Entscheidungsstichwort (Thema)

Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung nach Einstellung des Verfahrens bei Klagerücknahme

 

Leitsatz (NV)

1. Auch nach Einstellung des Verfahrens wegen Klagerücknahme kann über die Auferlegung der Verfahrenskosten entschieden werden.

2. Eine Kostenentscheidung ist stets zu treffen, wenn ohne sie auch nur ein Teil der Gerichtskosten nicht angesetzt werden kann.

3. Haben Kläger und Beklagte Revision eingelegt, so ist der Streitwert (Gegenstandswert) für die Revisionsinstanz durch Zusammenrechnung der Streitwerte beider Revisionen zu bestimmen.

 

Normenkette

FGO § 72 Abs. 2 S. 2, §§ 109, 143-144; GKG § 13

 

Tatbestand

Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde von der Beklagten, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) durch Bescheid vom 20. Mai 1976 unter bestimmten Auflagen als Lohnsteuerhilfeverein anerkannt. Die nach erfolgloser Beschwerde erhobene Klage führte zur teilweisen Aufhebung des Bescheids und der Beschwerdeentscheidung.

Kläger und OFD legten gegen das Urteil Revision ein. Der Kläger strebte einen weitergehenden Erfolg - über das Urteil des Finanzgerichts (FG) hinaus - an. Die OFD begehrte Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage in vollem Umfang. Der Kläger nahm während der Revisionsverfahren mit Einwilligung der OFD die Klage zurück. Der Senat hat das Verfahren durch Beschluß vom 10. Dezember 1987 eingestellt.

Die Prozeßbevollmächtigten zu 2 des Klägers haben Festsetzung des Gegenstandswerts beantragt.

 

Entscheidungsgründe

1. Obwohl die Klage in vollem Umfang zurückgenommen worden ist, muß nach § 143 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) über die Kosten der Verfahren entschieden werden.

a) Von dieser Entscheidung kann nicht nach § 144 FGO abgesehen werden. Da - auch - die OFD Revision eingelegt hat, könnte ohne eine Kostenentscheidung der nach § 136 Abs. 2 FGO gegen den Kläger begründete Anspruch der Bundeskasse auf die Gerichtskosten für das von der OFD eingeleitete Revisionsverfahren nicht angesetzt werden. Das rechtfertigt die Nichtanwendung des § 144 FGO (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. September 1977 V R 46/75, BFHE 123, 312, BStBl II 1978, 13, und vom 2. März 1983 II R 29 /82, BFHE 138, 9, BStBl II 1983, 420).

b) An der Kostenentscheidung ist der Senat nicht deshalb gehindert, weil er das Verfahren bereits durch Beschluß eingestellt hat.

Bedenken gegen eine Kostenentscheidung ergeben sich insoweit insbesondere nicht daraus, daß die übergangene Kostenfolge ,,bei der Entscheidung" nach § 109 FGO auf Antrag durch nachträgliche Entscheidung ergänzt werden kann und im Streitfall ein Antrag auf eine derartige Ergänzungsentscheidung nicht gestellt worden ist. Der Beschluß, durch den das Verfahren nach Klagerücknahme eingestellt worden ist (§ 72 Abs. 2 Satz 2 FGO), kann nicht als Entscheidung i. S. des § 109 Abs. 1 FGO angesehen werden, ,,bei der" eine Kostenfolge übergangen werden kann. Als Entscheidungen in diesem Sinne kommen nur solche in Betracht, die nach § 143 Abs. 1 FGO zu einer Kostenentscheidung zwingen. Nur wenn das zutrifft, kann die - nach § 143 Abs. 1 FGO notwendige - Kostenfolge i. S. des § 109 Abs. 1 FGO ,,übergangen" werden.

Für die Fälle der Klagerücknahme ergibt sich aus § 144 FGO, daß § 143 Abs. 1 FGO nicht anwendbar ist und daß der Beschluß über die Einstellung des Verfahrens nicht zu einer Kostenentscheidung zwingt. Denn nach dieser Vorschrift ist die Notwendigkeit der Kostenentscheidung grundsätzlich von der besonderen Voraussetzung abhängig, daß Kostenerstattung beantragt wird. Ein solcher Antrag kann auch noch nach der Einstellung des Verfahrens nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO gestellt werden.

Außerdem ist zu berücksichtigen, daß nur verfahrensbeendende Entscheidungen zu einer Kostenentscheidung zwingen, wie § 143 Abs. 1 FGO entnommen werden muß. Zu diesen Entscheidungen gehört der Beschluß über die Einstellung des Verfahrens nach Klagerücknahme nicht. Denn in diesen Fällen ist das Verfahren bereits durch die Klagerücknahme beendet worden (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl., § 143 Anm. 3). Die Einstellung setzt die Klagerücknahme und deren Wirkung voraus (vgl. Beschluß des BFH vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543). Die Kostenentscheidung ergeht als sog. isolierte Kostenentscheidung, d. h. als Entscheidung, die nicht mit einer Entscheidung über die Hauptsache verbunden ist (vgl. Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 143 FGO Tz. 3).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 2 FGO. Nach dieser Entscheidung hat der Kläger auch die gesamten Kosten der Revisionsinstanz zu tragen (vgl. BFHE 123, 312, BStBl II 1978, 13).

3. Der Gegenstandswert für die Revisionsinstanz ist mit 8 000 DM zu bemessen.

a) Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts ist zulässig, da für die finanzgerichtlichen Verfahren ein Streitwert bisher nicht festgesetzt und die Vergütung fällig ist (§ 10 Abs. 1 und 2, § 16 Abs. 2 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte - BRAGO -).

b) Der Gegenstandswert der Revisionsverfahren ist nach § 13 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. bis zur Änderung durch das Gesetz zur Änderung von Kostengesetzen vom 9. Dezember 1986 (BGBl I 1986, 2326) - GKG a. F. - zu bestimmen (§ 8 Abs. 1 Satz 1, § 134 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BRAGO). Da der bisherige Sach- und Streitgegenstand in beiden Revisionsverfahren keine genügenden Anhaltspunkte dafür bietet, den Streitwert nach der Bedeutung der Sache zu bestimmen, ist ein Streitwert von 4 000 DM für jedes Revisionsverfahren anzunehmen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a. F., § 134 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BRAGO).

c) Da Kläger und OFD Revision eingelegt haben, ist der Gegenstandswert für die Revisionsinstanz durch Zusammenrechnung der Streitwerte beider Revisionen zu bestimmen (vgl. Beschluß des BFH vom 9. November 1976 VII E 21/76, BFHE 120, 160, BStBl II 1977, 36). Danach beträgt der Gegenstandswert für die Revisionsinstanz 8 000 DM.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415659

BFH/NV 1988, 798

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