Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Vorerbe von Verfassungs wegen wie ein Nießbraucher zu besteuern?
Leitsatz (NV)
Wird ein Verstoß des angewendeten Steuergesetzes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gerügt, bedarf es eingehender Darlegung, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht eingehalten hat. Dazu gehört im Fall der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 1 ErbStG die Auseinandersetzung mit der Systematik des ErbStG und dem Gesamtkonzept des Gesetzgebers.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; GG Art. 3 Abs. 1; ErbStG § 6 Abs. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist für einen Erwerb als unbefreiter Vorerbe durch Bescheid vom 10. Juli 2000 zu einer Erbschaftsteuer von 111 251 DM herangezogen worden. Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus einem Einfamilienhaus. Einspruch und Klage, mit denen der Kläger begehrt hatte, wie der Erwerber eines Nießbrauchsrechts an dem Grundstück besteuert zu werden, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, der Kläger könne sein Klagebegehren nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) stützen, weil auch zwischen der Rechtsstellung eines unbefreiten Vorerben und eines Nießbrauchers erhebliche Unterschiede bestünden. So könne der Vorerbe anders als der Nießbraucher nach Maßgabe der §§ 2113 bis 2115 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) über ererbte Gegenstände verfügen.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, der Rechtssache komme wegen der Frage, ob § 6 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, grundsätzliche Bedeutung zu. Eine Entscheidung dieser Frage durch den Bundesfinanzhof (BFH) sei zur Rechtsfortbildung erforderlich.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtordnung (FGO).
Der Kläger hat weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch die Erforderlichkeit einer Revisionsentscheidung zur Fortbildung des Rechts i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO dargelegt. Für die Darlegung beider Zulassungsgründe ―bei dem Zulassungsgrund der Notwendigkeit der Fortbildung des Rechts handelt es sich um einen speziellen Unterfall der Grundsatzrevision― wäre es erforderlich gewesen, substantiiert darzulegen, inwieweit die aufgeworfene verfassungsrechtliche Frage im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig ist. Die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift reicht dafür nicht aus (vgl. BFH-Beschlüsse vom 14. Dezember 1987 V B 77/87, BFH/NV 1989, 27, und vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842). Wird wie im Streitfall ein Verstoß des angewendeten Steuergesetzes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gerügt, so bedarf es eingehender Darlegung dazu, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit nicht eingehalten hat (BFH-Beschlüsse vom 29. Mai 1991 V B 14/91, Steuerrechtsprechung in Karteiform ―StRK―, Umsatzsteuergesetz 1980, § 4 Nr. 16, Rechtsspruch 1; vom 28. Oktober 1993 V B 86/93, BFH/NV 1994, 425, sowie vom 20. Oktober 1997 XI B 11/97, BFH/NV 1998, 594).
Derartige Darlegungen enthält die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger macht lediglich unter Hinweis auf die rechtsgeschichtliche Entwicklung, die zu der Vorschrift des § 6 Abs. 1 ErbStG geführt hat, sowie auf kritische Äußerungen zu dieser Regelung im steuerrechtlichen Schrifttum geltend, dass die durch das Gesetz zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes vom 20. Juli 1922 eingeführte Besteuerung des Vorerben als Vollerben mit der inneren Systematik des Erbschaftsteuerrechts unvereinbar sei und dass die Stellung eines unbefreiten Vorerben der eines Nießbrauchsberechtigten gleicht. Er setzt sich aber nicht damit auseinander, dass der Vorerbe, auch wenn er weitreichenden Beschränkungen unterworfen ist, bürgerlich-rechtlich Erbe ist, § 2100 BGB (vgl. auch BFH-Urteil vom 17. September 1997 II R 8/96, BFH/NV 1998, 587). Da das Erbschaftsteuerrecht bürgerlich-rechtlich geprägt ist (BFH-Urteil vom 26. November 1986 II R 190/81, BFHE 148, 324, BStBl II 1987, 175), kann die Anknüpfung in § 6 Abs. 1 ErbStG an die Rechtsstellung des Vorerben im bürgerlichen Recht jedenfalls nicht von vornherein als unsystematisch bezeichnet werden (vgl. Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 13. Aufl. 2002, § 6 Anm. 3). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber der Verdoppelung der Erbenstellung bei der Anordnung von Vor- und Nacherbfolge durch weitere Regelungen wie § 6 Abs. 2 und 3 und § 20 Abs. 4 ErbStG Rechnung getragen hat (vgl. Weinmann in Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, Kommentar, § 6 ErbStG Anm. 7). Auf diese Gesichtspunkte ist der Kläger nicht eingegangen. Er behauptet die Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Regelung zur Besteuerung des Vorerben, indem er ohne Auseinandersetzung mit dem Gesamtkonzept des Gesetzgebers die von ihm befürwortete frühere Regelung im ErbStG vom 10. September 1919 (RGBl I, 1543) als allein mit dem Gleichheitssatz vereinbar darstellt. Damit ist ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und insbesondere ein Überschreiten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nicht in einer den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2000 II B 18/00, BFH/NV 2001, 798).
Fundstellen
Haufe-Index 958719 |
BFH/NV 2003, 1185 |