Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Die Tatsache, daß das FG einen Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung als sachlich unbegründet zurückgewiesen hat, rechtfertigt nicht die Ablehnung des Gerichts in der gleichen Zusammensetzung für die spätere Entscheidung in der Hauptsache.
2. Ein Ablehnungsgesuch kann grundsätzlich nicht auf die angebliche Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung gestützt werden.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat wegen Arrestanordnung vom 5. Februar 1992 Klage erhoben. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hatte zur Sicherung der Vollstreckung wegen Einkommensteuer 1982 bis 1985 den dinglichen Arrest in das Vermögen des Klägers angeordnet. Die Arrestanordnung wurde der Ehefrau des Klägers am 6. Februar 1992 in einem Umschlag mit dem Stempelaufdruck "Zentralfinanzamt Z" von einem Vollziehungsbeamten dieses FA übergeben. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Das Finanzgericht (FG) hat mit Beschluß vom 29. Januar 1993 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am FG A und der Richter am FG B und C den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung der Arrestanordnung zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 8. November 1993 lehnte der Kläger zunächst alle an diesem Beschluß mitwirkenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Das Ablehnungsgesuch beschränkte er dann auf die Ablehnung des Richters am FG B.
Er stützte das Ablehnungsgesuch darauf, daß sich das FG bei der Würdigung des Aussetzungsantrages weit über das erforder liche Maß hinaus sowohl in der Sachverhaltsdarstellung als auch in der rechtlichen Würdigung festgelegt habe. Es habe der vom Bundesfinanzhof (BFH) getroffenen Unterscheidung zwischen Absender und Aussteller eines Verwaltungsaktes keinerlei Bedeutung beigemessen. Die Ausführungen des FG zur Amtshilfe widersprächen der gesamten Literatur und Rechtsprechung. Mehrere zitierte Fundstellen träfen auf den vorliegenden Fall nicht zu. Aus diesen Gründen müsse beim Kläger der Eindruck entstehen, daß die im Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung zum Ausdruck gekommenen Argumente auf mangelnder Objektivität und Neutralität beruhten. Hierfür spreche auch der gemäß § 138 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vom Richter am FG B erlassene Kosten beschluß vom 21. Oktober 1993 wegen Aussetzung der Vollziehung in Sachen Ein kommensteuer 1982 bis 1985, soweit der Ehefrau des Klägers entgegen den §§ 268 ff. der Abgabenordnung (AO 1977) die Kosten auferlegt worden seien.
Richter am FG B hat in seiner dienstlichen Äußerung erklärt, er halte sich nicht für befangen. Das FG wies ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters das Ablehnungsgesuch zurück.
Hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Kläger die Sachverhaltsdarstellung des FG in dem angefochtenen Beschluß wegen Richterablehnung rügt. Soweit dort ausgeführt werde, er habe in den Jahren 1982 bis 1985 Lieferungen vermittelt, habe er das Erzielen derartiger Einkünfte mit der Klagebegründung substantiiert bestritten. Aus dem Beschluß gehe auch nicht hervor, daß das behauptete Anschreiben des FA an das Zentralfinanzamt (ZFA) Z in Wirklichkeit von der unzuständigen Steuerfahndungsstelle stamme. Die Befangenheit des Gerichts im vorliegenden Klageverfahren werde dadurch indiziert, daß es sich im Gerichtsbescheid vom 19. Mai 1994 im Hauptsacheverfahren darauf festgelegt habe, der Verwaltungsakt könne nicht vom ZFA Z stammen. Demnach gehe das FG offenbar unumstößlich davon aus, daß der streitige Verwaltungsakt vom FA erlassen und deshalb hinsichtlich des Urhebers nicht unbestimmt sei.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist dabei, ob tatsächlich die Entscheidung durch Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele. Der Beteiligte muß von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabs Anlaß haben, Voreingenommenheit zu befürchten (ständige Rechtsprechung, z. B. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
2. Allein die Tatsache, daß das FG den Antrag des Klägers auf Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Arrest anordnung zurückgewiesen hat, kann die Ablehnung eines an diesem Beschluß beteiligten Richters nicht begründen. Es kann dabei dahinstehen, ob der Kläger in bezug auf eine beanstandete Kollegialentscheidung ein Rechtsschutzinteresse an der Ablehnung eines einzelnen an der Entscheidung mitwirkenden Richters haben kann.
a) Wenn Richter im Verfahren über den Aussetzungsantrag die in dem anhängigen Klageverfahren streitigen Fragen summarisch geprüft haben, so bedeutet dies nicht, daß dieselben Richter bereits deshalb bei der Entscheidung in der Hauptsache befangen sind (BFH-Beschluß vom 12. März 1971 III B 54/70, BFHE 101, 352, BStBl II 1971, 333). Anderenfalls wäre es unverständlich, daß der Gesetzgeber die Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in § 69 Abs. 3 FGO dem Gericht der Hauptsache übertragen hat.
b) Ein Ablehnungsgesuch kann grundsätzlich auch nicht auf die angebliche Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung gestützt werden. Denn das Ablehnungsverfahren soll nicht gegen unrichtige Rechtsansichten des Richters schützen. Hierfür stehen den Beteiligten die allgemeinen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Rechtsfehler können nur ausnahmsweise dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber dem ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BFH- Beschluß vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112, m. w. N.). Die Fehlerhaftigkeit muß ohne weiteres feststellbar und gravierend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH-Beschluß vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587).
c) Im Streitfall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß das FG den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Arrestanordnung aus unsachlichen Gründen abgelehnt hätte.
Das FG ist nach summarischer Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, nach Aktenlage könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß die Arrestanordnung von dem nach § 324 Abs. 1 AO 1977 zuständigen FA erlassen worden sei. Die Angabe des Vorstehers des FA im Kopf des Schriftstücks und im Tenor der Anordnung, die eigenhändige Unterzeichnung durch diesen Beamten und die Beifügung des Dienstsiegels des FA ließen dieses FA als erlassende Behörde eindeutig erkennen, so daß aus diesen Gründen eine Nichtigkeit der Arrest anordnung nicht gegeben sei (§ 119 Abs. 3 AO 1977). Die Arrestanordnung sei dem Kläger nach Aktenlage durch Zustellung gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 des Verwaltungszustellungsgesetzes -- VwZG --) im Wege der Ersatzzustellung an seine Ehefrau (§ 11 Abs. 1 VwZG) wirksam bekanntgegeben worden. Für die Wirksamkeit der Zustellung sei unerheblich, ob die Voraussetzungen eines Amtshilfeersuchens nach § 112 AO 1977 erfüllt seien. Es könne im Streitfall dahinstehen, ob die wirksame Arrestanordnung rechtswidrig gewesen sei, weil auch bei Rechtswidrigkeit eine Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung der Arrestanordnung nicht mehr in Betracht komme. Nach herrschender Meinung werde die Arrestanordnung mit der Über leitung in das Vollstreckungsverfahren gegenstandslos, wenn nach Anordnung des dinglichen Arrestes -- wie im Streitfall -- ein vollstreckbarer Steuerbescheid erlassen werde (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1987 VII R 167/84, BFH/NV 1987, 702).
Diese Ausführungen des FG lassen keine unsachlichen Erwägungen erkennen, die auf eine Voreingenommenheit des abgelehnten Richters schließen lassen könnten. Die Entscheidung beruht vielmehr auf den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften.
3. Die Besorgnis der Befangenheit des Richters am FG B für das vorliegende Klageverfahren läßt sich auch nicht aus dem Beschluß vom 21. Oktober 1993 wegen Aussetzung der Vollziehung in Sachen Einkommensteuer 1982 bis 1985 herleiten. Mit diesem Beschluß waren der Ehefrau des Klägers nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache die Kosten ihres Verfahrens auferlegt worden. Der Kläger hat hierzu lediglich vorgetragen, das FG habe bei seiner Entscheidung zu Unrecht den Aufteilungsantrag nach den §§ 268 ff. AO 1977 nicht berücksichtigt. Über die angebliche Fehlerhaftigkeit der Kostenentscheidung hinaus hat der Kläger keine Gründe vorgetragen, die auf eine unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters schließen lassen könnten. Da solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich sind, kann dies die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen.
4. Über den vom Kläger erstmals im Beschwerdeverfahren geltend gemachten, aus dem Inhalt des in einem Parallelverfahren ergangenen Gerichtsbescheides vom 19. Mai 1994 abgeleiteten Befangenheitsgrund kann der Senat im Beschwerdeverfahren nicht entscheiden.
Mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG können keine neuen Befangenheitsgründe vorgebracht werden (BFH-Beschlüsse vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253; vom 27. Juli 1992 VIII B 100/91, BFH/NV 1993, 113). Dies gilt erst recht für solche Gründe, die aus späteren, der angefochtenen Entscheidung des FG zeitlich nachgehenden Handlungen oder Entscheidungen des abgelehnten Richters abgeleitet werden.
Fundstellen
Haufe-Index 420288 |
BFH/NV 1995, 528 |