Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Berücksichtigung der Nichteinhaltung einer Zusage bei Haftungsinanspruchnahme
Leitsatz (NV)
- Verschulden des FA bei der Haftungsinanspruchnahme ist nur dann im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, wenn das Verschulden des FA besonders schwer ins Gewicht fällt und das Verschulden des auf Haftung in Anspruch genommenen Geschäftsführers gering ist (st. Rspr.).
- Das FA muss von ihm abgegebene Zusagen einhalten, auch wenn es sie abzugeben nicht verpflichtet war. Die Nichterfüllung einer diesbezüglichen Obliegenheit des FA kann aber allenfalls nach dem Rechtsgedanken des § 254 BGB oder im Rahmen der Ermessensausübung nach § 191 AO 1977 bei der Bemessung der Haftungsquote berücksichtigt werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 69, 191; BGB § 254
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wird vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) auf Haftung für von einer GmbH angemeldete, aber nicht abgeführte Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschläge in Anspruch genommen. Der Kläger war Geschäftsführer dieser GmbH, die ihrerseits die Geschäfte einer KG führte. Der Kläger hatte sein Geschäftsführeramt übernommen, als diese Gesellschaft in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. Im Rahmen seiner Bemühungen um eine Sanierung der Gesellschaft will er u.a. vom FA die Zusage erhalten haben, er werde darüber unterrichtet werden, wenn die KG fällige Steuerschulden nicht begleiche; eine entsprechende Unterrichtung sei indes später nicht erfolgt.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage gegen den Haftungsbescheid abgewiesen. Es hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne sich nicht darauf berufen, dass er sich auf die für das Rechnungswesen verantwortlichen Mitarbeiter der KG verlassen habe und von diesen über Zahlungsunregelmäßigkeiten getäuscht worden sei; denn er habe sich selbst laufend davon überzeugen müssen, ob die Steuern auch abgeführt werden. Es fehle auch an Anhaltspunkten für ein mitwirkendes Verschulden des FA, welches die Inanspruchnahme des Klägers ermessensfehlerhaft erscheinen lassen könne. Ob die vom Kläger behauptete Zusage erteilt worden sei, könne dahinstehen; denn mitwirkendes Verschulden des FA mache die Inanspruchnahme nur dann ermessensfehlerhaft, wenn das Verschulden des Geschäftsführers gering sei. Der Kläger habe jedoch zumindest grob fahrlässig gehandelt. Er habe sich auch nicht darauf verlassen dürfen, dass ihn Mitarbeiter des FA anrufen würden, wenn fällige Steuern nicht gezahlt werden; er habe vielmehr auch mit Fehlern auf FA-Seite rechnen müssen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit der grundsätzliche Bedeutung, Divergenz und ein Verfahrensfehler geltend gemacht werden.
Entscheidungsgründe
Die noch nach den Vorschriften der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (FGO a.F.) zu beurteilende Beschwerde ist unbegründet. Keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 115 Abs. 2 FGO a.F.) liegt vor.
1. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sieht die Beschwerde sinngemäß in der Frage, ob ein Überwachungsverschulden eines Geschäftsführers vorliege, wenn er sich bei der Überwachung der Steuerentrichtung auf das zuständige FA verlässt und dieses fehlerhaft handelt. Diese Frage möchte die Beschwerde zum einen unter dem Gesichtspunkt einer Berücksichtigung eines Mitverschuldens des FA geklärt wissen ―und zwar unbeschadet dessen, dass dazu bereits Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vorliege, der jedoch das Schrifttum und Teile der Instanzrechtsprechung nicht beipflichteten―, zum anderen aber auch unter dem Gesichtspunkt, dass "ein Verschulden des FA bei der Entstehung des Schadens im Sinne einer 'Mitverursachung', etwa aufgrund … Nichteinhaltung einer Zusage …, durch Wegfall des Vorwurfs der groben Fahrlässigkeit" berücksichtigt werden müsse.
Dieses Vorbringen der Beschwerde rechtfertigt indes die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. nicht. Denn soweit sich hinsichtlich der Berücksichtigung des Verhaltens des FA bei der Erfüllung des Haftungstatbestandes des § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) oder bei der Haftungsinanspruchnahme nach § 191 AO 1977 in der Rechtsprechung des beschließenden Senats noch nicht hinreichend geklärte oder erneuter Überprüfung bedürftige Fragen ergeben mögen, würden diese sich jedenfalls in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen.
Nach der Rechtsprechung des Senats, welche die Beschwerde selbst angeführt hat, ist Verschulden des FA bei der Haftungsinanspruchnahme nur dann ―im Rahmen der Ermessensausübung― zu berücksichtigen, wenn das Verschulden des FA besonders schwer ins Gewicht fällt und das Verschulden des auf Haftung in Anspruch genommenen Geschäftsführers gering ist. Ob das Fehlen der letzten Voraussetzung im Streitfall eine Berücksichtigung eines Mitverschuldens des FA ausschlösse, weil der Kläger, wie das FG meint, grob fahrlässig gehandelt hat, muss zwar zweifelhaft erscheinen, weil ein noch weniger schwerwiegendes Verschulden des Klägers ―also der Vorwurf lediglich einfacher Fahrlässigkeit― eine Haftungsinanspruchnahme mangels der Voraussetzungen des § 69 AO 1977 von vornherein ausschlösse, sich also in diesem Falle die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit eines Mitverschuldens des FA nicht stellen würde.
Die Haftungsinanspruchnahme des Klägers ist aber, ohne dass dies der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfte, von Rechts wegen nicht zu beanstanden, weil ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden des FA im Streitfall offensichtlich nicht gegeben ist, wie das FG zutreffend erkannt hat. Das FA muss allerdings von ihm abgegebene Zusagen, auch wenn es sie abzugeben nicht verpflichtet war, einhalten. Selbst wenn jedoch das FA dem Kläger unter den von ihm dargestellten Umständen die von ihm behauptete Zusage gegeben haben sollte, ihn bei Ausbleiben pünktlicher Steuerzahlungen der KG zu unterrichten, könnte dies nicht dahin verstanden werden und konnte der Kläger dies nicht dahin verstehen, dass das FA ihn davon freistellen wollte, alle nach Lage der Dinge gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die zuständigen Mitarbeiter der KG von sich aus die steuerlichen Verpflichtungen der KG pünktlich erfüllen, und dass es sich mit der Zusage gleichsam der Möglichkeit begeben wollte, bei Ausbleiben der Steuerzahlung den Kläger persönlich ―im Haftungswege― in Anspruch zu nehmen. Die angebliche Zusage würde also dem Kläger nicht seine Verantwortlichkeit für die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen der KG bzw. der Überwachung ihrer Mitarbeiter abnehmen oder in dem Sinne erleichtern, dass er seine diesbezüglichen Anstrengungen zumindest einschränken und eine entsprechende Nachricht des FA über das Ausbleiben der Steuerzahlungen hätte abwarten können. Die angebliche Zusage konnte nämlich allenfalls bedeuten, dass das FA dem Kläger eine zusätzliche Unterstützung bei der Erfüllung seiner Geschäftsführeraufgaben gewähren wollte. Wenn es diese schließlich doch nicht, wie verabredet, gewährt haben sollte, würde ein solches Mitverschulden zumindest gegenüber den vom FG festgestellten völlig unzureichenden Überwachungsmaßnahmen des Klägers allenfalls so geringfügig ins Gewicht fallen, dass dies einen Ausschluss der Haftungsinanspruchnahme oder auch nur eine Reduzierung der Haftungsquote nicht rechtfertigen könnte.
Zu Unrecht versucht die Beschwerde, gleichsam um diesem Ergebnis zu entgehen, die Berücksichtigung des Verhaltens des FA von der Ebene der Verschuldensprüfung auf die einer "Mitverursachung" des Haftungsschadens zu verlagern, womit sie offenbar in Frage stellen will, ob die Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme überhaupt gegeben sind. Auch damit kann die Beschwerde aber keinen Erfolg haben. Wer seine Geschäftsführerpflichten (qualifiziert) schuldhaft verletzt, haftet für Steuerausfälle, sofern sein pflichtwidriges Handeln den Schaden des FA adäquat verursacht hat. Der Kläger hat nach den Feststellungen des FG seine Pflichten als Geschäftsführer der GmbH verletzt und dadurch ―adäquat kausal― den Steuerausfall des FA herbeigeführt. Das Verhalten des FA war dabei nicht "mitursächlich", sondern hätte allenfalls geeignet sein können, trotz der Erfüllung des Haftungstatbestandes seitens des Klägers ―nämlich der pflichtwidrigen Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der KG und der dadurch bewirkten nicht pünktlichen Entrichtung von Lohnsteuern― den (aufgrund des späteren Konkurses der KG endgültig gewordenen) Haftungsschaden doch noch abzuwenden, indem das FA den Kläger zur Erfüllung der vorgenannten Verpflichtungen anhält, d.h. auf die versäumte Abführung der angemeldeten und einbehaltenen Lohnsteuer hinweist. Die Nichterfüllung diesbezüglicher Obliegenheiten des FA könnte indes, anders als die Beschwerde meint, an der Erfüllung des Haftungstatbestandes seitens des Klägers nichts ändern, sondern allenfalls nach dem Rechtsgedanken des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches oder im Rahmen der Ermessensausübung nach § 191 AO 1977 bei der Bemessung der Haftungsquote berücksichtigt werden. Sie schlösse auch keineswegs ein erhebliches Verschulden des Klägers aus, weil es grob fahrlässig ist, sich unter den hier gegebenen Umständen ganz auf eine Zusage zu verlassen, die nur den eben dargestellten ―den Kläger von seinen Pflichten gerade nicht entbindenden― Inhalt haben konnte.
2. Der von der Beschwerde behauptete Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. liegt ebenfalls nicht vor. Das Urteil des FG weicht nicht von der Rechtsprechung des erkennenden Senats ab, soweit diese u.a. in dem von der Beschwerde angeführten Urteil vom 30. August 1994 VII R 101/92 (BFHE 175, 509, BStBl II 1995, 278) ausgesprochen hat, ein Geschäftsführer könne sich unter bestimmten Voraussetzungen in haftungsausschließender Weise Dritter zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten der von ihm vertretenen Gesellschaft bedienen. Denn der Kläger hat sich des FA nicht zur Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen der KG bedient, jedenfalls hat das FG dies nicht angenommen, sodass die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang angeführte Rechtsprechung des Senats von vornherein nicht einschlägig ist und das Urteil des FG auf einer Abweichung von ihr nicht beruhen kann.
3. Auch der gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO a.F.) liegt nicht vor. Das FG hat den Sachverhalt nicht unzureichend aufgeklärt. Soweit das FG ausführt, der Kläger habe die ihm zur Verfügung stehenden Mittel der KG "offenbar" dazu genutzt, Löhne ungekürzt auszuzahlen, ohne Feststellungen zur damaligen Liquiditätslage der Gesellschaft zu treffen ―was die Beschwerde in diesem Zusammenhang rügt―, ist weder dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.) noch sonst erkennbar, inwieweit es einer solchen Prüfung aus der rechtlichen Sicht des FG bedurft hätte. Denn dass der Kläger zu den unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkten im Haftungszeitraum Mai 1991 bis September 1992 Löhne ungekürzt auszahlen durfte, weil er angesichts der Liquiditätslage der Gesellschaft jeweils annehmen konnte, die darauf entfallenden Lohnsteuern zum Fälligkeitstermin begleichen zu können, hatte er selbst nicht einmal substantiiert behauptet.
Fundstellen
Haufe-Index 673068 |
BFH/NV 2002, 310 |