksichtigen.
Normenkette
AO 1977 § 227; FGO § 142
Tatbestand
Der ledige Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) begehrt Prozeßkostenhilfe (PKH) für sein beim Finanzgericht (FG) anhängiges Klageverfahren betreffend den Erlaß von Einkommensteuer 1988.
Der Antragsteller war bis 1988 als Kommanditist an einer KG beteiligt. Mit geändertem Feststellungsbescheid vom 24. Juni 1992 wurde für ihn für 1988 ein Veräußerungsgewinn und ein laufender Verlustanteil festgestellt. Aufgrund des geänderten Einkommensteuerbescheides 1988 vom 29. Juli 1992 ergab sich eine Einkommensteuernachzahlung in Höhe von ... DM.
Mit der Begründung, ihm fehlten nach dem Konkurs der KG die Mittel für die Begleichung der Steuerschuld, beantragte der Antragsteller den Erlaß der Steuernachzahlung. Er sei nicht Geschäftsführer der KG gewesen, so daß ihn kein Verschulden an dem Konkurs der Gesellschaft treffe. Als Student beziehe er keine regelmäßigen Einkünfte. Er sei zwar an dem Vermögen der Erbengemeinschaft X beteiligt, die über ein Festgeld von 50 000 DM verfüge, doch würden die Zinsen daraus dringend für den Lebensunterhalt benötigt. Die Steuerschulden seien u. a. aus Verlusten von ... DM entstanden, die er nicht mit anderen Einkünften habe verrechnen können. Es gingen ihm daher Verlustvorträge aus den Jahren 1977 bis 1982 in dieser Höhe verloren, was einer Steuerschuld von ca. 39 000 DM entspreche.
Der Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) lehnte den Erlaßantrag ab. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde am 16. März 1995 im wesentlichen mit der Begründung zurück, für einen Erlaß seien weder sachliche noch persönliche Gründe gegeben. Anhaltspunkte dafür, daß die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch sei, lägen nicht vor. Es sei auch nicht vorgetragen worden, daß es nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, sich gegen die Festsetzung zu wenden. Soweit die Mutter des Antragstellers geltend mache, die Bilanzen der KG seien falsch, müsse dem entgegengehalten werden, daß der Antragsteller in den entsprechenden Jahren steuerlich beraten gewesen sei. Von einem steuerlichen Berater könne und müsse erwartet werden, daß er die Rechte und Interessen seiner Mandanten durch fristgerechte Rechtsbehelfe wahre. Die Tatsache, daß ein Kommanditist im Falle seines Ausscheidens aus der Gesellschaft in Höhe seines negativen Kapitalkontos einen Veräußerungsgewinn zu versteuern habe, entspreche höchstrichterlicher Rechtsprechung (Entscheidungen vom 10. November 1980 GrS 1/79, BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164, und vom 26. Mai 1981 IV R 47/78, BFHE 134, 15, BStBl II 1981, 795). Dem Antragsteller seien unstreitig Verlustanteile aus der Beteiligung zugerechnet worden, die sich sowohl im Wege des horizontalen Verlustausgleichs als auch im Wege des Verlustabzugs nach § 10 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) zumindest teilweise ausgewirkt hätten. Daß dies nicht in voller Höhe habe geschehen können, weil in den einzelnen Jahren den Verlusten keine entsprechenden positiven Einkünfte gegenübergestanden hätten, sei nicht als unbillig anzusehen.
Auch ein Erlaß aus persönlichen Gründen komme nicht in Betracht. Der Antragsteller sei an der Erbengemeinschaft X zu 1/3 beteiligt, die nach seinen eigenen Angaben über Kapitalvermögen in Höhe von 50 000 DM verfüge. Daß die Zinsen für den Lebens unterhalt benötigt würden, stehe einer Verwertung des Vermögens zur Tilgung der Steuerschulden nicht entgegen. Dem Antragsteller sei zwar gegenwärtig aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage eine sofortige Tilgung der gesamten Steuerrückstände auch im Wege einer Kreditaufnahme nicht möglich. Da ein Steuererlaß einen endgültigen Verzicht der Allgemeinheit auf ihr zustehende Forderungen bedeute, der auch bei einer späteren Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, seien auch die zukünftigen Verhältnisse zu berücksichtigen, sofern hierfür Anhaltspunkte gegeben seien. Es könne daher nicht übersehen werden, daß der Antragsteller unverheiratet sei, keine Kinder habe und noch eine geraume Zeit im erwerbsfähigen Alter sei. Seine Aussichten, nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit Einkünfte zu erzielen, die eine ggf. ratenweise Tilgung der Steuerrückstände ermöglichten, dürfe deshalb nicht von vornherein als negativ eingeschätzt werden.
Mit der während des Klageverfahrens ergangenen Verfügung vom 22. August 1995 sprach das FA im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 26. Oktober 1994 X R 104/92 (BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297) einen Erlaß von Einkommensteuer 1988 in Höhe von ... DM aus und teilte dem FG mit, daß sich nunmehr sämtliche vor 1988 dem Antragsteller zuzurechnenden Verluste aus der Beteiligung steuermindernd ausgewirkt hätten.
Den am 4. Mai 1995 unter Beifügung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellten Antrag auf Gewährung von PKH lehnte das FG ab. Es war der Auffassung, das monatliche Nettoeinkommen in Höhe von 3 215 DM stehe einer Gewährung von PKH entgegen.
Gegen die Entscheidung hat der Antragsteller Beschwerde erhoben, der das FG nicht abgeholfen hat. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt: Im Hauptverfahren werde um den Erlaß von rd. 80 000 DM an Einkommensteuern gestritten. Dieser Betrag, der sich um die vom FG errechneten Prozeßkosten noch erhöhe, müsse von ihm, dem Antragsteller, gezahlt werden, wenn ein Erlaß abgelehnt werde. Er habe erst seit Ende März 1995 ein festes Gehalt in Höhe von monatlich 6 200 DM brutto. Da er seinen Lebensunterhalt während des Studiums habe selbst verdienen müssen -- seine Mutter sei zu Unterhaltszahlungen nur teilweise in der Lage gewesen --, habe er in vielen Dingen einen großen Nachholbedarf. So müsse z. B. sein 13 Jahre altes Auto durch ein neues Auto ersetzt werden, das auch dem Außendienst gewachsen sei. Hinzu komme, daß er sich seiner Position entsprechend kleiden müsse (Anzug und Krawatte) und sich zusätzlich noch für den Außendienst geeignete Kleidung anschaffen müsse. Wenn auch im Laufe der Zeit seine Einkünfte anstiegen, so sei im Gegenzug mit einem Anstieg der Lebenshaltungskosten zu rechnen, insbesondere wenn man berücksichtige, daß er auch einmal eine Familie gründen wolle.
Zur rechtlichen Situation verweist der Antragsteller im wesentlichen auf das Urteil des BFH in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, das das FA nur zum Teil angewendet habe. Es habe seiner geringen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Beachtung geschenkt. Er habe nie über das geerbte, aus der Beteiligung an der KG bestehende Vermögen verfügen können. Die Ertragskraft der KG sei sehr gering, oft sogar negativ gewesen, wie die Verlustvorträge zeigten. Darüber hinaus habe das notwendige Betriebsvermögen der KG nach Eröffnung des Konkurses veräußert werden müssen, was zur Auflösung der stillen Reserven und deren Versteuerung geführt habe.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, ihm für das FG-Verfahren PKH zu gewähren.
Das FA hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das FG hat im Ergebnis zu Recht die Gewährung von PKH abgelehnt.
Nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH erhalten, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Es kann dahinstehen, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse -- wovon das FG ausgegangen ist -- dem Antragsteller das Aufbringen der im finanzgerichtlichen Verfahren entstehenden Prozeßkosten erlauben. Denn es fehlt an einer hinreichenden Erfolgsaussicht der erhobenen Klage.
Gemäß § 227 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über einen Erlaßantrag ist eine Ermessensentscheidung, die im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin überprüft werden kann, ob die Finanzbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 102 FGO).
Bei der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung läßt die Verwaltungsentscheidung über die Ablehnung des beantragten Erlasses durch das FA und die OFD wegen sachlicher und persönlicher Unbilligkeit keine Ermessensfehler erkennen.
a) Unbilligkeit der Einziehung einer Steuer aus sachlichen Gründen kommt nach ständiger Rechtsprechung des BFH in Betracht, wenn die Besteuerung im Einzelfall mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist (vgl. z. B. Urteil vom 20. Februar 1991 II R 63/88, BFHE 164, 114, BStBl II 1991, 541). Erfüllt ein Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand, läuft aber die Besteuerung den Wertungen des Gesetzgebers zuwider, kann ein Erlaß aus sachlichen Gründen gerechtfertigt sein. Umstände, die dem Besteuerungszweck entsprechen oder die vom Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestandes bewußt in Kauf genommen wurden, stehen jedoch dem Erlaß entgegen (BFH-Urteil vom 24. September 1987 V R 76/78, BFHE 151, 221, BStBl II 1988, 561). Steuern, die bestandskräftig festgesetzt worden sind, können nur dann im Billigkeitsverfahren sachlich überprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen deren Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512, m. w. N.). Die OFD ist bei ihrer Entscheidung von diesen Grundsätzen ausgegangen.
Fällt -- wie im Streitfall -- im Zuge der Liquidation einer Gesellschaft das durch Ent nahmen oder Verlustverrechnungen negativ gewordene Kapitalkonto eines Kommanditisten weg, so ergibt sich in Höhe des negativen Kapitalkontos ein steuerpflichtiger Gewinn (BFH-Entscheidungen in BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164; in BFHE 134, 15, BStBl II 1981, 795, und vom 10. Dezember 1991 VIII R 17/87, BFHE 167, 331, BStBl II 1992, 650). In dieser steuerlichen Behandlung kann keine sachliche Unbilligkeit im Sinne eines Widerspruchs zu den Wertungen des Gesetzgebers gesehen werden; denn der steuerpflichtige Gewinn ist die rechtlich notwendige Folge aus den früheren Verlustzurechnungen und evtl. Entnahmen (BFH-Beschluß in BFHE 132, 244, BStBl II 1981, 164). Anders als im Fall der von dem Antragsteller genannten Entscheidung des BFH in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 haben sich im Streitfall durch den während des Klageverfahrens zusätzlich vom FA ausgesprochenen Erlaß alle Verluste der Jahre vor 1988 aus der Beteiligung an der KG in voller Höhe steuermindernd ausgewirkt.
b) Ebenso haben FA und OFD ermessensfehlerfrei einen Billigkeitserlaß aus persönlichen Gründen abgelehnt. Unbilligkeit aus in der Person liegenden Gründen ist anzunehmen, wenn im Falle der Versagung des Erlasses die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichtet oder ernsthaft gefährdet würde (BFH-Urteil vom 26. Februar 1987 IV R 298/84, BFHE 149, 126, BStBl II 1987, 612). Das setzt voraus, daß sich die Billigkeitsmaßnahme auf die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann (BFH-Beschluß vom 12. Juli 1989 X B 111/88, BFH/NV 1990, 213). Daran fehlt es im Streitfall.
Nach den Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung war der Antragsteller im Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung im März 1995 außerstande, die Steuerrückstände zu tilgen. Unabhängig von einer Billigkeitsmaßnahme konnte das FA seine Steueransprüche nicht durchsetzen. Ein Erlaß hätte sich somit nicht konkret auf die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers auswirken können.
Ferner konnte die OFD bei ihrer Entscheidung davon ausgehen, daß der Antragsteller nach dem bevorstehenden Abschluß seines Studiums voraussichtlich Einkünfte aus einer beruflichen Tätigkeit erzielen wird, die ihm zumindest eine ratenweise Tilgung der rückständigen Steuern ermöglichen werden. Nur vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten gefährden nicht in jedem Fall die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen. Maßnahmen wie eine Stundung der Steuerforderung, Gewährung von Ratenzahlungen oder -- wie im Streitfall -- die vorläufige Zurückstellung der Erhebung können angebracht sein. Die Aussicht auf die künftige Erzielung von Einkünften ist, wie auch die Möglichkeit der Erlangung von Vermögenswerten, die den Steuerpflichtigen in die Lage versetzen könnten, die Rückstände zu tilgen, bei der Entscheidung über einen Erlaß zu berücksichtigen (BFH-Beschluß vom 15. Juli 1993 III B 8/93, BFH/NV 1994, 439).
Fundstellen
Haufe-Index 421405 |
BFH/NV 1996, 728 |