Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an den EuGH: Vereinbarkeit von Art. 11 Abs. 1 EWGV 3665/87 mit dem Rechtsstaatsprinzip; Begriff der höheren Gewalt
Leitsatz (amtlich)
1. Ist Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 auch insoweit mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, als er eine Sanktion für den Fall vorsieht, dass der Ausführer ohne eigenes Verschulden eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat?
2. Auch bei bloßen nicht offenkundig unbegründeten Zweifeln an der Gültigkeit der Rechtsakte der Gemeinschaft ist der BFH zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs verpflichtet.
3. Der Begriff der höheren Gewalt umfaßt auch im Rahmen der Verhängung einer Verwaltungssanktion nicht jedes schuldlose Verhalten.
4. Kann Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 Buchst. a VO Nr. 3665/87 dahin ausgelegt werden, dass gutgläubig gemachte, auf falschen Informationen des Herstellers beruhende falsche Angaben des Erstattungsantragstellers grundsätzlich ein Fall höherer Gewalt sind, wenn dieser sie nicht oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb als falsch erkennen konnte?
Normenkette
EWGV 3665/87 Art. 11 Abs. 1; EGV 1222/94 Art. 7 Abs. 1; EGV 2988/95 Art. 2 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Hamburg (ZfZ 1999, 25) |
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat 1996 Schmelzkäse mit Ausfuhranmeldung unter der Marktordnungs-Warenlistennummer 0406 3039 9500 ausgeführt und dafür auf ihren Antrag vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt ―HZA―) Ausfuhrerstattung in Höhe von rd. … DM als Vorschuß erhalten. Die Untersuchung einer der Warensendung bei der Ausfuhr entnommenen Probe hat ergeben, dass die Ware, die Pflanzenfett enthielt, als Lebensmittelzubereitung der Marktordnungs-Warenlistennummer 2106 9098 0000 zuzuweisen ist. Da es sich dabei um eine Nicht-Anhang II-Ware handelt (heute: Nicht-Anhang I-Ware) und die Klägerin die deshalb für die Gewährung von Ausfuhrerstattung erforderliche Herstellererklärung über die Zusammensetzung der Ware nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1222/94 (VO Nr. 1222/94) der Kommission vom 30. Mai 1994 zur Festlegung der gemeinsamen Durchführungsvorschriften für die Gewährung von Ausfuhrerstattungen … (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 136/5) nicht abgegeben hat, forderte das HZA mit bestandskräftig gewordenem Bescheid die der Klägerin gewährte Ausfuhrerstattung zuzüglich 15 % zurück.
Mit weiterem, in diesem Verfahren streitigen Bescheid verlangte das HZA von der Klägerin die Zahlung einer Sanktion gemäß Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABlEG Nr. L 351/1, mit zahlr. Änd.), der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2945/94 (VO Nr. 2945/94) ―ABlEG Nr. L 310/57― eingefügt worden ist (s. heute Art. 51 der Verordnung (EG) Nr. 800/1999 der Kommission vom 15. April 1999 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ABlEG Nr. L 102/11). Nach dieser Vorschrift vermindert sich die Ausfuhrerstattung um einen Betrag in Höhe des halben Unterschieds zwischen der beantragten Erstattung und der für die tatsächliche Ausfuhr geltenden Erstattung, wenn festgestellt wird, dass ein Ausführer eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat; hat der Ausführer dabei vorsätzlich falsche Angaben gemacht, so beläuft sich der Verminderungsbetrag auf den doppelten Unterschiedsbetrag. Diese Sanktion entfällt jedoch in einer Reihe von in Unterabs. 3 aufgeführten Fällen, insbesondere im Falle höherer Gewalt.
Die von der Klägerin wegen des Sanktionsbetrages erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) ―unter Aufhebung des Sanktionsbescheides, soweit in diesem ein 15 %iger Zuschlag zu dem Verminderungsbetrag festgesetzt worden war― durch das in der Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1999, 25 veröffentlichte Urteil abgewiesen. Das FG ist der Auffassung, an der Rechtsgültigkeit der einschlägigen Sanktionsregelung bestehe kein Zweifel. Ein Fall höherer Gewalt liege nicht vor. Wenn der Hersteller des Schmelzkäses, wie die Klägerin behaupte, der Ware ―angeblich aufgrund einer Fehlinterpretation der Käseverordnung― ohne Wissen der Klägerin Pflanzenfett zugesetzt habe, sei dies ein normales, von der Klägerin zu tragendes Geschäftsrisiko. Sie müsse sich das Verschulden des Herstellers zurechnen lassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin. Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des FG, soweit in ihm die Klage abgewiesen worden ist, sowie den Sanktionsbescheid des HZA in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung über die Revision hängt in erster Linie davon ab, ob Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87, der allein die Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid bilden kann, gültig ist. Der beschließende Senat möchte diese Frage bejahen. Er ist der Auffassung, dass die Vorschrift entgegen der Meinung der Klägerin weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen das Diskriminierungsverbot verstößt. Von der Klägerin sind jedoch gegen die Rechtsgültigkeit der Sanktionsregelung Bedenken vorgetragen worden, die gewichtig genug sind, um nach Art. 234 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einzuholen.
1. Der angefochtene Bescheid hat in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 eine Rechtsgrundlage, sofern diese Vorschrift gültig ist. Denn die Klägerin hat eine höhere als die ihr zustehende Erstattung beantragt. Sie hat die Ausfuhrware einem Code der Erstattungsnomenklatur zugeordnet, dem sie aufgrund ihrer Beschaffenheit nicht zuzuordnen ist. Wäre die von der Klägerin in dem Erstattungsantrag vorgenommene Zuordnung der Ware zutreffend gewesen, hätte nämlich der Klägerin (die ihr als Vorschuß tatsächlich gewährte) Ausfuhrerstattung zugestanden, während es an einem Erstattungsanspruch bei der gebotenen Einreihung der Ausfuhrware als einer Lebensmittelzubereitung fehlt.
Die Klägerin meint zwar, ihr stehe trotz ihrer falschen Angaben in dem Erstattungsantrag sogar eine höhere als die von ihr beantragte Ausfuhrerstattung zu, da sie für die von ihr tatsächlich ausgeführte Lebensmittelzubereitung Erstattung nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 VO Nr. 1222/94 beanspruchen könne und der dafür geltende Erstattungssatz höher sei als der von ihr beantragte. Das trifft aber so nicht zu. Denn nach der vorgenannten Vorschrift kann zwar auch bei Fehlen der Herstellererklärung nach Art. 7 Abs. 1 VO Nr. 1222/94 unter Umständen eine Erstattung gewährt werden. Dies setzt jedoch zum einen einen ausdrücklichen Antrag voraus, der nicht gestellt worden ist und auch nicht mehr (nachträglich) dürfte gestellt werden können; ferner aber setzt es vor allem voraus, dass der Antragsteller den zuständigen Behörden zufriedenstellend nachweist, dass er die erforderlichen Informationen über die Herstellungsbedingungen der auszuführenden Ware nicht besitzt oder nicht liefern kann (Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 Halbsatz 1 VO Nr. 1222/94). Jedenfalls an dieser Voraussetzung fehlt es im Falle der Klägerin.
Der Tatbestand des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 VO Nr. 3665/87 ist demnach erfüllt. Die Klägerin hat in ihrem Erstattungsantrag eine unzutreffende Zuordnung der Ausfuhrware zur Erstattungsnomenklatur vorgenommen, also eine höhere als die ihr zustehende Erstattung beantragt. Überdies bestand eine Verpflichtung der Klägerin zu Angaben über die Tarifierung der Ausfuhrware, welche sich eindeutig aus Art. 3 Abs. 5 Satz 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 ergibt. Diese Verpflichtung der Klägerin beschränkte sich nicht darauf, Angaben nach bestem eigenen Wissen zu machen, und sie besteht ungeachtet möglicherweise weniger strenger Pflichten bei einer bloßen Zollanmeldung.
2. Das HZA hatte demnach die in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 vorgesehene Sanktion gegen die Klägerin zu verhängen, sofern nicht die Voraussetzungen erfüllt sein sollten, unter denen die in dieser Bestimmung geregelte Sanktion entfällt. Der beschließende Senat teilt jedoch die Auffassung des HZA, dass kein Fall höherer Gewalt i.S. des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 erster Spiegelstrich (später Buchst. a, vgl. Verordnung (EWG) Nr. 495/97, ABlEG Nr. L 77/12) VO Nr. 3665/87 vorliegt. Auch die Anwendung des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 dritter Spiegelstrich (Buchst. c) VO Nr. 3665/87 (offensichtlicher, von der Behörde anerkannter Irrtum im Zusammenhang mit der beantragten Erstattung) kommt nicht in Betracht.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs trägt der Begriff der höheren Gewalt im Bereich der Agrarverordnungen zwar der besonderen Natur der öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen den Wirtschaftsteilnehmern und der Verwaltung sowie der Zweckbestimmung dieser Regelungen in der Weise Rechnung, dass er nicht auf eine absolute Unmöglichkeit beschränkt ist; er sei vielmehr im Sinne von ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen zu verstehen, die vom Willen des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers unabhängig sind und deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nur um den Preis unverhältnismäßiger Opfer vermeidbar gewesen wären (vgl. zuletzt EuGH-Urteile vom 15. Dezember 1994 Rs. C-136/93, EuGHE 1994, I-5757, und vom 13. Oktober 1993 Rs. C-124/92, EuGHE 1993, I-5061). Der Begriff der höheren Gewalt umfasst danach nicht jedes schuldlose Verhalten. Insbesondere hat der Gerichtshof in seiner bisherigen, zum Begriff der höheren Gewalt ergangenen Rechtsprechung die Nichterfüllung vertraglicher Pflichten eines Geschäftspartners des Ausführers nicht als ein unvorhersehbares und ungewöhnliches Ereignis gewertet, sondern von dem Marktteilnehmer verlangt, geeignete Vorkehrungen gegen ein solches Verhalten zu treffen, indem er entsprechende Klauseln in den Vertrag mit seinem Geschäftspartner aufnimmt oder eine besondere Versicherung abschließt (EuGH-Urteile vom 27. Oktober 1987 Rs. 109/86, EuGHE 1987, 4319, und vom 9. August 1994 Rs. C-347/93, EuGHE 1994, I-3933). Der Gerichtshof hat infolgedessen nicht einmal bei einem betrügerischen Verhalten des Vertragspartners des Exporteurs höhere Gewalt anerkannt (EuGH-Urteile in EuGHE 1994, I-3933, und vom 8. März 1988 Rs. 296/86, EuGHE 1988, 1491). Umso weniger kann die nicht vertragsgemäße (bzw. eine lediglich den vom Ausführer stillschweigend als selbstverständlich unterstellten Anforderungen nicht genügende) Beschaffenheit einer von einem Dritten hergestellten Ware für den Ausführer einen Fall höherer Gewalt darstellen. Etwas anderes könnte nach Auffassung des beschließenden Senats auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs allenfalls dann angenommen werden, wenn der Hersteller seinerseits von höherer Gewalt betroffen ist, z.B. weil er den für die fehlende Erstattungsfähigkeit der Ware ursächlichen Mangel durch zumutbare Vorkehrungen bei der Steuerung und Überwachung des Produktionsprozesses nicht hätte verhindern können oder weil er einem unvermeidbaren Rechtsirrtum erlegen ist (hier etwa: weil das Herstellerwerk im Irrtum darüber sein konnte, dass der Zusatz von Pflanzenfett eine andere Tarifierung des Schmelzkäses zur Folge hat). Ein solcher Sachverhalt liegt aber nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin nicht vor.
b) Ein Fall des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 dritter Spiegelstrich (Buchst. c) VO Nr. 3665/87 ist ebenso wenig gegeben. Der Irrtum der Klägerin bei der tariflichen Einordnung der Ausfuhrware war zumindest nicht "offensichtlich". Das HZA hat vielmehr die wahre Beschaffenheit der ausgeführten Ware erst mit Hilfe aufwendiger lebensmittelchemischer Untersuchungen feststellen können und die Klägerin selbst hat sie angeblich zunächst nicht gekannt.
3. Der beschließende Senat müßte daher die Revision zurückweisen, wenn Art. 11 VO Nr. 3665/87 gültig ist und folglich im Falle der Klägerin angewendet werden muß; hingegen müßte er den angefochtenen Sanktionsbescheid aufheben, wenn die vorgenannte Regelung gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen die Grundrechte, verstoßen sollte, welche (ungeschriebener) Bestandteil der gemeinschaftlichen Rechtsordnung sind (vgl. statt aller EuGH-Urteil vom 18. November 1987 Rs. 137/85, EuGHE 1987, 4587).
Der beschließende Senat hält einen solchen Verstoß aus folgenden Gründen nicht für gegeben:
a) Die streitige Verminderung der Erstattung um den hälftigen Differenzbetrag zwischen der beantragten und der tatsächlich geltenden Erstattung bzw. die Erhebung eines entsprechenden Verminderungsbetrages ist keine "Strafe" (ebenso schon österreichischer Verwaltungsgerichtshof, Entscheidungen vom 18. Oktober 1999, Zl. 98/17/0257 - 7 und 0297 - 6).
Mit Hilfe der streitigen Verminderung der Erstattung wird zwar keine von dem Ausführer zu Unrecht in Anspruch genommene öffentliche Leistung wiedereingezogen oder ein sonstiger ihm in irgendeiner Weise zugewachsener Vorteil ausgeglichen, und sei es auch nur in pauschalierender und typisierender Form, wie es Gegenstand der Urteile des EuGH vom 5. Februar 1987 Rs. 288/85 (EuGHE 1987, 611) oder vom 12. Juli 1990 Rs. C-155/89 (EuGHE 1990, I-3265) war. Die Verminderung hat also keinerlei Restitutionszweck. Wie die Erwägungsgründe der VO Nr. 2945/94 bereits selbst klarstellen, verfolgt Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 vielmehr das Ziel, unabhängig von dem ggf. ohnehin eintretenden Verlust einer Ausfuhrerstattung dem Ausführer einen finanziellen Nachteil aufzuerlegen, um ihn davon abzuschrecken, künftig falsche Angaben bei der Beantragung von Ausfuhrerstattung zu machen und dadurch die finanziellen Interessen der Gemeinschaft und die rechtmäßige Durchführung des Regimes der betroffenen gemeinsamen Marktorganisationen zu gefährden.
Aus der abschreckenden Wirkung der Verminderung oder aus der Höhe des Verminderungsbetrages, der im Falle des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 im Verhältnis zu dem vom Ausführer zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorteil erheblich ist, ergibt sich nichts dafür, dass die fragliche Verminderung der Erstattung Strafcharakter hätte. Auch Strafsanktionen sollen zwar von einem bestimmten Verhalten abhalten; hieraus folgt jedoch nicht, dass eine Sanktion mit Abschreckungszweck wegen dieses Zweckes eine Strafsanktion ist (s. schon die Schlußanträge des Generalanwalts in der Rs. C-240/90, EuGHE 1992, I-5383) oder dass sie es jedenfalls dann ist, wenn sie wegen ihrer Schwere tatsächlich wirkungsvoll abschreckt; allenfalls mag insbesondere die Androhung einer bloßen Bagatellsanktion einen gewissen Anhaltspunkt dafür bieten, dass es sich nicht um eine Strafe handelt (vgl. u.a. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte ―EGMR―, Urteile vom 21. Februar 1984, Europäische Grundrechte Zeitschrift ―EuGRZ― 1985, 62, 67, und vom 27. August 1991 Nr. 33/1990/224/228, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1992, 2619).
Wesentlich für eine Strafsanktion ist ihr über die schlichte Abschreckung (Prävention) hinausgehender repressiver Zweck, nämlich gesellschaftlich-ethischer Missbilligung Ausdruck zu geben, d.h. ein Unwerturteil wegen der in der (Straf-)Tat sichtbar werdenden mangelnden Motivation für normgemäßes Verhalten auszusprechen. Denn Strafen sind repressive Sanktionen für vorwerfbare Rechtsgutsverletzungen, nicht rein präventive Maßnahmen zur Bekämpfung künftiger Rechtsgutsverletzungen. Das ist der Grund dafür, dass Strafen im Rechtsstaat, der die Menschenwürde achtet, subjektive Schuld voraussetzt (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG―, statt aller BVerfG-Beschlüsse vom 23. April 1991 1 BvR 1443/87, BVerGE 84, 82, und vom 15. Juni 1989 2 BvL 4/87, BVerfGE 80, 244). Deshalb ist die Höhe der Strafsanktion von der individuellen Vorwerfbarkeit des strafbaren Handelns abhängig und die gesetzliche Strafdrohung in der Regel nach der Schuldform (Absicht, Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit etc.) abgestuft (vgl. auch hierzu die Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O.).
Im Gegensatz hierzu ist die Verminderung der Erstattung nach Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87, wie die schon erwähnten Erwägungsgründe verdeutlichen, eine spezifische Handhabe für die Behörden, die ordnungsgemäße Verwaltung der öffentlichen Mittel der Gemeinschaft bei der Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen ―soweit diese Ausfuhrerstattungen vorsehen― sicherzustellen (vgl. EuGH-Urteil vom 27. Oktober 1992 Rs. C-240/90, EuGHE 1992, I-5383). Sie ist dazu bestimmt, die Exporteure zu äußersten Anstrengungen anzuhalten, damit ihre Angaben bei der Beantragung von Ausfuhrerstattung zutreffend sind und keine höhere Erstattung beantragt wird als für die Ausfuhr tatsächlich gilt. Ob die von Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 angedrohte Verwaltungssanktion bei einem objektiven Verstoß hiergegen im Einzelfall tatsächlich verhängt wird, ist von einem höchstpersönlichen Verschulden des Exporteurs unabhängig, worauf die Erwägungsgründe der VO Nr. 2945/94 ausdrücklich hinweisen. Der Charakter der Verminderung ähnelt daher mehr als dem einer Strafe dem eines Zwangsgeldes zur Erzwingung einer Unterlassung (s. hierzu und zu dem auch bei einer Zwangsgeldfestsetzung fehlenden Verschuldenserfordernis Senatsurteile vom 29. April 1980 VII R 4/79, BFHE 131, 425, BStBl II 1981, 110, und vom 2. Juni 1992 VII R 35/90, BFH/NV 1993, 46). Wie ein solches Zwangsgeld, aber auch eine Vertragsstrafe, mit der Sanktionen der hier strittigen Art bisweilen verglichen worden sind (vgl. Stellungnahme der Kommission in dem Verfahren des Gerichtshofs Rs. 117/83, EuGH-Urteil vom 25. September 1984, Rdnrn. 9 ff., EuGHE 1984, 3291), ist die Verminderung der Erstattung allein darauf angelegt, durch ihre Androhung eine Zuwiderhandlung gegen das rechtliche Gebot zu verhindern, nur die tatsächlich geltende Erstattung zu beantragen.
Ein ethisch-moralischer Vorwurf ist hingegen für die Verminderung der Erstattung nicht wesensbestimmend und wäre in den nicht seltenen Fällen allenfalls leichtester Fahrlässigkeit bei den falschen Angaben in dem Ausfuhrerstattungsantrag auch kaum gerechtfertigt. Es wäre zudem unverständlich, wenn solche Fälle leichtester Fahrlässigkeit mit einer so schwerwiegenden Sanktion (die Hälfte der zu Unrecht in Anspruch genommenen Erstattung) geahndet würden, wie sie Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 vorschreibt, und wenn dabei nicht einmal ein Unterschied zwischen unterschiedlichen Graden der Fahrlässigkeit und sogar ihrem völligen Fehlen gemacht würde. Gerade an dem Umstand, dass solche Differenzierungen nicht vorgenommen worden sind und das Verschulden des Erstattungsantragstellers in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 nicht vorausgesetzt wird, zeigt sich also, dass die Verminderung der Erstattung keine Brandmarkung eines dem Exporteur persönlich vorzuwerfenden Rechtsverstoßes darstellt, sondern dass die Verminderung lediglich durch ihre Androhung einem solchen entgegenwirken will. Dementsprechend hat auch der Gerichtshof schon in dem Urteil vom 17. Dezember 1970 Rs. 11/70 (EuGHE 1970, 1125) erkannt, dass eine Verwaltungssanktion, die den Wirtschaftsteilnehmer zu einem bestimmten rechtmäßigen Verhalten anhalten soll, keine Strafsanktion darstellt (vgl. u.a. auch Urteil des EuGH in EuGHE 1987, 4587).
Allerdings ist in den schon angeführten Erwägungsgründen u.a. von einer "Bestrafung" des Ausführers die Rede. Abgesehen davon, dass dies ein Verständnis der Verordnung im Sinne der vorstehenden Erwägungen ohnehin nicht zwingend ausschließen würde, mag dies zum einen in einem weiteren, gleichsam untechnischen Sinne des Begriffes "Strafe" gemeint sein und lediglich zum Ausdruck bringen sollen, dass bei Verhängung der Sanktion ein Übel zugefügt wird; vor allem aber mag es hinsichtlich der in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b VO Nr. 3665/87 vorgeschriebenen verschärften Sanktion im Falle eines vorsätzlich falschen Erstattungsantrages zutreffend sein und sich darauf beziehen.
b) Die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 (VO Nr. 2988/95) des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 312/1) schreibt vor, dass verwaltungsrechtliche Sanktionen u.a. "entsprechend … dem Grad des Verschuldens" (Art. 2 Abs. 3) festgelegt werden. In Art. 5 Abs. 1 sieht sie nur dann verwaltungsrechtliche Sanktionen vor, wenn Unregelmäßigkeiten vorsätzlich oder fahrlässig verursacht werden. Indes ermöglicht dies dem beschließenden Senat keine Beurteilung der Gültigkeit der durch die Kommissionsverordnung 1222/94 ―also vor jener Verordnung― geschaffenen schuldunabhängigen Sanktionsregelung des Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87. Denn nach Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 2988/95 werden Sanktionen "unbeschadet der Bestimmungen der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bestehenden sektorbezogenen Regelungen", zu denen die hier strittige Sanktionsregelung gehört, eingeführt; solche bereits bestehenden sektorbezogenen Sanktionsregelungen sind also durch die VO Nr. 2988/95 nicht gleichsam pauschal außer Kraft gesetzt worden, auch wenn sie den Maßgaben dieser Verordnung nicht entsprechen, sondern schärfere Sanktionen vorsehen.
c) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind Verwaltungssanktionen, deren Androhung lediglich zu rechtmäßigem Verhalten anhalten soll, grundsätzlich ungeachtet des Schuldprinzips zulässig. Der Gerichtshof hat sie am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemessen (ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, vgl. z.B. Urteile vom 20. Februar 1979 Rs. 122/78, EuGHE 1979, 677; vom 18. Januar 1990 Rs. C-345/88, EuGHE 1990, I-159; vom 23. November 1993 Rs. C-365/92, EuGHE 1993, I-6071; vom 17. Juli 1997 Rs. C-354/95, EuGHE 1997, I-4559, und vom 29. Januar 1998 Rs. C-161/96, EuGHE 1998, I-281). Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 verstößt nach Auffassung des beschließenden Senats nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
aa) Ein solcher Verstoß ergibt sich nicht schon daraus, dass Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a VO Nr. 3665/87 kein Verschulden voraussetzt, sondern dass sich seine Sanktionsdrohung auch gegen den redlichen und umsichtigen Exporteur richtet.
Die den Exporteuren durch Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 abgeforderten Anstrengungen gehen zwar über das Maß dessen hinaus, was von ihnen nach einem strafrechtlichen Schuldmaßstab erwartet werden könnte, und finden ―von anderen, hier von vornherein nicht in Betracht zu ziehenden Fallgruppen des Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 VO Nr. 3665/87 abgesehen― ihre Grenze im Wesentlichen erst darin, dass von den Exporteuren nicht verlangt wird, dass sie Vorkehrungen auch gegen ungewöhnliche oder unvorhersehbare Ereignisse treffen, die von ihrem Willen unabhängig sind und deren Folgen nur um den Preis unverhältnismäßiger Opfer vermeidbar wären (Fall höherer Gewalt). Es verstößt aber nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, von einem Wirtschaftsteilnehmer, der für ein Ausfuhrgeschäft öffentliche Mittel in Anspruch nehmen will, zu verlangen, dass er gegen die vorhersehbaren und üblichen Risiken eines solchen Geschäftes alle erdenklichen Vorkehrungen trifft, und es verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Enttäuschung dieser Erwartung unabhängig von einer Feststellung von Schuld zu sanktionieren (vgl. auch EuGH-Urteil in EuGHE 1993, I-6071). Ob ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vorliegt, müßte nämlich schon deshalb fraglich sein, weil es dem Exporteur völlig freisteht, sich trotz der an ihn gerichteten Erwartung, bei Gefahr der Verminderung der Erstattung nach Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 nur die tatsächlich geltende Erstattung zu beantragen, auf dem Gebiet des Exporthandels mit durch Ausfuhrerstattungen subventionierten Marktordnungswaren wirtschaftlich zu betätigen (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE 1987, 4587; s. auch BVerfG-Beschluß vom 29. Mai 1974 2 BvL 52/71, BVerfGE 37, 271, 288). Entschließt sich ein Wirtschaftsteilnehmer um seines eigenen Vorteils willen an einem System öffentlicher Leistungen teilzuhaben, ist er gezwungen, sich den insofern aufgestellten Regeln, deren Bestandteil hier die streitige Sanktion ist, zu unterwerfen, ohne sich später wegen der Strenge jener Regeln beschweren zu können.
Diese Zusammenhänge würden verkannt, wenn Sanktionen der hier zu beurteilenden Art mit Verwaltungsstrafen oder solchen Sanktionen gleichgesetzt werden würden, die gegen jedermann wegen der Verletzung öffentlich-rechtlicher Bürgerpflichten angedroht werden (zur Geltung des Schuldprinzips wie für sog. Kriminalstrafen vgl. insofern BVerfG-Entscheidung vom 25. Oktober 1966 2 BvR 506/63, BVerfGE 20, 323; s. auch BVerfG-Entscheidung in BVerfGE 80, 244) und bei denen sich allerdings aus der "Freiwilligkeit" des Eingehens solcher Verpflichtungen bzw. der (meist ohnehin nur theoretisch gegebenen) Vermeidbarkeit der tatsächlichen Lage, die sie entstehen läßt, kein entscheidender Gesichtspunkt für ihre Verhältnismäßigkeit ergibt. Anders als es bei solchen Sanktionen der Fall ist, ist aber der Exporteur von Marktordnungswaren in ein besonderes Verhältnis zur Verwaltung eingetreten. Er erwartet von ihr aufgrund seiner Erklärung, bestimmte Waren ausführen zu wollen, im Gegenzug oftmals erhebliche finanzielle Leistungen. Das Rechtsstaatsprinzip verbietet in einem solchen Fall nicht, von dem Leistungsempfänger nicht nur die ihm subjektiv mögliche Sorgfalt bei der Erfüllung der selbst übernommenen Verpflichtungen zu verlangen, sondern ihm eine objektive Einstandspflicht dafür aufzuerlegen und dem durch die Androhung einer Sanktion Nachdruck zu verleihen. Wenn die Klägerin sinngemäß meint, der schuldlos handelnde Exporteur sei für die Wirkungen einer solchen Sanktionsdrohung von vornherein nicht empfänglich, diese sei also unsinnig und deshalb rechtsstaatswidrig, so ist das nur in den Fällen absoluter Unmöglichkeit der Erfüllung der dem Exporteur in dem Erstattungsrechtsverhältnis obliegenden Pflichten richtig. In solchen Fällen wird indes eine Sanktion auch nicht verhängt, weil es sich um einen Fall höherer Gewalt handeln würde. Über diesen Fall absoluter Unmöglichkeit sogar noch hinausgehend wird im Übrigen von der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wie dargelegt, auch bei sonstigen ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Ereignissen höhere Gewalt anerkannt, so dass eine Sanktion unter Umständen auch dann nicht verwirkt ist, wenn der Exporteur in seinem Erstattungsantrag in an sich vermeidbarer Weise falsche Angaben gemacht hat, die jedoch auf ungewöhnlichen und nicht vorhersehbaren Ereignissen beruhen. Eine Zurechnung fremder Schuld, die bei einer Sanktion auf Bedenken stoßen müßte, sieht die VO Nr. 3665/87 ―entgegen dem Gedankengang des FG― nicht vor.
bb) Außer diesen Überlegungen, aus denen sich die Zulässigkeit der Androhung einer verschuldensunabhängigen Verwaltungssanktion ergibt, wie sie hier strittig ist, spricht für die Ausgestaltung des Sanktionsmechanismus des Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 als einer verschuldensunabhängigen Verminderung der Erstattung zusätzlich, dass dadurch der Zollbehörde der oftmals nicht leicht und eindeutig zu führende Nachweis fahrlässigen Handelns des Exporteurs erspart wird bzw. bei Zulassung eines Entlastungsbeweises desselben zu erwartende Streitigkeiten darüber von vornherein vermieden werden und dadurch die Verwaltung der Ausfuhrerstattungen vereinfacht wird.
cc) Dass die in Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 vorgesehene Sanktion nicht geeignet wäre, Exporteure zu äußerster Sorgfalt bei der Beantragung von Ausfuhrerstattungen anzuhalten, oder dass es diesbezüglicher Maßnahmen der in Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 ergriffenen Art und Schwere nicht bedürfte, die Regelung also zum Erreichen des angestrebten Zweckes nicht erforderlich wäre (vgl. hierzu u.a. EuGH-Urteil in EuGHE 1997, I-4559), läßt sich nicht ernsthaft behaupten. Denn dass eine ernstliche Gefährdung der Interessen der Gemeinschaft allein schon durch falsche Angaben in einem Erstattungsantrag eintritt, ist insbesondere deshalb zu befürchten, weil die Erfahrung lehrt, dass falsche Angaben von den zuständigen Behörden oftmals nicht aufgedeckt werden können und der Ausführer folglich eine ihm nicht zustehende Ausfuhrerstattung erhält. Allein durch die bloße Möglichkeit der Rückforderung zu Unrecht gewährter Erstattungen kann dies nicht verhindert werden. Da die Gewährung von Ausfuhrerstattung vielmehr im Allgemeinen weitgehend auf den Angaben des Ausführers über die Beschaffenheit bzw. die Zuordnung der Ware in der Marktordnungs-Warenliste beruht und eine eingehende Kontrolle dieser Angaben für die Verwaltung vielfach unmöglich ist und erst recht nicht im Interesse des Exporthandels läge, durfte der gemeinschaftliche Gesetzgeber scharfe Sanktionen gegen falsche Angaben des Erstattungsantragstellers androhen, ohne dadurch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu verletzen; denn jedenfalls konnte er in vertretbarer Würdigung der durch zahlreiche "Unregelmäßigkeiten" gekennzeichneten tatsächlichen Verhältnisse befürchten, anders diese Unregelmäßigkeiten nicht ausreichend bekämpfen zu können (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Oktober 1995 Rs. C-104/94, EuGHE 1995, I-2983).
Die Gültigkeit der Sanktionsregelung ist auch davon unabhängig, ob die im System der gemeinsamen Marktorganisationen, sofern Ausfuhrerstattungen vorgesehen sind, wichtige und im Allgemeinen unverzichtbare Funktion der Exporthandelswirtschaft und das öffentliche Interesse an einem funktionierenden Außenhandel mit Marktordnungswaren es zulassen, auch schuldlos falsche oder auf allenfalls leichter Fahrlässigkeit beruhende Erstattungsanträge ―etwa auch solche, die auf einem Fehler bei der oftmals von schwierigen und rechtlich zweifelhaften Fragen abhängigen Tarifierung der Ware beruhen― mit der in Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 vorgeschriebenen scharfen Sanktion zu belegen. Denn dies ist keine Frage der Eignung und Notwendigkeit der Sanktion zur Erreichung des von der Kommission angestrebten Ziels, die Beantragung höherer als der geltenden Erstattung soweit wie möglich zu verhindern, sondern es betrifft die Rechtfertigung dieses Zieles selbst; es liegt indes allein in dem weiten wirtschaftspolitischen Ermessen des gemeinschaftlichen Verordnungsgebers und seiner politischen Verantwortung, die Bedeutung solcher Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik bzw. der bei ihrer Verfolgung möglicherweise eintretenden Beeinträchtigungen anderer Gemeinwohlbelange (hier: Förderung des Exports von Marktordnungswaren) zu bewerten.
dd) Endlich dürfte auch die Höhe der Sanktion ―die Hälfte der Differenz zwischen der beantragten und der tatsächlich geltenden Erstattung, im Streitfall mithin die Hälfte der von der Klägerin zurückgezahlten Erstattung― nicht als unverhältnismäßig von Rechts wegen zu beanstanden sein. Wie bereits ausgeführt, kann sich über die Strenge des Regimes der Ausfuhrerstattungen nicht beschweren, wer sich auf dieses um seines eigenen Vorteils willen aus freien Stücken eingelassen hat. Zudem obliegt es in erster Linie der Einschätzung des Gesetzgebers ―hier: der Kommission―, ob die von ihm für notwendig gehaltene Abschreckungswirkung nur ―wie geschehen― durch drakonische Sanktionsdrohungen erzielt oder auch durch mildere Mittel erreicht werden kann. Da die Abschreckungswirkung desto intensiver ist ―der Erstattungsantragsteller also desto wirksamer zu Vorkehrungen gegen die unberechtigte Beantragung von Ausfuhrerstattung veranlaßt wird und desto umfangreichere Vorkehrungen zu treffen bereit sein wird―, je höher die ihm drohende Sanktion ist, könnte die Sanktionsandrohung wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot, das Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist, zwar keinen Bestand haben, wenn offenkundig und zweifelsfrei eine geringere Sanktion falsche Angaben in dem Erstattungsantrag vollständig ausschlösse oder doch die Gefahr solcher falscher Angaben so sehr verringern würde, dass es schlechterdings unverständlich wäre, dass eine darüber hinausgehende Sanktionsdrohung verhängt und ggf. gegenüber einem redlichen und umsichtigen Exporteur vollzogen wird. Dass dies der Fall ist, ist indes nicht festzustellen und wird auch von der Klägerin nicht nachvollziehbar belegt.
d) Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 missachtet nicht das Diskriminierungsverbot. Da er ―möglicherweise abgesehen von Betrugsfällen― keine schuldabhängige repressive Sanktion verhängt, sondern präventiv wirken soll, sind Form und Ausmaß des Verschuldens des Erstattungsantragstellers bzw. das gänzliche Fehlen persönlichen Verschuldens kein in der Natur der Sache liegendes Differenzierungskriterium für die Höhe der Sanktion; denn die Sanktionsdrohung will von subjektiv-vorwerfbar fahrlässigem Verhalten ebenso wie von sonstigen, lediglich objektiv falschen Angaben gleichermaßen abschrecken. Überdies würden, was berücksichtigt werden mußte, Differenzierungen in der Höhe der Sanktion den Vollzug der Sanktionsregelung nicht unbeträchtlich erschweren. Aus diesen Gründen eine ―weitere― Abstufung der Sanktion zu unterlassen, ist nicht willkürlich oder diskriminierend. Auch der Gerichtshof hat im Übrigen bei einer vergleichbaren Regelung einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot verneint (EuGH-Urteil in EuGHE 1997, I-4559).
4. Der beschließende Senat sieht sich nach Art. 234 Abs. 3 EG zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs verpflichtet. Der Senat hält die richtige Antwort auf die Frage der Gültigkeit des Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 nicht für offenkundig, so dass er nach den Grundsätzen, die der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 (EuGHE 1982, 3415) und vom 22. Oktober 1987 Rs. 314/85 (EuGHE 1987, 4199) aufgestellt hat, selbst die Gültigkeit jener Regelung feststellen könnte. Diese Grundsätze sind nach Ansicht des beschließenden Senats nicht nur bei Zweifeln über die richtige Auslegung des Gemeinschaftsrechts anzuwenden, für die sie der Gerichtshof formuliert hat, sondern gelten auch bei Zweifeln an der Gültigkeit der Rechtsakte der Gemeinschaft, an deren Klärung für die gesamte Gemeinschaft, die wirkungsvoll nur vom Gerichtshof vorgenommen werden kann, ein noch viel größeres Interesse besteht als bei Auslegungsfragen. Überdies wirft der Fall der Klägerin Fragen zu Inhalt und Reichweite der gemeinschaftlichen Grundrechte auf, deren Klärung durch den Gerichtshof geboten ist.
5. Sollte der Gerichtshof die Gültigkeit des Art. 11 Abs. 1 VO Nr. 3665/87 grundsätzlich bejahen, ersucht der beschließende Senat um Klarstellung, ob ―möglicherweise auch zur Vermeidung eines anderenfalls eintretenden Widerspruchs zu den Grundrech-ten des Marktbürgers― bei der Anwendung dieser Vorschrift höhere Gewalt anzunehmen ist, wenn der Ausführer bei seinem Antrag in gutem Glauben war, weil er die Ausfuhrware nicht selbst hergestellt hat, von ihrer wirklichen Beschaffenheit keine Kenntnis hatte und sich eine solche Kenntnis auch nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb hätte verschaffen können, die ihm nicht möglich oder zumindest nicht zumutbar waren.
Der beschließende Senat hält eine dahin gehende Auslegung des Begriffes der höheren Gewalt zwar schon dem Begriffe nach an sich für kaum möglich. Auch aus der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs vermag er für sie keinen Anhaltspunkt zu gewinnen.
Jedoch hat der Gerichtshof in seinen Urteilen vom 12. Mai 1998 Rs. C-366/95 (EuGHE 1998, I-2661) und vom 16. Juli 1998 Rs. C-298/96 (EuGHE 1998, I-4767) erkannt, wo das Gemeinschaftsrecht die Rückforderung gemeinschaftsrechtlicher Vergünstigungen nicht selbst näher regele, lasse es nationale Regelungen zu, die u.a. auf den guten Glauben des Empfängers abstellen; nach dem Urteil in EuGHE 1998, I-2661 dürfen solche Vorschriften, ohne dass die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts dadurch unzulässig beeinträchtigt würde, dahin ausgelegt werden, dass ein Handelsunternehmen in gutem Glauben handelt, wenn es über eine Ware, an deren Herstellungsprozess es nicht beteiligt war, aufgrund ihm von einem Herstellungsbetrieb gemachter, durch eigene Kontrollen nicht überprüfter Angaben unzutreffende Erklärungen abgibt. Der Ausführer dürfe sich hinsichtlich der Übereinstimmung der Ware mit deren Beschreibung in der zum Zweck der Erlangung einer Ausfuhrerstattung eingereichten Erklärung auf guten Glauben berufen, ohne dass dies im Allgemeinen von der Durchführung einer Kontrolle des Herstellungsprozesses abhängig gemacht werden müsse.
Diese Ausführungen des Gerichtshofs betreffen zwar die Rückforderung einer Leistung der Gemeinschaft und stellen vor allem klar, dass dem nationalen Recht vom Gemeinschaftsrecht insoweit keine Vorgaben gemacht werden, die den Gutglaubenschutz ausschließen. Die Entscheidung besagt nichts über die Voraussetzungen, unter denen das Gemeinschaftsrecht selbst objektiv zu Unrecht gewährte Leistungen zurückverlangt. Sie sind deshalb auf die Verhängung einer Sanktion, um die es im Falle der Klägerin geht, nicht ohne weiteres in dem Sinne übertragbar, dass auf falschen Informationen des Herstellers beruhende falsche Angaben des Erstattungsantragstellers grundsätzlich als Fall höherer Gewalt anzusehen wären. Die Ausführungen des Gerichtshofs sind aber mitunter dahin verstanden worden, er wolle von seiner bisherigen stringenten und strengen Rechtsprechung zur Bedeutung des Begriffs höhere Gewalt abrücken oder werde dies jedenfalls im Sanktionsrecht tun, in dem keine strengeren Anforderungen gelten könnten als bei der Rückforderung zu Unrecht gewährter Leistungen der Gemeinschaft nach nationalem Recht.
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 11 Abs. 1 Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 gültig, soweit er eine Sanktion vorsieht, auch wenn der Ausführer ohne eigenes Verschulden eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat?
2. Für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist: Kann Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 3 erster Spiegelstrich Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 dahin ausgelegt werden, dass gutgläubig gemachte, auf falschen Informationen des Herstellers beruhende falsche Angaben des Erstattungsantragstellers grundsätzlich ein Fall höherer Gewalt sind, wenn dieser sie nicht oder nur mit Hilfe von Kontrollen im Herstellungsbetrieb als falsch erkennen konnte?
Fundstellen
Haufe-Index 425429 |
BFH/NV 2000, 1059 |
BFHE 192, 377 |
BFHE 2001, 377 |
BB 2000, 1268 |
BB 2000, 1286 |
DB 2000, 1500 |
DStRE 2000, 833 |
HFR 2000, 640 |
StE 2000, 372 |