Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Wiedereinsetzung bei falscher Adressierung der Beschwerdefrist
Leitsatz (NV)
1. Ein Rechtsirrtum des Prozeßbevollmächtigten über die richtige Adressierung einer (Nichtzulassungs-)Beschwerde ist unbeachtlich.
2. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde unter Mißachtung des § 115 Abs. 3 Satz 2 FGO und einer entsprechenden Rechtsmittelbelehrung an den Bundesfinanzhof richtet, darf für Fristwahrung und Wiedereinsetzung (unter dem Gesichtspunkt mitwirkenden Verschuldens) nicht darauf zählen, daß bei dem zunächst unzuständigen Gericht eine Fristberechnung vorgenommen und die Beschwerdeschrift von dort auf schnellstem Wege (womöglich per Telefax) an das zuständige Finanzgericht weitergeleitet wird.
Normenkette
FGO §§ 56, 115
Tatbestand
Das mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil II des FG vom 24. Oktober 1990, mit dem der Antrag des Klägers und Beschwerdeführers (Klägers) auf Ergänzung des Urteils I des FG vom 17. Januar 1990 zurückgewiesen wurde, ist den Prozeßbeteiligten am 9. November 1990 zugestellt worden.
Mit einem an den Bundesfinanzhof (BFH) adressierten Schriftsatz vom 5. Dezember 1990, dessen Poststempel auf den 6. Dezember 1990, 21.00 Uhr, lautet, legte die Prozeßbevollmächtigte des Klägers Nichtzulassungsbeschwerde ein. Dieser Schriftsatz ist am 7. Dezember 1990, einem Freitag, beim BFH eingegangen und am 10. Dezember 1990, einem Montag, von dort an das FG weitergeleitet worden, wo er am 11. Dezember 1990 eintraf.
Ebenfalls am 10. Dezember 1990 teilte die Geschäftsstelle des Senats der Prozeßbevollmächtigten mit, der Schriftsatz vom 5. Dezember 1990 sei an das FG weitergeleitet worden, wo die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 115 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt werden müsse. Das Schreiben der Geschäftsstelle ist am 13. Dezember 1990 bei der Prozeßbevollmächtigten eingegangen.
Am 10. Januar 1991 unterrichtete der Senatsvorsitzende die Prozeßbevollmächtigte förmlich davon, daß die Nichtzulassungsbeschwerde beim FG hätte eingelegt werden müssen, und zwar bis zum 10. Dezember 1990, tatsächlich aber erst am 11. Dezember 1990, also verspätet, dort eingetroffen sei. Diese Mitteilung, die mit einem Hinweis auf § 56 FGO verbunden war, ist der Prozeßbevollmächtigten am 14. Januar 1991 zugestellt worden.
Daraufhin reichte die Prozeßbevollmächtigte am 28. Januar 1991 ihre Beschwerdeschrift erneut ein, diesmal beim FG und nunmehr ergänzt um folgende Ausführungen zur Fristversäumung: Die Nichtzulassungsbeschwerde sei ,,in den Mittagsstunden des 5. Dezember 1990 zur Post gegeben worden", so daß man bei normalen Postlaufzeiten davon hätte ausgehen können, daß die Nichtzulassungsbeschwerde am 6., spätestens am 7. Dezember 1990, beim BFH und, bei unverzüglicher Weiterleitung von dort, jedenfalls am 10. Dezember 1990, also rechtzeitig, beim FG eingehen würde. Im übrigen sei aus der Mitteilung des BFH vom 10. Dezember 1990 das Eingangsdatum dort nicht zu ersehen gewesen.
Auf die weiteren Ausführungen der Prozeßbevollmächtigten zu § 56 FGO in den Schriftsätzen vom 22. Februar und 12. April 1991 wird Bezug genommen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Kläger beantragt, die Revision gegen das Urteil II des FG vom 24. Oktober 1990 zuzulassen.
Der Beschwerdegegner, das beklagte Finanzamt (FA), beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist unzulässig.
a) Das Rechtsmittel ist verspätet eingelegt worden. Die Beschwerdeschrift hätte, nachdem das (mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene) Urteil II am 9. November 1990 zugestellt worden und der 9. Dezember 1990 ein Sonntag war, am 10. Dezember 1990 beim FG eingehen müssen (§ 115 Abs. 3 Satz 1 FGO, § 54 FGO i. V. m. § 222 der Zivilprozeßordnung - ZPO - und den §§ 187 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Das ist nicht geschehen.
b) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) sind nicht gegeben.
aa) Ein etwaiger Rechtsirrtum der Prozeßbevollmächtigten über den richtigen Adressaten der Nichtzulassungsbeschwerde ist unbeachtlich (vgl. BFH-Beschluß vom 20. August 1982 VIII R 58/82, BFHE 136, 348, BStBl II 1983, 63, 64; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 56 Rz. 21, m. w. N.).
bb) Die innerhalb der Antrags- und Begründungsfrist (§ 56 Abs. 2 S. 1 und S. 2 FGO) geltend gemachten Umstände sind nicht geeignet, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu rechtfertigen.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Begründungsfrist nicht schon durch die Mitteilung der Geschäftsstelle des Senats vom 10. Dezember 1990 (am 13. Dezember 1990) in Lauf gesetzt wurde (obgleich sie nur über die falsche Adressierung, nicht aber über das Datum des Eingangs der Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH und das ihrer Weiterleitung an das FG informierte); denn spätestens mit dem Zugang der Vorsitzendenverfügung vom 10. Januar 1991, also seit 14. Januar 1991, wußte die Prozeßbevollmächtigte, daß die Nichtzulassungsbeschwerde nicht nur fehlgeleitet, sondern auch verspätet eingelegt worden war. Die Frist des § 56 Abs. 2 S. 1 und S. 2 FGO endete also mit dem 28. Januar 1991. Bis dahin mußten die den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Tatsachen mitgeteilt werden (Gräber / Koch, a. a. O., Rz. 50, m. w. N.). Danach vorgetragene Umstände waren nur beachtlich, soweit sie der Ergänzung oder Vervollständigung des ursprünglichen Vorbringens dienten (Gräber / Koch, a. a. O., Rz. 51, m. w. N.).
Selbst wenn man die Ausführungen des Klägers am Schluß des Schriftsatzes vom 28. Januar 1991 als Wiedereinsetzungsantrag und -begründung wertet, rechtfertigen sie keine Heilung der Säumnis nach § 56 Abs. 1 FGO: Die (im übrigen nicht glaubhaft gemachte) Behauptung, der Schriftsatz vom 5. Dezember 1990 sei ,,in den Mittagsstunden" des gleichen Tages zur Post gegeben worden, ist offensichtlich unzutreffend. Der Poststempel vom 6. Dezember, 21.00 Uhr, und das Eintreffen hier am 7. Dezember 1990 indizieren eine normale Postlaufzeit.
Mit Erfolg kann sich der Kläger in diesem Zusammenhang auch nicht auf ein Mitverschulden des Gerichts berufen: Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats hat die Weiterleitung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht schuldhaft verzögert (dazu Gräber / Koch, a. a. O., Rz. 21, m. w. N.), sondern die am Freitag bei ihr eingetroffene Sendung schon am darauffolgenden Montag wieder zur Post gegeben. Das war eine beschleunigte Erledigung, außerhalb des normalen Geschäftsgangs, auf die der Rechtssuchende in derartigen Fällen nicht ohne weiteres zählen darf. Jedenfalls unzumutbar aber war jede weitere Sonderbehandlung dieser Angelegenheit, die allein noch zur Fristwahrung hätte führen können. Das Gericht ist nicht der ,,Erfüllungsgehilfe" der Prozeßbeteiligten. Weder ist es Sache des (zunächst gar nicht zuständigen) Gerichts, den Inhalt eines Rechtsschutzbegehrens zur Kenntnis zu nehmen, mit dem sich (zunächst) ein anderes Gericht zu befassen hat, oder in solchen Fällen eine Fristberechnung vorzunehmen, noch ist es gehalten, seinerseits alle Anstrengungen zur Fristwahrung zu unternehmen, hier z. B. die fehlgeleitete Nichtzulassungsbeschwerde sogleich per Telefax an das FG zu übermitteln.
cc) Soweit der Kläger nach Ablauf der Begründungsfrist (in den Schriftsätzen vom 22. Februar und 12. April 1991) neue Tatsachen vorträgt (wie etwa die Erkrankung der Prozeßbevollmächtigten), kann er damit nicht mehr gehört werden (siehe dazu näher unter bb).
Fundstellen
Haufe-Index 417891 |
BFH/NV 1992, 120 |