Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Neufestsetzung von Kraftfahrzeugsteuer; Konsentierter Einzelrichter; Überlange Verfahrensdauer
Leitsatz (NV)
- Wird die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache wegen der Verfassungswidrigkeit einer rückwirkenden Neufestsetzung von Kraftfahrzeugsteuer geltend gemacht, sind substantiiert und unter Auseinandersetzung mit der zu der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der rückwirkenden Änderung von Steuerbescheiden vorliegenden Rechtsprechung die diesbezüglichen Gebote des Verfassungsrechts herauszuarbeiten und darzustellen, inwiefern der Erlass des angefochtenen Bescheides diesen Geboten widerspricht.
- Wird nach Erklärung des Einverständnisses mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nach dem Mitwirkungsplan des betreffenden Senats ein neuer Berichterstatter für die Sache zuständig, so bezieht sich das Einverständnis ohne weiteres auf eine Entscheidung durch diesen.
- Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar.
Normenkette
EMRK Art. 6 Abs. 1; FGO § 79a Abs. 3-4; AO 1977 § 176
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wendet sich mit ihrer Klage dagegen, dass der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Kraftfahrzeugsteuer für ihr Fahrzeug durch ―später mit Wirkung ab 23. Oktober 2001 erneut geänderten― Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 13. März 2001 aufgrund der Erhöhung der Steuersätze in dem Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz 1997 vom 18. April 1997 (BGBl I, 805) für die Zeit ab 1. Januar 2001 entsprechend den Regelungen dieses Gesetzes heraufgesetzt hat. Die hiergegen erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Finanzgerichts (FG) richtet sich die Beschwerde der Klägerin, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) und Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend gemacht werden.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit Revisionszulassungsgründe ausreichend dargelegt sind (vgl. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO), liegen sie nicht vor.
Die angebliche grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist allerdings schon nicht ausreichend dargelegt. Das Vorbringen der Beschwerde, das FG habe verkannt, dass das FA bei der zum Nachteil der Klägerin vorgenommenen Änderung des Kraftfahrzeugsteuerbescheides "das für sie günstigere, seinerzeit bereits in Kraft getretene Steuergesetz hätte berücksichtigen müssen", und dadurch § 176 der Abgabenordnung (AO 1977) verletzt, lässt ―abgesehen davon, dass es nicht nachvollziehbar ist― eine klärungsbedürftige, weil anhand des Gesetzes und der vorliegenden Rechtsprechung nicht klar und eindeutig zu beantwortende Rechtsfrage, die der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfte, nicht hervortreten; es besagt vielmehr lediglich, dass die Entscheidung des FG unzutreffend ist.
Auch der weitere Vortrag, das FG habe die Verwirkung des Kraftfahrzeugsteueranspruches verkannt und sich zu Unrecht, weil ohne Rücksicht auf die "Besonderheiten des hier relevanten Kraftfahrzeugsteuerrechts" auf diesbezügliche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bezogen, enthält lediglich einen Angriff gegen die sachlich-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung, ohne eine klärungsbedürftige Grundsatzfrage herauszuarbeiten. Das gleiche gilt für die Behauptung, die rückwirkende Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer nach Erhöhung des Steuersatzes rufe "verfassungsrechtliche Zweifel" hervor, die sich aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 des Grundgesetzes ergeben sollen. Um unter diesem Gesichtspunkt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen, wäre es erforderlich gewesen, substantiiert und unter Auseinandersetzung mit der zu der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der rückwirkenden Änderung von Steuerbescheiden vorliegenden Rechtsprechung die diesbezüglichen Gebote des Verfassungsrechts herauszuarbeiten und darzustellen, inwiefern der Erlass des in diesem Verfahren angefochtenen Bescheides diesen Geboten widerspricht.
Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerde, dass sich die Klägerin auf Anfrage der Berichterstatterin, Richterin am FG X, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt habe, dann jedoch ein Jahr später durch die Berichterstatterin, Richterin am FG Y, entschieden worden sei. Diese Rüge geht indes fehl, weil sich das Einverständnis eines Beteiligten mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 79a Abs. 3 und 4 FGO nicht darauf bezieht, welcher konkrete Richter über die Sache entscheiden darf ―dies ergibt sich vielmehr aus dem diesbezüglichen Mitwirkungsplan des betreffenden Senats―, sondern auf eine Entscheidung des nach diesem Plan berufenen Berichterstatters anstelle des mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzten Senats. Wird nach Erklärung des Einverständnisses mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ein neuer Berichterstatter für die Sache zuständig, so bezieht sich das Einverständnis ohne weiteres auf eine Entscheidung durch diesen (BFH-Beschluss vom 21. September 2001 IX R 70/99, BFH/NV 2002, 357). Dass die Richterin am FG Y nicht die für die Entscheidung des Rechtsstreites zuständige Berichterstatterin gewesen wäre, behauptet die Beschwerde selbst nicht, geschweige denn, dass sie es in der erforderlichen Weise dargelegt hätte.
Auch die weitere Verfahrensrüge, die "mehr als zwölfmonatige Untätigkeit des FG" verletze "das Recht der Klägerin auf ein faires Verfahren" ist unbegründet. Abgesehen davon, dass der von der Beschwerde in diesem Zusammenhang angeführte Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im finanzgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar ist (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 12. Juli 2001 44759/98, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 3453), ist nicht ersichtlich, geschweige denn in der Beschwerdeschrift schlüssig vorgetragen, warum die Dauer eines erstinstanzlichen Verfahrens von hier nicht einmal anderthalb Jahren bzw. ein zwölfmonatiger Verfahrensstillstand das verfahrensrechtliche Fairnessgebot verletzen sollte, insbesondere welche Nachteile die Klägerin dadurch gehabt haben will. Dazu hätte es, um eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision annehmbar zu begründen, insbesondere bei einem Bagatellverfahren wie dem vorliegenden, eingehender Darlegungen bedurft.
Fundstellen