Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Vollziehung eines als Folgebescheid ergangenen Einkommensteuerbescheids: vorläufige Erstattung von Steuerabzugsbeträgen
Leitsatz (NV)
1. Zur Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines als Folgebescheid ergangenen Einkommensteuerbescheides durch das FG.
2. Die Aufhebung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides kann auch zur -- vorläufigen -- Erstattung von Steuerabzugsbeträgen (Lohnsteuer, Kapitalertragsteuer) sowie anzurechnender Körperschaftsteuer führen.
Normenkette
FGO § 69; AO 1977 § 218 Abs. 1 S. 1; EStG § 36 Abs. 1
Tatbestand
Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Antragsteller ist an einer Grundstücksgemeinschaft beteiligt, die im Streitjahr 1992 einen Werbungskostenüberschuß bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erzielte. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) erkannte diesen Werbungskostenüberschuß nur zum Teil an, setzte aber hinsichtlich des geltend gemachten Restbetrages die Vollziehung des gegenüber der Grundstücksgemeinschaft ergangenen Feststellungsbescheides aus. Dem Begehren der Antragsteller, im gleichen Umfang auch die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1992 auszusetzen, entsprach das FA nur insoweit, als sich aufgrund der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung der einbehaltenen Lohn- und Kapitalertragsteuer sowie der anzurechnenden Körperschaftsteuer -- einschließlich Solidaritätszuschlag -- eine Abschlußzahlung ergab; eine darüber hinausgehende Aufhebung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides lehnte das FA ab, weil diese zu einer Erstattung geführt hätte.
Das Finanzgericht (FG) gab dem bei ihm gestellten Antrag statt und hob die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1992 in dem von den Antragstellern begehrten Umfang auf.
Hiergegen wendet sich das FA mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde. Es beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses den Antrag auf Aufhebung der Vollziehung abzuweisen.
Die Antragsteller beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Nach § 69 Abs. 2, Abs. 3 Sätze 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen bzw. dessen Aufhebung anordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung bereits voll zogen ist. Wird, wie im Streitfall, die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt, ist von Amts wegen im entsprechenden Umfang auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen bzw. aufzuheben (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 4 FGO). Kommt das FA dem nicht nach, ist vorläufiger Rechtsschutz durch das FG zu gewähren (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 8. Juli 1982 IV B 6/82, BFHE 136, 190, BStBl II 1982, 660; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 69 Anm. 57).
2. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die zur Berücksichtigung der Aussetzung der Vollziehung des Feststellungsbescheides notwendige Aufhebung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1992 auch zu einer -- vorläufigen -- Erstattung von Steuern führen kann. Der Große Senat des BFH hat durch Beschluß vom 3. Juli 1995 GrS 3/93 (BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730) die Rechtsauffassung des vorlegenden X. Senats im Beschluß vom 23. Juni 1993 X B 134/91 (BFHE 172, 9, BStBl II 1994, 38) -- soweit die Rechtsfrage entscheidungserheblich war -- bestätigt. Danach kann die Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides auch insoweit aufgehoben werden, als sie zu einer -- vorläufigen -- Erstattung entrichteter Einkommensteuer- Vorauszahlungen führt; denn der einen Vorauszahlungsbescheid ablösende Einkommensteuerbescheid ist alleinige Grundlage für die Verwirklichung des Anspruches auf die mit Ablauf des Veranlagungszeitraumes entstandene Einkommensteuer (§ 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes, § 218 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) und das Einbehalten der für diesen Zeitraum als Vorauszahlungen entrichteten Beträge. Die Aufhebung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides bewirkt demzufolge, daß das aus diesem Bescheid abgeleitete Recht des FA, die vorausgezahlten und auf die Einkommensteuer angerechneten Beträge einzubehalten, suspendiert wird, so daß diese Beträge -- in dem durch § 69 Abs. 2 Satz 1 FGO begründeten Umfang -- zu erstatten sind (vgl. Beschluß in BFHE 178, 11, BStBl II 1995, 730, unter 2.). Aus diesen Erwägungen des Großen Senats ergibt sich, daß bei der Aufhebung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides -- ungeachtet struktureller Unterschiede -- nicht zwischen entrichteten Vorauszahlungen einerseits und Steuerabzugsbeträgen sowie anzurechnender Körperschaftsteuer andererseits zu differenzieren ist (ebenso BFH- Beschlüsse vom 25. Oktober 1995 VIII B 79/95 und vom 19. Dezember 1995 X B 229/94, BFH/NV 1996, 340 u. 548). Die Aufhebung der Vollziehung eines Einkommensteuerbescheides kann damit auch zur Erstattung der für Rechnung des Steuerschuldners einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer (vgl. BFH-Beschluß vom 19. Dezember 1995 X B 229/94) oder Kapitalertragsteuer sowie der anzurechnenden Körperschaftsteuer (vgl. BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1995 VIII B 79/95) einschließlich des Solidaritätszuschlages führen.
Fundstellen
Haufe-Index 421338 |
BFH/NV 1996, 674 |