Entscheidungsstichwort (Thema)
Beratungsgeheimnis, unzulässige Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Das gerichtliche Beratungsgeheimnis schützt nur den Inhalt der Beratung (und das Abstimmungsverhalten), nicht deren Ergebnis.
2. Ein Richterablehnungsgesuch, das sich auf Umstände stützt, von denen der Antragsteller nicht weiß, welcher Richter des erkennenden Senats dafür verantwortlich ist, kann nicht pauschal gegen alle Richter des Senats gerichtet werden, unabhängig davon, ob sie mit den Umständen etwas zu tun hatten oder nicht. In solchen Fällen muß der verantwortliche Richter gezielt ohne Namensnennung abgelehnt werden, damit er ggf. vom Gericht ermittelt werden kann.
3. Die pauschale Verdächtigung eines Senats des BFH, alle Richter hätten sich bei einer Entscheidung von einem Druck des FG leiten lassen, ist verunglimpfend und daher unbeachtlich. An der Entscheidung über die Ablehnung können daher die mit einer derartigen Verdächtigung abgelehnten Richter mitwirken.
Normenkette
DRiG § 43; FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42
Tatbestand
Die Kläger, Revisionskläger und Beschwerdeführer (Kläger) legten nach Abweisung ihrer auf § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Untätigkeitsklage wegen Einkommensteuer 1985 durch das Finanzgericht (FG) Revision und Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision, gegen die Zurückweisung ihres Gesuchs auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am FG A sowie gegen die Nichtgewährung von Akteneinsicht im Klageverfahren ein.
In allen diesen Verfahren lehnen die Kläger den Vorsitzenden Richter am Bundesfinanzhof (BFH) sowie alle anderen fünf, dem erkennenden Senat angehörenden Richter unter namentlicher Bezeichnung ab. Sie stützen die Ablehnung ausschließlich auf Umstände im Zusammenhang mit dem bei dem erkennenden Senat anhängig gewesenen
Parallelverfahren III B 76/91. In diesem Verfahren war ebenfalls der Prozeßbevollmächtigte der Kläger aufgetreten, die Kläger selbst waren aber nicht beteiligt.
Die Kläger machen im wesentlichen geltend, daß der Vorsitzende des zuständigen FG-Senats, der Vorsitzende Richter am FG A, Druck auf den erkennenden Senat zu einer umgehenden Entscheidung der Sache III B 76/91 ausgeübt habe. Es sei seinerzeit beim FG gerichtsbekannt gewesen, daß sich der Vorsitzende Richter am FG A gegenüber Richterkollegen seiner besonders guten Kontakte und seiner regelmäßigen Telefonate mit dem Vorsitzenden des erkennenden Senats, dem Vorsitzenden Richter am BFH H, gerühmt habe. Der zeitliche Ablauf der Entscheidung des erkennenden Senats in der Sache III B 76/91 habe diesem behaupteten Druck entsprochen.
Die Einflußnahme des FG auf den erkennenden Senat ergebe sich auch daraus, daß das FG bereits vor Zustellung der Senatsentscheidung III B 76/91 vom 9. Oktober 1991 über deren Inhalt informiert worden sei. Objektiv müßten sie - die Kläger - aus all diesen Umständen die Besorgnis ableiten, daß in dem beim erkennenden Senat anhängig gewesenen Verfahren III B 76/91 die Rechtsprechung in Abstimmung mit dem FG erfolgt sei und daher auch in dem vorliegenden Prozeß ein rechtsstaatliches Verfahren nicht zu erwarten sei.
Der Vorsitzende Richter am BFH H hat in einer dienstlichen Äußerung erklärt, daß er sich nicht für befangen halte. In einer Stellungnahme dazu haben die Kläger an ihrem Befangenheitsantrag festgehalten.
Der Senat entscheidet über das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am BFH H ohne Mitwirkung dieses Richters. Die Ablehnungsgesuche gegen alle übrigen, dem Senat angehörenden Richter sind mißbräuchlich und mithin offensichtlich unzulässig.
Sie bedürfen deshalb keiner gesonderten Entscheidung ohne Mitwirkung dieser Richter. Ebenso ist eine dienstliche Äußerung dieser Richter zu dem Ablehnungsgesuch nicht erforderlich.
Dabei hält es der Senat für zweckmäßig, die Verfahren wegen Ablehnung des Vorsitzenden Richters am BFH H in dem Revisionsverfahren und in den drei Beschwerdeverfahren (Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision, gegen die Zurückweisung des Gesuchs auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am FG A und gegen die Nichtgewährung der Akteneinsicht) zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.
Entscheidungsgründe
1. Das Gesuch auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am BFH H in diesem Verfahren ist unzulässig.
a) Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.
Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555).
Der Ablehnungsgrund muß substantiiert dargelegt werden (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Rdnr.23, m.w.N.). Es müssen also Tatsachen vorgetragen werden, die bei objektiver Betrachtung die Besorgnis rechtfertigen könnten, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Diese Tatsachen sind nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Diesen Anforderungen wird das Ablehnungsgesuch der Kläger gegen den Vorsitzenden Richter am BFH H nicht gerecht. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Ablehnungsgesuch sind daher nicht erfüllt.
b) Die Kläger leiten ihre Ablehnungsgründe ausschließlich aus einem Parallelverfahren ab, an dem sie selbst nicht beteiligt waren. Es bestehen schon Zweifel, ob Vorgänge in einem Verfahren mit anderen Beteiligten überhaupt die Besorgnis rechtfertigen können, daß sich die an diesem Verfahren mitwirkenden Richter auch den Klägern gegenüber nicht unvoreingenommen verhalten würden. Unzutreffende Rechtsauffassungen oder Verfahrensfehler, die nach Auffassung der Kläger in dem vorangegangenen anderen Verfahren deutlich geworden sind, können jedenfall nicht als Gründe für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit anerkannt werden (vgl. BFH-Beschluß vom 20. November 1990 VII B 32/90, BFH/NV 1991, 755).
Um die Besorgnis der Befangenheit gegenüber den Klägern zu rechtfertigen, müßten daher aus dem anderen Verfahren Umstände vorgetragen werden, die über für die Kläger unbequeme Rechtsauffassungen der Richter zu materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Fragen hinausgehen. Dabei müßte es sich um Umstände handeln, von denen zu befürchten ist, daß sie sich auch noch in den von den Klägern angestrengten Verfahren auswirken können. Es muß bei vernünftiger, objektiver Betrachtung zu befürchten sein, daß die Richter aufgrund dieser besonderen Umstände die von den Klägern angestrengten Verfahren verfahrensrechtlich oder materiell-rechtlich nicht unvoreingenommen behandeln könnten.
Solche Umstände tragen die Kläger nicht vor.
c) Sie behaupten in bezug auf das Verfahren III B 76/91 nur einen ungewöhnlichen Zeitablauf und das vorzeitige Bekanntwerden der Entscheidung des erkennenden Senats. Daraus und aus den Gerüchten über gute Kontakte des Vorsitzenden Richters am FG A zu dem Vorsitzenden Richter am BFH H leiten sie den Verdacht einer Absprache zwischen dem FG und dem Vorsitzenden Richter am BFH H über eine beschleunigte Durchführung des ihrer Auffassung nach nicht eilbedürftigen Verfahrens III B 76/91 ab.
Wie aus diesen Vorhaltungen, die insbesondere den Zeitablauf eines anderen Verfahrens ohne Beteiligung der Kläger betreffen, die Besorgnis abgeleitet werden könnte, der Vorsitzende Richter am BFH H sei in den Verfahren der Kläger in der Sache voreingenommen, ist nicht ersichtlich.
d) Tatsachen, die über Kontakte zur Feststellung der Dringlichkeit der Entscheidung des BFH hinaus auf eine inhaltliche Absprache in der Parallelsache III B 76/91 zwischen dem Vorsitzenden Richter am FG A und dem Vorsitzenden Richter am BFH H schließen lassen könnten, tragen die Kläger nicht vor. Darauf ist auch das nunmehrige Beweisangebot der Kläger (namentliche Benennung von 41 Richtern des FG) - wenn es überhaupt zulässig sein sollte - nicht gerichtet.
e) Die pauschale Ablehnung des Vorsitzenden Richters am BFH H sowie aller weiteren dem erkennenden Senat angehörenden Richter mit dem Vorwurf, zwischen dem erkennenden Senat und dem FG habe es vor Zustellung der Entscheidung in der Sache III B 76/91 einen Informationsfluß über das Ergebnis der Entscheidung gegeben, ist mißbräuchlich und daher unbeachtlich.
Der Senat hat die Entscheidung in der Sache III B 76/91 weder durch seinen Vorsitzenden noch durch seine Geschäftsstelle dem FG mitgeteilt. Das wird von den Klägern auch nicht behauptet. Folglich könnten die von den Klägern behaupteten Informationen an das FG allenfalls über andere Richter gelaufen sein.
Wie aber allein die vorzeitige Mitteilung über eine vom BFH getroffene Entscheidung durch einen Richter des BFH auf eine Befangenheit dieses Richters in einer Parallelsache schließen lassen kann, ist nicht ersichtlich. Im übrigen hat eine vorzeitige Mitteilung einer Entscheidung des BFH entgegen der Auffassung der Kläger nichts mit dem Bruch des Beratungsgeheimnisses zu tun, das nur den Inhalt der Beratung und nicht deren Ergebnis schützt.
Abgesehen davon haben die Kläger die von ihnen behauptete vorzeitige Mitteilung der Entscheidung des BFH in der Sache III B 76/91 nicht zum Anlaß genommen, die einzelnen etwa für diese Mitteilung verantwortlichen Richter abzulehnen. Sie konnten diese Richter zwar nicht namentlich benennen. Die für das vorzeitige Bekanntwerden der Entscheidung des BFH etwa verantwortlichen Richter hätten aber durch den BFH ggf. bestimmt werden können, wenn die Kläger ihr Ablehnungsgesuchgezielt auf diese Richter gerichtet hätten (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Rdnr.19 m.w.N.). Statt dessen haben die Kläger alle dem Senat angehörenden Richter abgelehnt, unabhängig davon, ob sie tatsächlich mit dem vorzeitigen Bekanntwerden der Entscheidung des Senats etwas zu tun hatten oder nicht. Darin liegt eine Ablehnung des gesamten Spruchkörpers, die unstatthaft ist (vgl. BFH-Beschluß in BFH/NV 1991, 755, m.w.N.).
2. Gegen die an der vorliegend zu treffenden Entscheidung mitwirkenden Richter sind im wesentlichen nur die vorgenannten (unter 1. e) unbeachtlichen Gründe für eine Ablehnung geltend gemacht worden. Soweit das Ablehnungsgesuch der Kläger darüber hinaus als Verdächtigung zu verstehen ist, daß der Senat als solcher, d.h. alle an der Entscheidung in der Sache III B 76/91 mitwirkenden Richter und sogar darüber hinaus alle dem Senat angehörenden Richter, sich von einem Druck des FG hätten leiten lassen, sieht der Senat dies als verunglimpfend und aus diesem Grunde als unbeachtlich an (vgl. Gräber / Koch, a.a.O., § 51 Rdnr.29, m.w.N.). Da das Ablehnungsgesuch, soweit es über die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am BFH H hinausgeht, somit mißbräuchlich und daher offensichtlich unzulässig ist, konnte der Senat darüber in geschäftsplanmäßiger Besetzung - ohne den Vorsitzenden Richter am BFH H - entscheiden (vgl. u.a. BFH-Entscheidungen vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638; vom 2. Juli 1976 III R 24/74, BFHE 119, 227, BStBl II 1976, 627; Gräber / Koch, a.a.O., § 51 Rdnr.55, m.w.N.). Aus denselben Gründen ist eine dienstliche Äußerung dieser Richter des BFH gemäß § 51 FGO i.V.m. § 44 Abs. 3 ZPO nicht erforderlich (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Februar 1960 1 BvR 36/60, BVerfGE 11, 13).
Fundstellen
Haufe-Index 418667 |
BFH/NV 1993, 183 |