Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Verletzung des Rechts auf Gehör
Leitsatz (NV)
Das Recht auf Gehör ist nicht verletzt, wenn das FG zwar irrtümlich von der Existenz einer ‐ in Wahrheit nicht vorhandenen ‐Urkunde (Einzahlungsbeleg) ausgeht, der in der Urkunde angeblich bestätigte Umstand aber zwischen den Beteiligten unstreitig und deshalb nicht beweisbedürftig ist.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) berechtigt war, Hinzuschätzungen zu den von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erklärten Betriebseinnahmen vorzunehmen.
Die Klägerin ist eine GmbH, deren alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer in den Streitjahren (1991 bis 1993) Herr A war. Im Anschluss an eine bei ihr durchgeführte Betriebsprüfung erließ das FA Steuerbescheide, die ―soweit im vorliegenden Verfahren von Interesse― auf folgenden Prüfungsfeststellungen beruhen:
1. Im Jahr 1991 hatte die Klägerin nicht verbuchte Barzahlungen in Höhe von 9 500 DM an einen Bauunternehmer geleistet. Da in ihrer Buchführung keine entsprechenden Wertabgänge verzeichnet waren, ging der Prüfer davon aus, dass die betreffenden Mittel aus nicht erfassten Betriebseinnahmen der Klägerin stammten. Er nahm deshalb eine Zuschätzung vor, der die Klägerin mit der Begründung entgegentrat, dass sie keine in der Buchführung nicht erfassten Betriebseinnahmen erzielt habe.
2. Am 5. Januar 1993 war auf ein Girokonto der Klägerin ein Betrag von 12 500 DM bar eingezahlt worden. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) befindet sich in den Prüfungsakten eine Kopie des Einzahlungsbelegs, die nicht erkennen lässt, wer der Einzahler war oder aus welchem Grund die Einzahlung erfolgte. Die Klägerin gab an, dass es sich um ein Darlehen der Ehefrau des A gehandelt habe. Demgegenüber ging der Prüfer im Anschluss an weitere Ermittlungen davon aus, dass die Einzahlung aus nicht verbuchten Bareinnahmen der Klägerin stammte.
Das FG hat die Klage abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Mit ihrer hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin Divergenz und Verfahrensmängel geltend. Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist hinsichtlich der Streitjahre 1991 und 1992 unzulässig und im Übrigen unbegründet:
1. Zu den Bescheiden wegen des Streitjahres 1992 enthält die Beschwerdebegründung keine inhaltlichen Ausführungen. Gleichwohl hat die Klägerin in der Beschwerdeschrift eine Aufhebung des FG-Urteils beantragt, ohne das Streitjahr 1992 hiervon auszunehmen. Der Senat muss deshalb davon ausgehen, dass sich die Nichtzulassungsbeschwerde auch gegen diesen Teil des angefochtenen Urteils richtet. Sie ist aber mangels jeglicher Darlegung von Gründen für eine Revisionszulassung (§ 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) unzulässig.
2. Soweit das Urteil des FG das Streitjahr 1991 betrifft, rügt die Klägerin ausschließlich eine Abweichung von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Eine solche liegt nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zu Grunde gelegt hat, der von einem ebenfalls tragenden abstrakten Rechtssatz einer BFH-Entscheidung abweicht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 17). Nicht ausreichend ist demgegenüber, dass das FG die sich aus einer BFH-Entscheidung ergebenden Rechtssätze unrichtig auf den konkreten Einzelfall angewandt hat.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO gestützt, so muss gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdeschrift die Divergenzentscheidung des BFH "bezeichnet" werden. Hierzu gehört nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung insbesondere, dass der Beschwerdeführer die einander widersprechenden Rechtssätze formuliert, die seiner Ansicht nach dem angefochtenen Urteil einerseits und der in Anspruch genommenen Divergenzentscheidung andererseits zu Grunde liegen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 63). Daran fehlt es im Streitfall:
Die Klägerin hat zwar zur Stützung ihrer Divergenzrüge zwei Urteile des BFH (vom 11. Februar 1999 V R 40/98, BFHE 188, 10, BStBl II 1999, 382, und vom 18. Dezember 1998 X R 49/98, BFH/NV 1999, 812) benannt. Sie hat aber weder diesen Entscheidungen zu Grunde liegende Rechtssätze noch einen solchen formuliert, der ihrer Ansicht nach vom FG aufgestellt worden ist. Ihre Beanstandung erschöpft sich vielmehr darin, dass das FG die vom BFH aufgestellten Anforderungen an die Begründung einer Schätzung verkannt habe. Damit aber macht sie lediglich eine inhaltliche Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils geltend, was zur Bezeichnung einer Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht ausreicht.
3. Hinsichtlich des Streitjahres 1993 macht die Klägerin geltend, dass dem FG ein Verfahrensmangel unterlaufen sei, auf dem das angefochtene Urteil beruhe (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Diesen Mangel sieht sie in einer Verletzung ihres Rechts auf Gehör. Damit kann sie jedoch im Ergebnis nicht durchdringen:
a) Der Anspruch auf Gehör geht im finanzgerichtlichen Verfahren insbesondere dahin, dass ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt sein darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO). Er ist mithin namentlich dann verletzt, wenn die Entscheidung des Gerichts auf der Verwertung von Unterlagen beruht, die weder in der mündlichen Verhandlung oder einem Erörterungstermin angesprochen worden sind noch sich in den den Beteiligten zugänglichen Akten befinden (BFH-Urteil vom 25. Mai 1999 VIII R 54/98, BFH/NV 1999, 1593). Ist einem Beteiligten nicht ausreichend Gehör gewährt worden, so wird von Gesetzes wegen vermutet, dass das Urteil auf diesem Mangel beruht (§ 119 Nr. 3 FGO). Diese Vermutung greift jedoch nicht, wenn die Verletzung des rechtlichen Gehörs sich nur auf einzelne Feststellungen bezieht, auf die es für die angefochtene Entscheidung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen konnte (BFH-Beschlüsse vom 8. April 1998 VIII R 32/95, BFH/NV 1999, 122, 123; vom 15. März 1999 VII B 182/98, BFH/NV 1999, 1229, 1230; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 11, m.w.N.).
b) Im Streitfall sieht die Klägerin eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör darin, dass das FG eine ―im Urteilstatbestand erwähnte― Kopie eines Einzahlungsbelegs berücksichtigt habe, deren Existenz ihr ―der Klägerin― unbekannt gewesen sei. Diese Rüge ist indessen unbegründet.
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob der genannte Beleg sich tatsächlich ―wie der Urteilstatbestand besagt― in den Betriebsprüfungs-Akten befindet oder ob ―wie das FA in seiner Beschwerdeerwiderung angegeben hat― der Prüfer eine Kopie des von ihm vorgefundenen Einzahlungsbelegs gar nicht gefertigt hat. In beiden Fällen kann die Klägerin in ihrem Recht auf Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden sein:
aa) War der Beleg Bestandteil der Akten, so war er der Klägerin im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens zugänglich. Das FA hatte dem FG die gesamten Akten ―einschließlich der Prüfungsakten― mehr als sieben Monate vor der mündlichen Verhandlung übersandt, wovon das FG die Klägerin alsbald in Kenntnis gesetzt hatte. Es war der Klägerin deshalb ohne weiteres möglich, rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung die Akten einzusehen und den etwa hierin befindlichen Einzahlungsbeleg zur Kenntnis zu nehmen. Sie musste damit rechnen, dass das FG den gesamten Akteninhalt auswerten würde; wenn sie sich über diesen nicht zuvor Gewissheit verschaffte, geht dies zu ihren Lasten. Insbesondere war das FG nicht verpflichtet, seinerseits ausdrücklich darauf hinzuweisen, welche Bestandteile der Akten es zu verwerten gedachte. Der Klägerin war vielmehr durch die Möglichkeit der Akteneinsicht (§ 78 Abs. 1 Satz 1 FGO) in ausreichender Form Gehör gewährt.
bb) War hingegen der Beleg in den Akten nicht enthalten, dann wäre zwar die entsprechende Angabe im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils unrichtig. Hieraus würde sich jedoch nur dann ein zur Revision führender Verfahrensmangel ergeben, wenn zumindest die Möglichkeit bestünde, dass das FG seine Entscheidung auf das Vorliegen des Belegs gestützt hat. Diese Möglichkeit besteht im Streitfall nicht:
Das FG hat zwar im Tatbestand seines Urteils den in Rede stehenden Beleg erwähnt. In den Entscheidungsgründen ist es indessen ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Einzahlung des Betrags von 12 500 DM "unstreitig" sei. Es hat mithin nicht etwa den Beleg als Beweismittel für eine streitige Tatsache herangezogen, sondern vielmehr angenommen, dass es eines Beweises in diesem Punkt gar nicht bedürfe. In Übereinstimmung damit hat auch die Klägerin nicht etwa geltend gemacht, dass die Einzahlung in Wahrheit nicht erfolgt sei; sie geht vielmehr erklärtermaßen ebenfalls davon aus, dass die dahin gehende Feststellung des Prüfers zutrifft und dass nur der wirtschaftliche Hintergrund der Einzahlung aufklärungsbedürftig ist. Ist aber die im Prüfungsbericht festgehaltene Einzahlung von keinem Beteiligten in Zweifel gezogen worden, dann ist es erkennbar unerheblich, ob sich in den Behördenakten zusätzlich ein Einzahlungsbeleg befindet. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass das FG unabhängig von dem Vorliegen eines solchen Belegs die Tatsache der Einzahlung als vorgegeben angesehen hätte und lediglich dem Vortrag der Klägerin zum Vorliegen eines Darlehensvertrags nachgegangen wäre. Die Würdigung dieses Vortrags wurde indessen durch die Annahme, dass ein Einzahlungsbeleg vorliege, nicht berührt. Unter diesen Umständen ist ausgeschlossen, dass das FG ohne die von der Klägerin beanstandete Feststellung zu einem abweichenden Ergebnis gelangt wäre. Daher kann die Rüge einer Gehörsverletzung mangels Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensmangels nicht durchgreifen (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 119 Rz. 14, m.w.N.).
Zu demselben Ergebnis führt die Überlegung, dass die Klägerin durch die ggf. vorliegende fehlerhafte Unterstellung des FG keiner Vortragsmöglichkeit beraubt worden ist. Denn wenn sie ―was ihrer Ansicht nach geboten gewesen wäre― frühzeitig auf die angebliche Existenz des Belegs hingewiesen worden wäre, hätte sie zwar darauf dringen können, den Beleg zur Einsicht zu erhalten. Spätestens dann wäre aber aufgefallen, dass es in den Steuerakten einen solchen Beleg nicht gab. Das war jedoch genau derjenige Erkenntnisstand, den die Klägerin ihrem eigenen Vortrag nach ohnehin hatte. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, was die Klägerin zusätzlich hätte vortragen können, wenn der Irrtum des FG schon vor oder in der mündlichen Verhandlung offenbar geworden wäre. Auch unter diesem Blickwinkel scheidet mithin, selbst wenn das FG irrtümlich und in nicht erkennbarer Weise von der Existenz eines Einzahlungsbelegs in den Prüfungsakten ausgegangen ist, die Annahme einer entscheidungserheblichen Gehörsverletzung im Ergebnis aus.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Fundstellen
Haufe-Index 508898 |
BFH/NV 2000, 1474 |