Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs nach § 16 GrEStG
Leitsatz (NV)
1. § 16 Abs. 1 GrEStG erfordert neben der zivilrechtlich wirksamen Beseitigung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts auch die tatsächliche Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs.
2. Wenn im Zusammenhang mit der "Rückgängigmachung" des Erwerbsvorgangs eine Weiterveräußerung des Grundstücks erfolgt, ist § 16 Abs. 1 GrEStG nicht anwendbar, wenn für den früheren Erwerber ‐ trotz formaler Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts ‐ im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demgemäß nicht aus seinen Bindungen entlassen war.
Normenkette
GrEStG 1997 § 16 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 23.09.2004; Aktenzeichen 1 K 1505/01) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH & Co. KG, kaufte mit Vertrag vom 5. November 1999 ein Grundstück. Ihr stand unter bestimmten Voraussetzungen ein bis zum 31. März 2001 befristetes, auf die Genehmigung der beabsichtigten Bebauung des Grundstücks bezogenes Rücktrittsrecht zu. Die Vertragsparteien ermächtigten den Notar unwiderruflich, die Löschung der zugunsten der Klägerin einzutragenden Eigentumsverschaffungsvormerkung u.a. dann zu bewilligen und zu beantragen, wenn der Verkäufer den ordnungsgemäßen Rücktritt vom Vertrag nachgewiesen hat. Die Parteien verzichteten auf ihr Recht, selbst Anträge beim Grundbuchamt aus der Urkunde zu stellen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte für den Erwerbsvorgang vom 5. November 1999 mit einem bestandskräftig gewordenen Bescheid Grunderwerbsteuer fest.
Da sich herausstellte, dass die bisher geplante Bebauung des Grundstücks nicht würde genehmigt werden, erklärte die Klägerin, wie im Vertrag vorgesehen, gegenüber dem Notar mit Schreiben vom 12. März 2001 den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Bevor die zugunsten der Klägerin in das Grundbuch eingetragene Vormerkung gelöscht worden war, verkaufte der Veräußerer das Grundstück mit Vertrag vom 21. März 2001 an eine GmbH & Co. KG, bei der dieselben gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsverhältnisse wie bei der Klägerin bestanden und die durch denselben alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer vertreten wurde. Der Vertrag stimmt weitgehend mit dem Vertrag vom 5. November 1999 überein. Ein wesentlicher Unterschied besteht lediglich darin, dass statt eines Rücktrittsrechts die bestandskräftige Erteilung einer Baugenehmigung als aufschiebende Bedingung vereinbart wurde. Am 16. April 2002 wurde die zugunsten der Klägerin in das Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung gelöscht und eine Auflassungsvormerkung zugunsten der neuen Grundstückserwerberin eingetragen.
Das FA beurteilte die Übersendung der Rücktrittserklärung vom 12. März 2001 durch den beurkundenden Notar als Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und lehnte diesen Antrag ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, die zivilrechtliche Rückgängigmachung des Erwerbsgeschäfts durch die Rücktrittserklärung reiche für die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht aus. Erforderlich sei grundsätzlich auch die Wiederherstellung des ursprünglichen Grundbuchzustandes, soweit dieser im Hinblick auf den Erwerbsvorgang geändert worden sei. Daran fehle es im Streitfall, weil die zugunsten der Klägerin eingetragene Auflassungsvormerkung erst am 16. April 2002 zusammen mit der Eintragung der Vormerkung zugunsten der Zweiterwerberin gelöscht worden sei. Überdies sei jedenfalls im Zusammenhang mit weiteren Umständen zu erkennen, dass die Veräußerin ihre ursprüngliche Rechtsstellung nicht vollständig wiedererlangt habe, das Bestehenbleiben der Auflassungsvormerkung zugunsten der Klägerin bis zur unmittelbar anschließenden grundbuchmäßigen Sicherung des Erwerbs durch die Zweitkäuferin vielmehr Ausdruck einer besonderen Interessenlage gewesen sei, die hier einem Anspruch aus § 16 GrEStG entgegenstehe. Nach den Gesamtumständen sei auch erkennbar, dass der Klägerin als Ersterwerberin das weitere Schicksal des Grundstücks keineswegs gleichgültig gewesen sei, sie vielmehr im Fremdinteresse, nämlich im Interesse ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin und von deren Geschäftsführer gehandelt sowie über diesen ihre Stellung als Erstkäuferin bei der Auswahl der Zweitkäuferin genutzt habe.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die Notwendigkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Rechtsfortbildung geltend.
Es stellten sich schon wegen der tatsächlichen Verbreitung der bei Notaren und auch in der Immobilienbranche allgemein beliebten Vertragsregelungen über die Antrags- und Bewilligungshoheit des Notars folgende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung:
Bedarf es zur Rückgängigmachung i.S. von § 16 GrEStG stets einer Löschung der Auflassungsvormerkung vor dem Zweiterwerb oder ist eine Löschungsbewilligung immer als ausreichend anzusehen?
Steht der Löschungsbewilligung des Ersterwerbers dessen Rücktritt, verbunden mit einer exklusiven vertraglichen Antragshoheit des Notars, gleich?
Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Überlegungen zur Frage der wirtschaftlichen Interessenlage der Parteien?
Die Klägerin verweist ferner auf das Urteil des FG des Landes Brandenburg vom 9. Oktober 2001 3 K 2471/99 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2002, 423).
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist --soweit sie überhaupt den Begründungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht-- unbegründet.
1. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen verleihen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Die für die Auslegung und Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG maßgebenden Gründe sind in der Rechtsprechung des BFH bereits geklärt. Danach sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG nicht schon dann erfüllt, wenn lediglich das den Steuertatbestand erfüllende Rechtsgeschäft --zivilrechtlich wirksam-- aufgehoben oder durch einseitige Erklärung vernichtet wird. Vielmehr setzt die (tatsächliche und vollständige) Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG voraus, dass die Parteien vom Vollzug des unwirksamen Rechtsgeschäfts Abstand nehmen und sich gegenseitig die etwa ausgetauschten Leistungen zurückgewähren. Die Vertragsparteien müssen, um das wirtschaftliche Ergebnis des zivilrechtlich unwirksam gewordenen Verpflichtungsgeschäfts in diesem Sinne wieder zu beseitigen, sämtliche Wirkungen aus dem Erwerbsvorgang aufheben und sich so stellen, als wäre dieser nicht zustande gekommen (BFH-Urteil vom 16. Februar 2005 II R 53/03, BFHE 209, 158, BStBl II 2005, 495, m.w.N.). Eine tatsächliche Rückgängigmachung setzt insbesondere die Löschung einer zugunsten des Erwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus (BFH-Urteile vom 19. März 2003 II R 12/01, BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770, unter II. 1. b, und in BFHE 209, 158, BStBl II 2005, 495).
Ob die Auflassungsvormerkung innerhalb der in § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG bestimmten Frist von zwei Jahren gelöscht werden muss oder ob es --was nahe liegt-- in entsprechender Anwendung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 GrEStG genügt, wenn die Löschung innerhalb der Frist im Grundbuch beantragt wird, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich. FA und FG haben die Aufhebung der Steuerfestsetzung nicht deshalb abgelehnt, weil die zugunsten der Klägerin im Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung erst am 16. April 2002 und somit mehr als zwei Jahre nach Abschluss des Kaufvertrags vom 5. November 1999 im Grundbuch gelöscht wurde, sondern weil die Auflassungsvormerkung bei Abschluss des Kaufvertrags mit der Zweiterwerberin noch im Grundbuch eingetragen war und weil FA und FG ein besonderes Interesse der Klägerin an der Grundstücksveräußerung an die Zweiterwerberin als gegeben ansah.
Insoweit ergeben sich keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung.
Wenn im Zusammenhang mit der "Rückgängigmachung" des Erwerbsvorgangs eine Weiterveräußerung des Grundstücks erfolgt, ist es für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber --trotz formaler Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts-- im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demgemäß nicht aus seinen Bindungen entlassen war. Eine dem Erwerber verbliebene Rechtsposition kann auch unabhängig von dem zivilrechtlich beseitigten Anspruch auf Grundstücksübereignung bestehen geblieben sein, so etwa im Zusammenhang mit einer fehlenden vollständigen Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts, z.B. wegen einer noch nicht gelöschten Auflassungsvormerkung zugunsten des Erwerbers. Verblieb trotz Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts dem Erwerber eine derartige Verwertungsmöglichkeit und wurde diese durch Weiterveräußerung des Grundstücks beendet, ist die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausgeschlossen, wenn der Erwerber im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung seine Rechtsposition im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse tatsächlich verwertet hat. Denn nicht jede im eigenen Interesse liegende Einflussnahme des Erwerbers auf die Weiterveräußerung lässt die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG entfallen; die Vorschrift ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Einflussnahme des Erwerbers auf die Weiterveräußerung als Ausfluss der ihm verbliebenen Rechtsposition zu beurteilen ist (BFH-Urteil in BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770).
Die Frage, ob diese Grundsätze im Einzelfall vom FG zutreffend angewandt wurden, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Da der BFH auf die beim Abschluss eines Kaufvertrags mit einem dritten Erwerber tatsächlich noch nicht erfolgte Löschung einer Auflassungsvormerkung zugunsten des Ersterwerbers abgestellt hat, ist nicht erkennbar, warum der Beurteilung der von der Klägerin herausgestellten Vereinbarungen im Vertrag vom 5. November 1999 grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Das FG hat nicht festgestellt, dass beim Abschluss des Kaufvertrags am 21. März 2001 der Notar die Löschung der zu ihren Gunsten im Grundbuch eingetragenen Auflassungsvormerkung bereits beantragt hatte. Die Klägerin behauptet dies auch nicht einmal selbst.
Auch der Hinweis der Klägerin auf das Urteil des FG des Landes Brandenburg in EFG 2002, 423 verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Das FG hat zwar in diesem Fall angenommen, dass die noch im Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung einem Anspruch auf Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG nicht entgegenstand. Es ging in diesem Fall aber nicht um eine Weiterveräußerung des Grundstücks an einen Dritten.
2. Aus den dargelegten Gründen ist eine Entscheidung des BFH auch nicht zur Fortbildung des Rechts erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 1453986 |
BFH/NV 2006, 127 |