Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Beschwerdefrist wegen Einreichung eines bezugnehmenden Beschwerdeschriftsatzes
Leitsatz (NV)
Demjenigen, der die Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist lediglich durch Bezugnahme auf seine Ausführungen in einem anderen Verfahren begründet, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht deswegen gewährt werden, weil sein Prozeßbevollmächtigter den steuerfachkundigen Sozius mit der Ausarbeitung der Beschwerdeschrift beauftragt hatte und dieser nach dem Studium eines Fachkommentars zu dem Ergebnis gelangt war, eine Bezugnahme sei zulässig.
Normenkette
FGO §§ 56, 115 Abs. 3
Tatbestand
Der erkennende Senat hat die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eingelegte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision mit Beschluß vom 12. Januar 1989 als unzulässig verworfen. Der Beschluß erging ohne Begründung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG), jedoch wurde auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 30. Oktober 1984 IX ZB 103/84 (Versicherungsrecht - VersR - 1985, 67) und des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. April 1987 VIII R 307/81 (BFH/NV 1987, 793) hingewiesen. Zur Begründung der Beschwerde war auf die Ausführungen in der Beschwerdesache Einkommensteuer 1983/84 des Klägers Bezug genommen worden, ohne daß eine beglaubigte Abschrift jener Beschwerdeschrift beigefügt worden wäre.
Der Beschluß des Senats vom 12. Januar 1989 wurde dem Kläger am 7. Februar 1989 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 9. Februar 1989 - bei dem BFH eingegangen am 16. Februar 1989 - hat der Kläger, vertreten durch seinen Prozeßbevollmächtigten, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Beschwerde nunmehr mit eigenständigen eingehenden Ausführungen begründet. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trägt er vor: Sein Prozeßbevollmächtigter habe den Sozius Fachanwalt für Steuerrecht E mit der Ausarbeitung der Beschwerdeschriften in dieser und in den Parallelsachen beauftragt. Rechtsanwalt E, der als steuerrechtlich versierter Fachmann bekannt sei, habe die Problematik durchaus erkannt und darüber in dem ihm allein zur Verfügung stehenden Handkommentar von Tipke/Kruse 12. Aufl. - vermutlich zu § 115 der Finanzgerichtsordnung (FGO) - nachgelesen. Da der Kommentar zu dem Problem keine Stellung nehme, sei von der Zulässigkeit einer Bezugnahme ausgegangen worden - entsprechend dem Vorgehen des Finanzgerichts (FG) -.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zulässig. Der Zulässigkeit steht nicht der Beschluß des Senats vom 12. Januar 1989 entgegen. Die Rechtskraft dieses Beschlusses betrifft nicht die nunmehr eigenständig begründete Beschwerde, deren Verspätung nach Auffassung des Klägers durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu heilen ist (vgl. BFH-Beschluß vom 14. September 1967 V S 9/67, BFHE 89, 332, BStBl III 1967, 615; BFH-Urteil vom 30. Oktober 1967 VI K 1/67, BFHE 90, 454, BStBl II 1968, 119; Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts vom 29. März 1971 4 AZB 34/70, BAGE 23, 276; vom 29. Oktober 1976 5 AZB 35/76, Betriebs-Berater 1977, 500).
Der Antrag ist aber unbegründet. Der Kläger war nicht ohne Verschulden gehindert, die Begründungsfrist von einem Monat (§ 115 Abs. 3 FGO) einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Kläger muß sich das Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen. Dieser kann sich nicht darauf berufen, daß er das Entwerfen der Beschwerde seinem steuerfachkundigen Sozius überlassen hat. Sofern ein solches Vorbringen überhaupt als entlastend angesehen werden könnte, kann es diese Wirkung jedenfalls nicht für prozessuale Voraussetzungen entfalten, die in allen Prozeßordnungen - auch in der dem Prozebevollmächtigten geläufigen Zivilprozeßordnung - gleichförmig geregelt sind. Die obersten Bundesgerichte halten durchweg begründungspflichtige Rechtsmittel für unzulässig, die lediglich durch eine Bezugnahme auf gleichgelagerte Rechtsmittel begründet werden (vgl. außer der genannten Rechtsprechung schon Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Oktober 1958 V C 378/56, Monatsschrift für Deutsches Recht 1959, 60).Der in der Praxis des Prozeßbevollmächtigten und seines Sozius vorhandene Kommentar von Tipke/Kruse behandelt diese Rechtsprechung zu § 120 FGO Anm. 55 mit der gebotenen Ausführlichkeit. Diese Förmlichkeit mußte der Prozeßbevollmächtigte selbst überprüfen, bevor er die ihm vorgelegte Beschwerdeschrift unterschrieb.
Fundstellen
Haufe-Index 416330 |
BFH/NV 1990, 508 |