Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung kein Antrag auf Steuerfestsetzung i.S. des § 171 Abs. 3 AO 1977
Leitsatz (NV)
- Als Antrag i.S. des § 171 Abs. 3 AO 1977 sind nur solche Willensbekundungen zu verstehen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörde außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen.
- Es ist höchstrichterlich geklärt, dass die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung nicht einem Antrag auf Steuerfestsetzung i.S. des § 171 Abs. 3 AO 1977 gleichzuachten ist.
Normenkette
AO 1977 § 171 Abs. 3
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) reichten am 30. Dezember 1998 ihre Einkommensteuer-Erklärung für 1991 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) ein. Sie fügten der Erklärung zwei Anschreiben bei, in denen sie aufgrund der zu erwartenden Steuererstattung ein berechtigtes Interesse an der Durchführung der Veranlagung bekundeten. Ferner legten sie im Einzelnen dar, dass die verzögerte Abgabe der Steuererklärung auf besonderen Umständen beruhe.
Das FA lehnte die beantragte Steuerfestsetzung durch Bescheid vom 25. März 1999 wegen zwischenzeitlich eingetretener Festsetzungsverjährung ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, die Festsetzungsverjährung sei durch die Einreichung der Steuererklärung nicht gehemmt worden. Wegen der Steuerklassenwahl (III und V) und Leistungen mit Progressionsvorbehalt hätten unstreitig die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3a des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorgelegen; eine Veranlagung auf Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG scheide aus. Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung stelle indessen keinen "Antrag auf Steuerfestsetzung" i.S. des § 171 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) dar. Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit der vorliegenden Beschwerde, die sie auf die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützen. Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
1. Es kann offen bleiben, ob die Beschwerdebegründung die Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erfüllt; die Beschwerde kann jedenfalls keinen Erfolg haben.
Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Es ist hinreichend geklärt, dass die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung nicht einem Antrag auf Steuerfestsetzung i.S. des § 171 Abs. 3 AO 1977 gleichzuachten ist (ständige Rechtsprechung; grundlegend BFH-Urteil vom 18. Juni 1991 VIII R 54/89, BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124; ebenso BFH-Beschluss vom 23. September 2002 V B 48/02, BFH/NV 2003, 141; Urteile vom 17. Februar 1998 VIII R 21/95, BFH/NV 1998, 1356; vom 11. Mai 1995 V R 136/93, BFH/NV 1996, 1; Beschlüsse vom 13. Februar 1995 V B 95/94, BFH/NV 1995, 756; vom 21. November 1994 VI B 49/94, BFH/NV 1995, 660; Urteil vom 17. September 1992 V R 17/86, BFH/NV 1993, 279, 282; zustimmend Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 171 AO 1977 Tz. 12; Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 171 AO 1977 Rz. 18; Beermann in Steuerliches Verfahrensrecht, § 171 AO 1977 Tz. 19; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 155 Tz. 27 a.E.; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., § 171 AO 1977 Anm. 3 a; ebenso FG des Saarlandes, Urteil vom 12. März 1998 1 K 63/96, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1998, 1106).
Nach § 171 Abs. 3 Satz 1 AO 1977 bewirkt ein vor Ablauf der Festsetzungsfrist gestellter Antrag auf Steuerfestsetzung, dass die Frist insoweit nicht abläuft, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden ist. Als "Antrag" in diesem Sinne sind nur Willenserklärungen zu verstehen, die ein Tätigwerden der Finanzbehörde außerhalb des infolge der Amtsmaxime ohnehin gebotenen Verwaltungshandelns auslösen sollen. Kein solcher Antrag ist deshalb die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung, da sie nur der Durchführung der regulären Steuerfestsetzungstätigkeit der Finanzbehörden dient. Tragend für diese Ansicht ist insbesondere der Umstand, dass durch die Auslegung des Antragsbegriffs in § 171 Abs. 3 AO 1977 die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 abschließend geregelten Auswirkungen des Einreichungszeitpunkts von Steuererklärungen auf die Festsetzungsfrist nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen unterlaufen werden dürfen, der seiner gesetzlich auferlegten Erklärungsverpflichtung nachkommt (vgl. auch BFH-Urteil in BFH/NV 1998, 1356). Dabei ist nicht maßgebend, ob die eingereichte Erklärung zu einer Steuernachforderung oder -erstattung führt. Entscheidend ist allein, ob eine gesetzliche Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung besteht.
Entgegen der Ansicht der Kläger weicht das angefochtene Urteil auch nicht vom BFH-Urteil vom 4. Juni 1986 IX R 52/82 (BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3) ab. Der BFH hat bereits im Urteil in BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124 ausgeführt, dass die Entscheidung in BFHE 147, 393, BStBl II 1987, 3 zu § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ergangen ist und zudem darauf hingewiesen, dass kein hinreichender Sachzusammenhang zwischen der hier maßgeblichen Vorschrift des § 171 Abs. 3 AO 1977 und der Vorschrift des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 besteht (vgl. hierzu auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 756).
Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil die Kläger in zwei zusätzlichen Anschreiben vom 30. Dezember 1998 die Steuerfestsetzung entsprechend der abgegebenen Steuererklärung beantragt haben. Es handelt sich hierbei um einen rein deklaratorischen Antrag, dem keinerlei selbständige Wirkung neben der Steuererklärung zukommt (vgl. auch BFH-Beschluss vom 23. September 2002 V B 48/02, BFH/NV 2003, 141).
Die Beschwerdebegründung enthält keine neuen Gesichtspunkte, die eine erneute Überprüfung der vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung notwendig machen würde. Grundsätzlicher Klärungsbedarf besteht nicht. Insbesondere ist die Frage, ob sich das FA bei verzögerter Bearbeitung einer Steuererklärung auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung berufen kann, im Streitfall nicht rechtserheblich.
2. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ohne Angabe weiterer Gründe.
Fundstellen
Haufe-Index 1061358 |
BFH/NV 2004, 9 |