Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Rechtsverletzung durch einen zu niedrigen Gewinnanteil; keine Verletzung rechtlichen Gehörs durch knappe Vorbereitungszeit
Leitsatz (NV)
1. Ein Gesellschafter kann auch durch einen zu geringen Gewinnanteil infolge teilweiser Nichtübertragung einer Reinvestitionsrücklage auf die Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts im Gesamthandsvermögen in seinen Rechten verletzt sein. Soweit der Gesellschafter eine höhere Gewinnübertragung auf ein in das Gewinnfeststellungsverfahren einbezogenes Mietwohngrundstück begehrt, muss er daher die Feststellung eines höheren Gewinns in diesem Gewinnfeststellungsverfahren beantragen.
2. Mangelnde Vorbereitung eines Verfahrensbeteiligten auf den Termin zur mündlichen Verhandlung ist kein erheblicher Grund für eine Vertagung, es sei denn, der Beteiligte kann sie genügend entschuldigen. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen ausreichend ist, sich angemessen vorzubereiten.
Normenkette
AO 1977 § 179 Abs. 2 S. 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a; FGO § 40 Abs. 2, § 91 Abs. 1 S. 1; ZPO § 227 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; FGO § 155
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 04.12.2003; Aktenzeichen 5 K 2986/00) |
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und ihr verstorbener Ehemann erzielten in den Streitjahren (1996 und 1997) gemeinsam Einkünfte aus einer land- und forstwirtschaftlichen Ehegatten-Mitunternehmerschaft sowie gewerbliche Einkünfte aus einer Beteiligung an einer GmbH Co. KG (KG), an der sie und ihre beiden Söhne jeweils zu 25 v.H. als Kommanditisten beteiligt waren. Am 11. September 1996 erwarb die KG ein Mietwohngrundstück, hinsichtlich dessen die vier Gesellschafter vereinbarten, dass die Eltern jeweils zu 49 v.H. und die Söhne jeweils zu 1 v.H. am Gewinn und Verlust sowie am Vermögenswert beteiligt sein sollten. Diesem Beteiligungsverhältnis entsprechend rechneten sich die Klägerin und ihr Ehemann 98 v.H. der Anschaffungskosten des Grundstücks (1 363 339 DM) in der Einkommensteuererklärung 1996 zu und übertrugen hierauf eine Reinvestitionsrücklage, die sie nach der Veräußerung landwirtschaftlich genutzter Flächen in der Ehegatten-Mitunternehmerschaft gebildet hatten.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ließ die Gewinnübertragung nur im Umfang der Kommandit-Beteiligungsquote der Ehegatten zu, löste die Rücklage im Übrigen gewinnerhöhend auf und verzinste den Auflösungsbetrag. Diese Gewinnerhöhung des Wirtschaftsjahrs 1996/97 wurde den Mitunternehmer-Ehegatten hälftig zugerechnet und ging in ihre Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 ein. Auch den an die KG gerichteten Gewinnfeststellungsbescheiden 1996 und 1997 lag diese Zurechnung der Gewinne zu Grunde. Die dagegen gerichteten Einsprüche nahmen die Ehegatten auf Anregung des FA zurück. Dieses hatte die Auffassung vertreten, die Rechtsbehelfe seien mangels Beschwer unzulässig, weil das Begehren auf eine Erhöhung des Gewinns der Gesellschaft gerichtet sei.
Einspruch und Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 hatten keinen Erfolg. Während des Klageverfahrens wies der Berichterstatter den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10. November 2003 telefonisch auf das Urteil des beschließenden Senats vom 12. Juli 1990 IV R 44/89 (BFH/NV 1991, 599) hin und ließ erkennen, dass die Frage der Gewinnübertragung im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung zu entscheiden sei. Am 2. Dezember 2003 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2003, damit er sich auf den neuen, überraschend in das Verfahren eingeführten Gesichtspunkt angemessen vorbereiten könne. Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag auf Terminsverlegung ab und stützte sich zur Begründung seines klageabweisenden Urteils auf das Urteil des Senats in BFH/NV 1991, 599, wonach über den Umfang der Übertragungsmöglichkeit einer Reinvestitionsrücklage gemäß § 6b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf ein Reinvestitionsobjekt des Gesamthandsvermögens im Gewinnfeststellungsverfahren ungeachtet dessen zu entscheiden sei, dass ein höherer Gewinn beansprucht werde. Allerdings habe eine Gewinnfeststellung für die Ehegatten-Mitunternehmerschaftunterbleiben können, weil es sich insoweit um einen Fall von geringer Bedeutung gehandelt habe (§ 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--).
Mit ihrer wegen Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde beruft sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs wegen Ablehnung der Terminsverlegung.
Die Klägerin beantragt, die Revision gegen die Vorentscheidung zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Der Rechtssache kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu noch hat das FG den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.
1. Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei soll es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die zudem klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig sein muss (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 23, m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor, denn die von der Klägerin formulierte Frage ist durch die Rechtsprechung hinreichend geklärt. Nach Auffassung der Klägerin ist die Frage klärungsbedürftig und klärungsfähig, ob auch eine zu niedrige Festsetzung von Besteuerungsgrundlagen in einem Gewinnfeststellungsbescheid eine Rechtsverletzung i.S. des § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründen kann.
a) Eine Klage mit dem Begehren, eine höhere Steuer festzusetzen ist zwar grundsätzlich unzulässig (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 1989 I R 174/86, BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91, und vom 19. Juli 1994 VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362; BFH-Beschluss vom 14. März 2000 V B 187/99, BFH/NV 2000, 1252, Nr. 1 der Gründe). In ständiger Rechtsprechung hat der BFH jedoch vertreten, dass ein Kläger ausnahmsweise auch durch eine zu niedrige Steuerfestsetzung in seinen Rechten verletzt sein kann. Danach kann eine Einkommensteuerveranlagung auch mit dem Ziel einer höheren Steuerfestsetzung angefochten werden, wenn die angesetzten Besteuerungsgrundlagen eine Bindung für andere Veranlagungen herbeiführen (s. nur BFH-Urteile vom 29. April 1992 XI R 5/90, BFHE 168, 161, BStBl II 1992, 969, und vom 10. Dezember 1992 IV R 17/92, BFHE 170, 145, BStBl II 1993, 344, m.w.N.). Es ist daher auch anerkannt, dass ein Steuerpflichtiger bei einer einheitlichen Gewinnfeststellung durch einen zu niedrigen Gewinnanteil in seinen Rechten verletzt ist, wenn sich die Festsetzung in späteren Veranlagungszeiträumen zu seinen Ungunsten auswirken kann (BFH-Urteile vom 7. August 1979 VIII R 153/77, BFHE 129, 325, BStBl II 1980, 181, m.w.N.; vom 27. Mai 1981 I R 123/77, BFHE 133, 412, BStBl II 1982, 211) oder wenn diese Feststellung eines zu niedrigen Gewinns die Folge eines Bilanzansatzes ist, der sich in vorhergehenden Veranlagungszeiträumen zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt hat (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1984 VIII R 273/81, BFHE 143, 238, BStBl II 1985, 394).
In gleicher Weise ist die Klägerin durch einen zu geringen Gewinnanteil infolge teilweiser Nichtübertragung der Reinvestitionsrücklage in ihren Rechten verletzt, weil dies im Streitfall Auswirkungen auf die Gewinnfeststellung der Ehegatten-Mitunternehmerschaftoder der Veranlagung der Klägerin und ihres verstorbenen Ehegatten hat. Insoweit führte dies nämlich zu einer erfolgswirksamen und verzinslichen Zwangsauflösung der Rücklage nach § 6b Abs. 7 EStG. Soweit die Klägerin daher eine höhere Gewinnübertragungauf das in das Gewinnfeststellungsverfahren einbezogene Mietwohngrundstück begehrt, muss sie die Feststellung eines höheren Gewinns in diesem Gewinnfeststellungsverfahren beantragen. Hiervon ist der Senat auch in seinem Urteil in BFH/NV 1991, 599 ohne weiteres ausgegangen. Eine andere Entscheidung hätte zur Konsequenz, dass über den Umfang der Übertragung einer Reinvestitionsrücklage im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung zu befinden wäre. Diese von der Klägerin vertretene Lösung lässt außer Acht, dass es sich bei dem Reinvestitionsobjekt um ein Anlagegut des Gesamthandsvermögens handelt, das zwingend in die Gesellschaftsbilanz aufzunehmen und Gegenstand des Gewinnfeststellungsverfahrens der KG ist.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin beruht dieses Ergebnis auch nicht auf dem Gedanken einer Einheit von Grundlagen- und Folgebescheid, sondern allein auf der durch den Gesetzgeber angelegten Bindungswirkung des Grundlagenbescheids für den Folgebescheid, die der eigentliche Zweck des Verfahrens der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung ist. Danach nämlich bezwecken die Vorschriften der §§ 179 Abs. 2 Satz 2 und 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977, in verfahrensrechtlich gestufter und abschichtender Weise die notwendigen Entscheidungen verbindlich vorzugeben, um auf dieser Grundlage die Folgebescheide erlassen zu können (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, zu C.3.b aa der Gründe).
2. Das FG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) nicht verletzt.
Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und aufgrund der Verhandlung entscheidet, obwohl der Verfahrensbeteiligte einen Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung oder auf Vertagung der Verhandlung gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend und auf Verlangen glaubhaft gemacht hat (§ 227 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 155 FGO). Ob erhebliche Gründe für eine Verlegung oder Vertagung vorliegen, hängt von den Verhältnissen des Einzelfalles ab (s. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1990 III B 102/90, BFHE 163, 115, BStBl II 1991, 240).
Mangelnde Vorbereitung eines Verfahrensbeteiligten ist kein erheblicher Grund, es sei denn, der Beteiligte kann sie genügend entschuldigen (§ 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO). Daraus folgt, dass es ein erheblicher Grund für eine Verlegung oder Vertagung ist, wenn ein Verfahrensbeteiligter schlüssig vorträgt und auf Verlangen glaubhaft macht, dass es ihm bzw. seinem Prozessbevollmächtigten ohne Verschulden unmöglich sein wird oder war, sich ausreichend auf die Verhandlung vorzubereiten.
Der von der Klägerin zur Begründung des Verlegungsantrags vorgetragene Sachverhalt lässt aber nicht den Schluss zu, dass es ihrem Prozessbevollmächtigten unmöglich war, sich innerhalb von fast drei Wochen auf die mündliche Verhandlung im Streitfall ausreichend vorzubereiten. Der Gesetzgeber geht nach § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO sogar davon aus, dass eine Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen ausreichend ist, sich angemessen vorzubereiten. Dabei wäre einem fachkundigen Berufsangehörigen auch das aus der Prozessgeschichte ersichtliche Problem der Klagebefugnis der Klägerin als Gesellschafterin der KG ohne weiteres aufgefallen. Gleichwohl wies der Berichterstatter den Prozessbevollmächtigten der Klägerin drei Wochen vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung telefonisch auf das Urteil des Senats in BFH/NV 1991, 599 hin. Damit ist das FG seiner verfahrensrechtlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Dass der Prozessbevollmächtigte aufgrund einer Krankheit oder anderer von ihm nicht beeinflussbarer Umstände in der Zeit vom 14. November 2003 (dem Tag der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 4. Dezember 2003) bis einschließlich dem 3. Dezember 2003 nicht oder nicht voll arbeitsfähig war, hat die Klägerin nicht vorgetragen.
Fundstellen
Haufe-Index 1454010 |
BFH/NV 2006, 22 |